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Familienkonferenz. Katharina Saalfrank (rechts) bei der Arbeit.

© RTL / M. Mac Matzen

"Super Nanny": Republik verliert ihre erste kollektive Familienhelferin

Katharina Saalfrank war ein medialer Ersatz für Tausende Helfer, die sich ein Staat schlicht nicht leisten könnte. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollte sie engagieren.

Von Caroline Fetscher

Meist wurde sie gerufen, weil Mütter, Väter ihr Kind unmöglich fanden. Unregierbar sei es, stete Belästigung, dauernde Zumutung. Sieben Jahre lang war die Sozialpädagogin Katharina Saalfrank an 145 Mittwochabenden als Familienhelferin auf einem der „Unterschichtensender“ (Harald Schmidt) als „Super Nanny“ zu sehen. Den geplagten Eltern gegenüber erwies sie sich zu deren Verblüffung in der Regel als Anwältin eben dieser drei oder acht oder elf Jahre alten angeklagten Kinder. Jetzt wirft die erste öffentliche Familienhelferin der Republik das Handtuch. Man erwarte zunehmend mehr „scripted reality“, ist zu hören, an diesem fatalen Trend zur inszenierten Realität wolle Saalfrank nicht teilhaben. Sie freue sich aber, erklärt sie, dass die Sendung dazu beigetragen hat, mehr Akzeptanz für Beratung zu schaffen.

Bevor es solche Formate gab, wurde nie breiten Massen der gute Umgang mit kleinen Kindern erklärt. Nötig gewesen wäre es immer schon. Zwischen Zurichtung, Züchtigung und Ignoranz wuchs seit Jahrhunderten eine Generation nach der anderen auf und wiederholte die Prozeduren der Eltern jeweils mit den eigenen Kindern. In zähen Schritten, von der Renaissance über die Epoche der Aufklärung bis zur autoritätsskeptischen Pädagogik nach dem Nationalsozialismus, näherte man sich einem Konzept an, das teils noch immer umstritten ist: dem Menschenrecht für Minderjährige. Um dieses Recht ging es der „Super Nanny“.

Ihre Zielgruppen waren die sozial Unbehausten, die in der medialen, digitalen Verwahrlosung der Postmoderne leben. Saalfrank war kollektive Familientherapeutin – ein medialer Ersatz für Hunderttausende solcher Helfer, die sich ein Staat schlicht nicht leisten könnte, wollte er all den erodierten Kleingruppen assistieren, die den Nachwuchs als Blitzableiter für ungelöste Spannungen benutzen. Ehe heutige Ministerien und Familienpolitiker Betreuungsprämien in dieses expandierende Milieu stecken, sollten sie sich wenigstens einmal ein Dutzend solcher Sendungen ansehen, um eine Ahnung von der Realität zu bekommen, mit der sie es zu tun haben. Inzwischen begreifen zwar mehr und mehr Experten für Erziehung, dass es für die Entwicklung eines Individuums auf nichts so sehr ankommt wie auf die frühe Sozialisation. In öffentliche Aufklärung wird hier aber immer noch minimal investiert.

Auch deshalb war Saalfrank so revolutionär. Per Fernsehen erreichten ihre Interventionen auch ein Publikum im Plattenbau, das andere Probleme hat als die logistische Vereinbarkeit von Hockeytraining mit Geigenunterricht. Zwischen Müttergeschrei, Fernsehlärm, Kinderheulen und Playstation-Geräuschen, zwischen Kämpfen um Zubettgehen, Baden, Junkfood und Aufmerksamkeit, tauchte Saalfrank als eine Stimme der freundlichen Vernunft auf. Sie begegnete kleinen Höllen aus Hass, Hilflosigkeit und über Generationen aufgestautem psychischen Druck. Da erklärt ein Elfjähriger resigniert: „Ich bin schlecht, das sagt die Mama.“ Eine Patchwork-Mutter hat seit zwei Jahren mit einem Patchwork-Sohn kein Wort gesprochen, weil es „nervt“. Verstörte Dreijährige werden angeherrscht, herumgezerrt, eingesperrt. Ein Elternpaar lehnt rauchend am Küchenschrank und beklagt sich über den Nachwuchs. Eltern klimpern am Computer, während das Kind eine Zeichnung zeigen will. Erratisch tauchen Patchwork-Väter auf und ab.

Oft endete die Episode mit dem Gang einer Mutter zur Therapie.

In diesen Ansiedlungen der neuen Unübersichtlichkeit aus Jobs und Jobsuche, Unterhaltungsindustrie und Konsumüberangebot hatten fast alle Eltern selbst eine depravierte Kindheit, an die sie sich nur dunkel erinnern. Wenn Saalfrank sie auf dem Sofa am Bildschirm eines Notebooks mit gefilmten Szenen aus dem Umgang mit den eigenen Kindern konfrontierte, riefen diese ersten Distanzierungsübungen oft Tränen hervor – und erste Annäherungen ans Kind. „Das habe ich nicht gewusst, dass ich so bin!“ Und Saalfrank fragte geduldig: „Wie geht es wohl deinem Kind?“ Es ging um Grundlagen zivilisatorischen Verhaltens: darum, dass man mit Kindern auch in ruhigem Ton sprechen kann, dass man beim Essen gemeinsam am Tisch sitzt, dass man dabei den Fernseher ausschaltet.

Nicht selten endeten die Episoden, die nur Bruchteile monatelanger Arbeit in den Familien zeigten, mit dem Gang einer Mutter zur Therapie, um langfristige Assistenz zu sichern. Hauptamtliche Kinderschützer beschwerten sich, dass Saalfrank mitunter als Beobachterin dabei stand, wenn Müttern „die Hand ausrutschte“, das entwürdige die Kinder. Dasselbe könnte man über die alltägliche, verbale Gewalt sagen, bei der wir auf der Straße oder in der U-Bahn zuhören, dieses „Du kannst nichts!“, „Geh weg!“, „Raus hier!“. Die mit falscher Höflichkeit verschleierte Schärfe in Sätzen wie „Frolleinchen, das lässt du bitte sein!“

Im Mai forderte der Deutsche Kinderschutzbund mit Blick auf die „Super Nanny“: „Kinder dürfen nicht rechtlose Spielfiguren in einem medialen Millionengeschäft sein.“ Paradoxerweise ging man so ausgerechnet gegen seine effektivste Verbündete vor, die man als Konkurrentin betrachtete. Es gäbe lohnendere Ziele für den Verein, etwa die TV-Talentjurys, vor denen vier- und sechsjährige Mädchen die Hüften schwingen; oder die „Super-Pannenshows“, die unter anderem Heimvideos von Kinderunfällen vorführen. Sicher ist es wahr, dass der Kinderschutzbund von einigen Eltern angerufen wurde, bei denen die „Super Nanny“ tätig war, sicher gab es manche Eltern, die es im Nachhinein bereuten, dass sie nicht weiter versteckt oder verdrängt haben, was hinter der Fassade ihrer Wohnung passierte. Gleichwohl haben sie zu einem sozial wertvollen Genre beigetragen.

Öffentlich-rechtliche Sender, die einen Aufklärungsauftrag haben, sollten sich überlegen, ob sie nicht begabten Experten wie Saalfrank ein Forum bieten wollen, das weniger „scripted reality“ enthält. Da wären Gebührengelder gut angelegt, für die Erwachsenen von morgen.

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