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Szene aus "Ibsen: Gespenster" in den Sophiensaelen.

© Kommun.ch

Sterbehilfe-Stück "Ibsen: Gespenster": Einfach den Hahn aufdrehen

Wie geht die Kunst mit dem Tod um? Und wie künstlich ist das Sterben in unserer Kultur heute? Fragen, die die Performance „Ibsen: Gespenster“ in den Sophiensaelen anstößt.

Gestorben wird ja oft und gern auf der Bühne. Auch die Variante Freitod gehört unverzichtbar zum Repertoire, siehe „Romeo und Julia“ oder „Hedda Gabler“, von den Griechen mal ganz zu schweigen, und in der Oper entleiben sie sich sowieso allenthalben. Der Suizid, der in den Sophiensaelen an diesem Abend zu sehen ist, sprengt dennoch den Rahmen. Weil er sich wirklich ereignet hat.

Das Performance-Kollektiv Markus & Markus hat seine Protagonistin Margot mit der Videokamera in die Schweiz begleitet, wo die Mitarbeiter von „Eternal Spirit“ ihr den Wunsch erfüllen, aus dem Leben zu scheiden. Eine Infusion wird gelegt, die Margot nur aufzudrehen braucht – und es ist vorbei. Ein Sterbehilfe-Stück also. Und damit ein Sprung in ideologisch vermintes Terrain. Das Thema kennt nur erbitterte Gegner oder glühende Fürsprecher, keine Frage, dass beide Seiten bedenkenswerte Argumente haben.

Aber Parteinahme ist nicht das Ansinnen des Abends. Die Gruppe unter Führung von Markus Schäfer und Markus Wenzel – die selbst auf der Bühne stehen – setzt sich natürlich dem Verdacht aus, hier Leben, besser: Sterben zum Selbstzweck ausbeuten zu wollen. Für einen Dokumentarsozialporno, wie er im Theater nicht selten ist. Das Stück heißt aber nicht „Margots Tod“, sondern „Ibsen: Gespenster“. Es ist Teil einer Trilogie, die Markus & Markus mit „John Gabriel Borkman“ begonnen haben und mit „Peer Gynt“ fortsetzen werden. Das Prinzip: Wo Ibsen reale Menschen zu Bühnenfiguren machte, kehren die Performer den Vorgang um, übersetzen das Stück zurück in die Realität.

Die Künstlichkeit des Sterbens

In „Gespenster“ ist es Osvald, der sterben will. Ein Künstler, der unter Hirnerweichung leidet und die eigene Mutter anfleht, ihm Siechtum und Verfall zu ersparen. Viel Ibsen-Text findet zwar bei Markus & Markus nicht statt. Nur einmal lesen sie mit Margot aus dem bürgerlichen Drama, schon in den Räumlichkeiten der Sterbehilfe-Organisation. Aber der motivische Link stößt eine kluge und hintergründige Reflexion an über den Umgang der Kunst mit dem Tod. Und über die Künstlichkeit des Sterbens, an die wir uns gewöhnt haben. Jedenfalls in unserer Kultur.

Szene aus "Ibsen: Gespenster"
Szene aus "Ibsen: Gespenster"

© Kommun.ch

Das Kollektiv Markus & Markus performt eine heroische Röchelszene

Schäfer und Wenzel performen dazu gern mal heroische Röchelszenen zu pathetischem Soundtrack von „Tristan und Isolde“ bis „Jurassic Park“. Und erzählen auch von den Darf-man-das-Diskussionen, die es innerhalb der Gruppe gab. Lässt sich das Projekt überhaupt noch fortsetzen, nachdem die Dame in ihrem Wohnzimmer mit der jungen Truppe gescherzt hat: „Wenn das so weitergeht, überlege ich mir das mit der Schweiz noch mal“? Genau vor so einer Situation hat sie während der Recherche eine bekannte Sterbehilfe- Agentur gewarnt. Dass ihre Beteiligung den Lauf der Dinge verändern könnte.

Man erlebt eine fröhliche Margot in den Videos. Von den unerträglichen Schmerzen, an denen die 81-Jährige leidet, wird nur im nüchternen Diagnose-Protokoll erzählt. Fest steht, dass sie nicht mehr leben will. Wie unspektakulär sich Margots Sterben am 1. Mai 2014 vollzieht, ist das eigentlich Erschütternde an diesem großartigen Stück.

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