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Das Büstenreliquiar des heiligen Cosmas aus dem Welfenschatz.

© Alina Novopashina dpa

Streit um Kulturgutschutzgesetz geht weiter: Mehr Schutz für Schätze

Die Länder führen Listen mit national wertvollen Kulturgütern – das System steht als "willkürlich" in der Kritik. Experten fordern eine Prüfung.

Birgit Maria Sturm sitzt in den Büroräumen des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler und hebt etwas ratlos die Hände. Die Geschäftsführerin hat turbulente Wochen hinter sich, die Diskussion um die Novelle des Kulturgutschutzgesetzes beschert ihr noch immer täglich Anrufe und Mails von Händlern, Galeristen, Künstlern und Juristen. „Alle sind verunsichert. Das ist Gift für den Kunstmarkt.“ Bei einigen Händlern stagniere bereits der Verkauf, sagt sie.

Die Nachricht, dass für die Ausfuhr von als national wertvoll eingestufter Kunst mit einem Wert von 150.000 Euro aufwärts und einem Alter von mehr als 50 Jahren bald nicht mehr nur bei Drittländern, sondern auch im EU-Binnenmarkt eine Genehmigungspflicht gilt, hemme die Kauflust. Die Tatsache, dass die Genehmigung in der großen Mehrheit der Fälle eine Formalie sein dürfte, kann die Betroffenen nicht beruhigen. Auch nicht, dass die wenigsten Werke, die auf dem Kunstmarkt heiß gehandelt werden, als kulturell wertvoll eingestuft werden dürften.

Dass die Wertgrenzen im neuen Gesetz nun eher bei 300.000 Euro und einem Mindestalter von 70 Jahren liegen dürften (wie schon bei der letzten Novellierung 2007 angedacht), entlockt den Akteuren des Kunstmarktes nur ein müdes Lächeln. „Das, was auch Museumsmitarbeiter als national wertvoll erachten, ist in der Regel mindestens 500.000 Euro wert,“ sagt Sturm. Ein wichtiges Ziel der Novelle ist laut Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) der verbesserte Schutz von Kulturgütern, die von erheblichem „nationalem Wert“ sind. Vor diesem Hintergrund seien die Schwellen noch zu niedrig, kritisiert Sturm.

Die Bayerische Liste hat 730 Posten - Sachsens nur zehn

Vor der jüngsten Aufregung um die Novelle des Kulturgutschutzgesetzes hatte sich kaum jemand zu der Verordnung mit dem sperrigen Titel geäußert. Tatsächlich besteht eine Verordnung schon seit 1919. Sie soll verhindern, dass „national wertvolles Kulturgut“ ins Ausland gebracht wird. Jedes Bundesland führt deshalb Listen, seit 1955. Aktuell sind insgesamt 2493 Posten aufgeführt, vor allem Gemälde, Grafiken und Kunsthandwerk. Auch Archivgüter wie Briefsammlungen und einige bewegliche Kulturdenkmäler sind verzeichnet, etwa eine „Alster-Motorbarkasse“. Allein vergangenes Jahr kamen bundesweit 97 Neueinträge hinzu, dabei sind auch Güter, deren Eintragung gerade geprüft wird und die deshalb vorerst in Deutschland bleiben müssen.

Bayern ist mit 730 Posten der Spitzenreiter. Es folgen, mit großem Abstand, Berlin und Hessen – jeweils 310 Einträge. Auf die Liste der Bundeshauptstadt wurden zuletzt im Februar die 2014 erworbenen Reisetagebücher Alexander von Humboldts sowie, nach langer juristischer Auseinandersetzung, der mittelalterliche Welfenschatz eingetragen. Auch finden sich dort Werke von Rubens, Dürer und Holbein d. Ä., von Kirchner und Grosz, Büsten von Schadow und Daniel Rauch oder etwa Eduard Gaertners „Ansicht der Schlossbrücke“. Die Aufnahme von Käthe Kollwitz’ Holzschnitt-Serie „Hunger“ wird derzeit geprüft.

Schlusslichter sind Sachsen mit zehn und das Saarland mit sieben Einträgen – wobei sich gerade in Sachsen deutlich mehr als zehn „national wertvolle“ Kulturgüter befinden dürften, allein schon in den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Nicht zuletzt deshalb werden die bisherigen Verzeichnisse oft als willkürlich kritisiert, eine Evaluation ist dringend erforderlich.

Eine Kommission begutachtet fragliche Artefakte

„Das mag tatsächlich nicht immer nachvollziehbar sein und deshalb erscheint mir eine Durchsicht der Listen sinnvoll“, sagt denn auch Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder. 38 Millionen Euro an Steuermitteln stehen der Stiftung jährlich zur Verfügung. Von dem Geld werden auch bedeutsame Kulturgüter erworben, um sie für Deutschland zu sichern – Objekte, die bislang nicht unbedingt auf den Länderlisten verzeichnet waren. Die Listen werden von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich akribisch geführt, sagt Pfeiffer-Poensgen. „Das liegt daran, dass Werke bisher nur überprüft wurden, wenn jemand, etwa ein Museumsmitarbeiter, der jeweiligen Landesregierung einen Hinweis gab.“

Entscheidet sich die Regierung dafür, dem Tipp nachzugehen, gilt ein vorläufiges Ausfuhrverbot. Dann begutachtet eine Kommission das Artefakt und spricht eine Empfehlung aus, an die sich das Land meist hält. Die Kommission besteht in der Regel aus fünf Mitgliedern, aus Repräsentanten der Bundesregierung und öffentlicher Einrichtungen (etwa Museen), Vertretern von Lehrstühlen, privaten Sammlern und Kunsthändlern. In Berlin etwa gehören Experten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz dazu. Aus den Beständen der Preußen-Stiftung haben es bislang elf Werke auf die Landesliste geschafft, die Novelle sieht allerdings vor, dass die gesamten Bestände staatlicher Museen zum „nationalen Kulturgut“ erklärt werden – womit die Kunsthändler kein Problem haben dürften, denn Museumssammlungen sind dem Markt ohnehin entzogen.

In Sachsen, dessen Kulturgutliste die Musikbibliothek Peters, die Erst- und Frühdrucke von Bach, Händel, Haydn, Mendelssohn-Bartholdy und Schumann umfasst, ist das Deutsche Musikarchiv in der Expertenrunde vertreten. In Mecklenburg-Vorpommern, wo ein Antiquar die literarischen Kulturgüter verteidigt, läuft aktuell das Aufnahmeverfahren für die Anklamer Bibliothek – samt 479 Bänden. Die Himmelsscheibe von Nebra steht in Sachsen-Anhalt auf der Liste, sie hat es mittlerweile auch auf die Unesco-Liste des Weltdokumentenerbes geschafft.

Die Kunsthändler sind wenig begeistert

Die Kirchen, die über zahlreiche wertvolle Kulturgüter verfügen, haben indes einen Sonderstatus. Um kirchliches Eigentum auf eine Kulturgutliste zu bringen, muss die jeweilige Kirche einen Antrag stellen. Die nordrhein-westfälische Liste etwa besteht lediglich aus öffentlichem und privatem Besitz – die Schatzkammern im Kölner und im Aachener Dom finden sich nicht im Verzeichnis.

Eigentümer haben das Recht, gegen die Eintragung als national wertvolles Kulturgut juristisch vorzugehen – falls sie sich die Option offenhalten wollen, ihren Besitz einmal ins Ausland zu überführen. „Wenn ein Kunstwerk schon in ein Landesverzeichnis aufgenommen ist, versuchen die meisten Besitzer erst gar nicht mehr, es auszuführen“, sagt Isabel Pfeiffer-Poensgen.

Mit den bisherigen Beschränkungen sei der Kunstmarkt noch einigermaßen zurechtgekommen, sagt Birgit Maria Sturm. Hin und wieder habe es aber Fälle gegeben, in denen Werke, weil sie nicht exportiert werden durften, nicht zum realistischen Marktwert verkauft werden konnten. Außerdem sei der bürokratische Aufwand für die Ausfuhranträge, der mit der geplanten Novelle zunehmen würde, nicht zu unterschätzen. Dies könnte am Ende allen schaden. „Künstler, die nicht auf dem internationalen Markt positioniert werden können, kommen auch nicht in die Museen.“ Das trifft gewiss zu – allerdings sind die Gegenwartskunst sowie Werke aus der jüngeren Vergangenheit von dem Gesetz gar nicht betroffen.

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