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Heinz Berggruen: Spender oder Blender

Ein Buch will mit „Leben & Legende“ des Kunstsammlers und Berliner Ehrenbürgers Heinz Berggruen aufräumen.

Wer war Heinz Berggruen? Bisher glaubte man, mit diesem Namen die Persönlichkeit des 1914 in Berlin geborenen, 2007 in Paris gestorbenen jüdischen Kunsthändlers, Kunstsammlers und Journalisten verbinden zu können, dem seine Heimatstadt, aus der er fliehen musste, so manches zu verdanken hat. Zum Beispiel die Einrichtung eines Museums der klassischen Moderne, des „Museums Berggruen“ mit Werken von van Gogh, Klee, Matisse, Giacometti. Derzeit ist das Charlottenburger Haus geschlossen, es bekommt einen Erweiterungsbau und soll im Sommer 2012 wiedereröffnet werden.

Heinz Berggruen und Berlin. Ob es sich um eine Liebe oder eine späte Vernunftehe handelte, um einen Akt deutsch-jüdischer Versöhnung, die leicht angekitschte Geschichte einer Heimkehr, einen kulturpolitischen Ausnahme-, wenn nicht Glücksfall – all das lässt sich weder ausschließen noch abschließend beantworten, es war wohl von allem etwas, denn Menschen und Geschichte sind nun einmal komplex und nicht schwarz-weiß.

Die Tatsachen sprechen für sich. Im Jahr 2000 kaufte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Sammlung Berggruen für 253 Millionen DM, nachdem sie einige Jahre als Leihgabe zu sehen gewesen war. Es war ein fairer Preis, gemessen am heutigen Marktgeschehen sehr günstig für die Staatlichen Museen. Berggruens Bilder – und der Mann dahinter, mit seinem illustren Leben – bewegen viele Menschen, auch ins Museum hinein.

Nun aber das: Ein Buch will aufräumen mit Märchen. „Heinz Berggruen – Leben & Legende“ von Vivien Stein liest sich wie eine Kampfschrift, die einem betrogenen Publikum die Augen zu öffnen hat. „Wie konnte um Heinz Berggruen ein nationaler Kult entstehen?“, lautet die Eingangsfrage. Und: „Wie steht es um die Berliner Kultur- und Politprominenz, die alle Hinweise auf seine persönliche Fragwürdigkeit ignorierte? Wieso durfte Berggruen sich Geschäftsmethoden erlauben, für die jeder andere Deutsche steuerlich zur Rechenschaft gezogen würde? Ist die Devise ,Er ist Jude, drum sagen wir nichts’ ein Ausdruck von schlechtem Gewissen, Angst, Zynismus oder dem achselzuckenden Irrglauben, dass ,die Juden’ nun einmal so sind?“

Ein brutaler Angang. Bisher ist Vivien Stein als Autorin nicht hervorgetreten. Sie wurde, so ist bei Amazon zu lesen, als Tochter jüdischer Emigranten aus Berlin und Prag 1951 in New York geboren. Sie studierte Literaturwissenschaft und arbeitete im Kultur- und Wissenschaftsbereich, momentan ist sie für eine nicht genannte Non-Profit-Organisation in Paris tätig. Es ist ein dickes Buch, 576 Seiten stark, voller Tobak. Kurz gesagt: Vivien Stein beschreibt Heinz Berggruen als kalten Geschäftsmann, quicken Opportunisten, als Blender und Märchenerzähler, der es immer wieder, und dann vor allem in Berlin, verstanden habe, die „jüdische Karte“ auszuspielen. „Was haben die sechs Millionen Toten, die vielen Verwaisten und Vertriebenen davon, dass sich die Deutschen für Heinz Berggruen krummlegten?“ So ist das Buch prall gefüllt mit Infamitäten, aber auch peinlichen Ausrutschern der Denkmalsstürmerin: „In der Nacht vom Freitag, 23. Februar 2007, starb Heinz Berggruen in Paris. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben war sein Timing nicht perfekt.“ Man erfährt, dass die Romanze mit Frida Kahlo weitgehend ein Fantasieerguss Berggruens gewesen sei, ebenso die Verbindung zu Picasso. Es bleibt nichts übrig von dem Mann, um den es jenen „nationalen Kult“ gegeben haben soll. Er habe seine Rolle für Berlin „einstudiert“, die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt, die dämlichen Medien seien beinahe unisono auf den Scharlatan hereingefallen; das schließt die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder ein, aber auch den Berliner Senat. Am Ende war Heinz Berggruen demnach nichts als ein gerissener Geschäftemacher, darin allerdings herausragend.

Eine unerfahrene, schlechte Autorin, wie Stein es ist, erzählt aber nun auch nicht die Geschichte des brillanten Aufschneiders, der Berggruen gewesen sein soll. Sondern sie führt ihn stets auf seine kleinbürgerliche Herkunft zurück, ein Parvenu, der in der höheren Gesellschaft ein Geduldeter geblieben sei. Zu den bizarren Wendungen, die das Buch nimmt, gehört die scheinheilige Geschichte um Bernd Schultz. Der Chef der Villa Grisebach habe Berggruen erst begeistert in Berlin unterstützt, dann aber den Irrtum erkannt und gewarnt. Kunsthändler unter sich. Seit wann sind Menschen, die Millionenbeträge bewegen und Ikonen der Kunstgeschichte verticken, Philanthropen? Seit wann ist das Kunstgeschäft moralisch – und das Getriebensein eines Sammlers dieser Kategorie verwerflich? Letztlich wirft Stein Berggruen seinen Erfolg, sein Geschick vor, sein Glück auch, sein Leben. Welche persönlichen Rechnungen und Verletzungen werden da behandelt?

So seltsam wie das Buch wirkt der Verlag, in dem es dieser Tage erschienen ist. Die Edition Alpenblick hat ihren Sitz in Zürich. Dort ist sie seit dem 8. Juni 2011 im Handelsregister eingetragen, das Berggruen-Buch ist offensichtlich ihre erste und bisher einzige Publikation.

Diese Obskuritäten haben die „Süddeutsche Zeitung“ nicht davon abgehalten, dem Buch von Vivien Stein in der Wochenendausgabe eine Besprechung zu widmen, die fast eine ganze Zeitungsseite füllt. „Ein trüber Schelmenroman“, so die Überschrift. Man hat es mit einem Stück von bösem Journalismus zu tun. Nicht nur, dass Stephan Speicher sich die Thesen Vivien Steins im Wesentlichen zu eigen macht – er schlägt einen unverhohlen aggressiven Ton an. Der Fall Berggruen sei ein „Sittenstück“, und dabei sei „merkwürdig, dass ein Jude, der sich in Amerika, Frankreich, England und der Schweiz nie als solcher verstanden hatte, mit einem Mal zum Repräsentanten der historischen Opfer wurde“.

Und weiter, dass einem der Atem stockt: Berggruens „Kosmopolitismus, der den Berlinern so sehr imponiert hat, zeigt sich in Vivien Steins Buch als Blendfassade einer Haltung, die sich nirgends an den notwendigen gesellschaftlichen Kosten beteiligen will.“ Was soll, was kann das heißen? Will die „SZ“ einem Juden vorschreiben, wo er sich wie sehr als Jude fühlen soll? Berggruen habe, urteilt Speicher, „das Gefühl der Deutschen für ihre Schuld an den Juden“ genutzt.

Der Vorwurf des Antisemitismus wird oft schnell und unüberlegt aus der Moralkiste geholt – aber wie ist das hier? Merkt dieser Journalist nicht, wie er ekelhafte Vorurteile breitklopft und die alte Story vom halbseidenen, erfolgs- und listenreichen jüdischen Geschäftsmann nacherzählt? Sippenhaft eingeschlossen: Der Artikel beginnt mit einer langen Einleitung über die Geschäfte von Berggruen, Nicolas. Das ist der Sohn, der Karstadt-Käufer, der Großinvestor, der, so lernt man hier, viel geerbt hat vom Vater – vor allem den magischen Namen. Nicolas Berggruen versammelt in seinem „Rat für das 21. Jahrhundert“, schreibt Speicher, „gewesene Spitzenpolitiker wie Blair, Gonzales, Schröder“, die ihm „wie zu vermuten ist, jene Türen aufstemmen, die auf ordentlichem Wege versperrt bleiben müssten“. Ein klarer Korruptionsvorwurf!

Die entscheidende Frage beantwortet weder Buch noch Besprechung. Selbst wenn Heinz Berggruen seinen Vorteil verfolgt hat bei alledem, wem hat er geschadet? Was genau war sein Vergehen, was kommt auf Shylocks Waage: Dass er erst zu wenig und nachher zu viel Jude war?

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