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Die Steine des Anstoßes im nordosttürkischen Kars.

© AFP

Türkei: Streit um Kulturdenkmal eskaliert

"Denkmal der Menschlichkeit" oder "Monstrum"? In der Türkei tobt eine Debatte darüber, was denn Regierungschef Erdogan von Kunst versteht – und was er in diesen Dingen zu bestimmen hat.

Es ist 35 Meter hoch und 300 Tonnen schwer, es heißt "Denkmal der Menschlichkeit" – und dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gefällt es überhaupt nicht. Seitdem der Premier im Januar bei einem Besuch im nordosttürkischen Kars anmerkte, das Denkmal sei ein "Monstrum", tobt eine Debatte darüber, was denn der Herr Regierungschef von Kunst versteht – und was er in diesen Dingen zu bestimmen hat. Nun erhält die Debatte plötzlich eine völlig neue Schärfe. Denn ein Erdogan-kritischer Künstler wurde bei der Vorbereitung einer Protestkundgebung gegen die Haltung des Premiers niedergestochen und schwer verletzt.

Das Denkmal in Kars zeigt zwei riesige, gesichtslose und klobige Betonfiguren, die sich auf einem Hügel über der Stadt nahe der armenischen Grenze gegenüber stehen. Es kann auch als eine einzige, gespaltene Figur gesehen werden. Bildhauer Mehmet Aksoy wollte damit der Freundschaft zwischen der Türkei und Armenien ein Denkmal setzen und ein Gegengewicht zum Völkermords-Denkmal in Eriwan setzen. Dennoch soll das unvollendete Beton-Werk abgerissen werden.

Aksoy hatte vor fünf Jahren den Auftrag zum Bau des Werkes erhalten, doch die Behörden wollen heute nichts mehr davon wissen. Kurz nach Erdogans Besuch entschied der Stadtrat von Kars mit den Stimmen der Ratsmitglieder von Erdogans Partei AKP und der Nationalistenpartei MHP, Aksoys Skulptur solle verschwinden. Nicht nur Erdogan hatte einiges an dem Denkmal auszusetzen. Schon im Jahr 2008 hatten die Denkmalschutzbehörden gefordert, die Betonfiguren sollten verschwinden.

Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. Bildhauer Aksoy zog vor Gericht und erzielte auch einen ersten Teilerfolg, womit er allerdings den Stadtrat nicht daran hinderte, die Abrissarbeiten vorzubereiten. Mehrere hundert Unterstützer des Künstlers planten für Samstag eine Versammlung in Kars, um gegen die Zerstörung zu protestieren. Aksoy verglich Erdogan mit einem totalitären Herrscher und sagte, die meisten Bürger in Kars seien gegen einen Abriss.

Für viele Erdogan-Gegner im Land legt der Streit um das Kunstwerk gleich mehrere negative Seiten des Ministerpräsidenten bloß. Zum einen wird Erdogan schon länger vorgeworfen, er führe sich auf wie ein Alleinherrscher und offenbare immer mehr diktatorische Züge. So wurde der Premier für die kürzliche Verhaftung von Journalisten verantwortlich gemacht, obwohl Erdogan damit wohl nichts zu tun hatte. Zum anderen hält die traditionelle säkularistische Elite den Premier und die von ihm angeführte neue, muslimisch-konservative Führungsschicht in der Türkei für kulturlos und ungebildet.

Der Maler Bedri Baykam ist ein Hauptvertreter der säkularen Kunst-Elite. Schon vor Jahren demonstrierte er gegen die angeblich islamistischen Tendenzen der Erdogan-Regierung, vor einigen Tagen nahm er an einer Versammlung von Unterstützern des Karser Denkmals in Istanbul teil. Nach dem Treffen wurde er von einem Angreifer mit Messerstichen in den Bauch verletzt. Er habe Baykam töten wollen, weil ihm dessen Ansichten nicht gefielen, sagte der Messerstecher Mehmet Celikel nach seiner Festnahme.

Celikel soll geistig verwirrt sein, doch Baykams Familie glaubt das nicht. "Das war ein Profi", sagte Baykams Frau Sibel. Die Frau von Staatspräsident Abdullah Gül, Hayrünnissa Gül, besuchte den Künstler im Krankenhaus, der Staatschef selbst meldete sich bei dem Opfer am Telefon. Diese Gesten des Präsidentenpaares bedeuten im ideologischen Konflikt der Türkei eine Überbrückung der Gräben, denn Gül und seine Kopftuch tragende Gattin gehören der Schicht der angeblich kulturlosen Anatolier an.

In säkularistischen Kreisen geht dennoch die Angst vor muslimischen Fanatikern um. "Ist das der Rückfall ins Mittelalter?" fragte sich eine Kommentatorin. Baykam selbst erklärte vom Krankenbett aus, der Angriff habe nicht nur ihm selbst gegolten, sondern "der Aufklärung, der Meinungsfreiheit und der Kunst".

In der Hitze der Debatte geraten einige Dinge hin und wieder gründlich durcheinander. So wurde Erdogan vorgeworfen, er wolle mit dem Denkmal-Abriss die Annäherung an Armenien torpedieren. Dabei war es die Erdogan-Regierung selbst, die vor zwei Jahren eine Grundsatzvereinbarung mit Eriwan unterschrieb. Sie wurde damals von denselben politischen Kreisen in der Türkei heftig kritisiert, die jetzt gegen seine Haltung zu dem Denkmal Sturm laufen.

Die Verantwortlichen in Kars sehen jedenfalls keinen Grund, nach dem Anschlag auf Baykam das Denkmal zu schonen. Die mit dem Abriss beauftragte Baufirma erklärte, in zwei bis drei Tagen würden die Arbeiter beginnen, die Betonblöcke der Skulptur auseinander zu sägen. Auf die Frage, was mit den Resten des Denkmals geschehe, wusste die Firma auch eine Antwort: "Die werfen wir auf den Müll."

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