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Theater verankern. Dessauer Protestaktion gegen den drohenden Kahlschlag mit 3000 Demonstranten im Juni 2013.

© Jan-Pieter Fuhr

Theatersterben: Deutsche Demografische Republik

Bitteres Schauspiel: Mit dem Verweis auf die schrumpfende Bevölkerung werden die Bühnen im Nordosten und Osten Deutschlands von der Politik ruiniert.

Wenn es auf der Welt gerecht zugehen würde, dann hätten sich die Bühnen in Dessau und Halle an der Saale in den vergangenen Monaten eine Etataufstockung verdient. Als Belohnung für die kreativen Ideen, mit denen sie gegen den Kulturabbau in ihrem Bundesland kämpften. Da war zum Beispiel diese Aktion, bei der sich mutige Mitarbeiter vom Dach des Anhaltischen Theaters an dicken Tauen herabließen, um mit diesen dann ihr Haus fest in der Stadt zu verankern. Weil der sachsen-anhaltinische Kulturminister Stephan Dorgerloh SPD-Mitglied ist, zogen die Theaterleute vor die Berliner Parteizentrale der Sozialdemokraten und intonierten dort Solidaritäts- und Arbeiterlieder. Den Magdeburger Landtag schließlich umrundeten sie wie die Posaunisten von Jericho – sieben Mal, mit lautem Geschmetter. Allerdings stürzten die Mauern in diesem Falle nicht ein, stattdessen billigten im Innern des Gebäudes die Volksvertreter mehrheitlich den Plan, die Landeszuschüsse für drei Theater massiv zusammenzustreichen. Drei Millionen Euro weniger erhält Halle bereits seit dem 1. Januar, 2,5 Millionen fehlen in Dessau, die Förderung für die Landesbühne Eisleben wird bis 2015 schrittweise von 1,3 Millionen auf 400 000 zurückgefahren.

Als Minister Dorgerloh beim Durchforsten seines Kulturetats entdeckte, dass der Zuschuss pro Platz ausgerechnet beim Theater der Landeshauptstadt Magdeburg am niedrigsten ist, beschloss er, die Bühnen in Dessau und Halle auf dasselbe Niveau herunterzusetzen. Ohne Rücksicht auf die spezifischen lokalen Gegebenheiten: Die Magdeburger Intendantin Karen Stone hat in ihrem großen Haus rund 660 Plätze zu füllen, der Dessauer Intendant aber 1000. Das 1938 erbaute Anhaltische Theater kann aufgrund seiner schieren Größe nur mit personalintensiven Produktionen bespielt werden, mit Wagner, mit französischer grand opéra, mit Musicals, bei denen viel getanzt wird. In Halle wiederum wurden zwei zu DDR-Zeiten äußerst üppig ausgestattete Orchester zu einem fusioniert. Trotz des massiven Personalabbaus sind aber an der Saale aktuell immer noch 121 Musiker zu bezahlen, in Magdeburg aber nur 82.

Es ist ein bitteres Schauspiel. Theatertode auf Raten werden derzeit von der Politik in vielen Regionen der Kulturnation Deutschland inszeniert. Der einfachste Weg ist der, die Zuschüsse „einzufrieren“. In Mecklenburg-Vorpommern unterstützt die Landesregierung die Kommunen bei der Finanzierung der Bühnen seit 1995 unverändert mit einer jährlichen Summe von 35,8 Millionen Euro. Weil aber auch für die Theater alles immer teurer wird – von Strom und Heizkosten über den Materialeinkauf bis hin zu den Gehältern – haben sie unter dem Strich immer weniger für die Kunst zur Verfügung. Sie magern langsam ab: Erst werden die Ausstattungsetats auf ein Minimum eingedampft – das kostet Publikum, weil die Zuschauer optische Opulenz vermissen. Dann wird die Zahl der Neuproduktionen heruntergefahren – was wieder Publikum kostet, weil ja vor allem Neues die Leute anlockt. Und schließlich sind die Ensembles dran: Das Orchester wird verkleinert, der Chor, das Ballett – und wieder bleiben Zuschauer weg, weil sie von ihren CD-Aufnahmen einen ganz anderen Sound im Ohr haben.

Ganz pfiffige Kulturpolitiker heuern teure Beratungsfirmen an, die Modelle für eine Strukturanpassung erstellen. In denen steht dann zu Beispiel, dass die Mehrspartenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern nur dann in den Genuss „dynamisierter“, also steigender Landesförderung kommen können, wenn sie bis 2020 weiter Stellen abbauen. Von den 1787 Planstellen, die es 1989 in Schwerin und Rostock, Greifswald, Stralsund, Neubrandenburg, Anklam, Güstrow, Parchim und Neustrelitz gab, wäre dann nur noch die Hälfte übrig. Welche Art von Kunst dann noch möglich ist, steht in den Papieren der Beratungsfirmen nicht.

Rein rechnerisch lässt sich die Argumentation der Kulturminister in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern durchaus nachvollziehen. In beiden Bundesländern schrumpft die Bevölkerung massiv. Wenn bald nur noch zwei Millionen Menschen in Sachsen-Anhalt leben, muss es dort dann wirklich genauso viele Operntruppen geben wie in Berlin, nämlich drei? Brauchen Städte mit 57 000 Einwohnern wie Stralsund oder gar nur 20 000 Einwohnern wie Neustrelitz wirklich eigene Musiktheatersparten? Die Antwort lautet selbstverständlich: Ja. Weil sie sonst wenig zu bieten haben. In kleinen Städten ist das Theater oft einer der wichtigsten lokalen Arbeitgeber – immer aber ist es ein Garant für Lebensqualität. Volkswirte rechnen die Kultur zwar nur zu den „weichen Standortfaktoren“, wenn sich allerdings eine große Firma entscheidet, wo sie ein neues Werk ansiedeln will, werden die weichen Standortfaktoren zum Zünglein an der Waage. Schließlich haben gerade die hoch qualifizierten Mitarbeiter auch gehobene Ansprüche in Sachen Freizeitgestaltung.

Wie soll es nun in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern weitergehen? Wenn die ein bis zwei Prozent, die aus den Etats der Bundesländer in die Kultur fließen, für die Haushaltskonsolidierung wirklich so bedeutend sind, dann wäre es ein mutiger Schritt, die traditionellen Strukturen gleich ganz zu zerschlagen und eben nur noch eine einzige Landesbühne zu finanzieren. Die wäre in der Hauptstadt angesiedelt und würde alle übrigen Standorte tingelnd mitversorgen. Das aber ist mit den Kommunen nicht zu machen. Jede Stadt klammert sich an ihr Haus – auch wenn sie es sich ohne ausreichende Landeshilfe nicht leisten kann. Und wenn es zu Fusionen kommt, dann muss ein jeder Ort wenigstens noch eine Sparte behalten: In Vorpommern wird das wohl demnächst dazu führen, dass die Opernsänger in Stralsund stationiert sind, die Orchestermusiker in Neubrandenburg, die Schauspieler in Greifswald und die Tänzer in Neustrelitz. Für jede Probe, für jede Aufführung werden also Truppenteile zwischen den bis zu 140 Kilometer voneinander entfernten Städten hin und her kutschiert werden müssen, tausende und abertausende Kilometer pro Saison.

Nachhaltige Kulturförderung sieht anders aus, nicht nur im Hinblick auf die CO2-Bilanz.

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