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Schattenmann. „Funeral officer“ John May (Eddie Marsan) geht auf Recherchereise.

© dpa

Uberto Pasolinis "Mr May und das Flüstern der Ewigkeit": Der zarte Amtsbestatter

Eddie Marsan in seiner ersten Hauptrolle: Als Amtsbestatter kümmert er sich um die würdige Bestattung von zu Lebzeiten vergessenen oder verlassenen Menschen. In dieses Milieu zaubert Uberto Pasolini seinen zarten Film „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“.

So viele Schlüsse. Der erste: eigentlich folgerichtig, aber doch bitte nicht so! Der zweite: übel überraschend, aber das war doch jetzt hoffentlich nur ein Traum, oder? Der dritte: kann man so machen, zumal zur final einsetzenden Musik. Und dazwischen noch ein Schlüsschen, oder waren es anderthalb?

„Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ erzählt auch vorher schon von Enden, ziemlich anonymen Lebensenden. Und vom Londoner „funeral officer“ John May (brillant diskret verkörpert von Eddie Marsan), der von diesen Lebensenden lebt. Einerseits hält ihn die meist erfolglose Suche nach Angehörigen derart vergessener Menschen sowie die meist einsame Anwesenheit bei den Bestattungszeremonien seit 22 Jahren in Lohn und Brot. Zum anderen ist dem akkurat gescheitelten, freundlichen, grundgrauen Herrn der ehrenvolle Umgang mit den Hinterlassenschaften jener Unglücklichen selber zum Lebensinhalt geworden – zum einzigen, um genau zu sein.

„Still Life“ heißt, im Original, der zweite eigene Spielfilm des in London lebenden Produzenten Uberto Pasolini (nicht verwandt mit Pier Paolo Pasolini, wohl aber ein Großneffe Luchino Viscontis) – ein schön schillernder Titel. Als „Stillleben“ funktioniert John Mays vergittertes Büro mit Tischchen, altem Telefon und noch älteren Aktenschränken ebenso wie sein penibel aufgeräumtes Hochhaus-Apartment in der Vorstadt. Gleichzeitig schimmert und pulst „noch Leben“ in diesem Mann: Von den Besuchen in den Totenwohnungen nimmt er stets ein paar Fotos mit und sammelt sie in seinem eigenen Fremdverstorbenenalbum. Die Fälle mögen, „case closed“, immer wieder amtlich abgehakt sein, in seinem Album leben die Menschen weiter.

Viel Zeit in ruhigen Einstellungen nimmt sich Regisseur und Drehbuchautor Pasolini für diese Exposition; oder unternimmt er vielmehr, mit ethnografischer Sorgfalt, eine eindrucksvolle Expedition in diesen Beruf am Rande üblicher Wahrnehmungswelt? Monatelang recherchierte Pasolini im Bestatter-Milieu, und seine Behauptung, kaum etwas in seinem Film sei „vollständig erfunden“, ist absolut glaubhaft. Die ausgeleierten Unterhosen, die in den Wohnungen, aus denen die Leichen soeben fortgeschafft wurden, auf Wäscheständern oder über der Heizung hängen; oder die ins Bild gehaltene Geburtstagspostkarte, die eine einsame Alte an sich selbst schrieb, unterzeichnet mit dem Pfotenabdruck ihrer Katze – realistischer, ja, man möchte fast wagen: realer geht’s nicht.

Die Geschichte, die sich dann doch aus dieser Szenerie erhebt, wirkt da fast konventionell. John May – zu langsam, zu gründlich, zu teuer – wird gekündigt; seinen letzten Fall aber darf er noch abwickeln. Billy Stoke, ein zum Säuferpenner abgestiegener Frauenheld und Fallschirmjägermacho, ist in Mays Nachbarhochhaus gestorben, und noch einmal macht der Amtsbestatter sich, langsam und gründlich und diskret, auf Recherchereise. Er findet: alte Kumpels von Stoke, dessen verlassene Partnerin plus Kind plus Enkelkind, schließlich die im Tierheim arbeitende Kelly (reizend herb: Joanne Froggatt), die sich von ihrem Vater vor langem abgewendet hat. Und, mit ein bisschen Glück, findet er sogar eine Eingangstür ins eigene Leben. Wofür es, genau besehen, kaum mehr Aufwand braucht, als im Vorortzug den Sitzplatz zu wechseln, zur Fahrtrichtung hin.

Auch die Kamera (Stefano Falivene) sucht nun behutsam Bewegung, die entsättigten Farben werden vorsichtig saftiger – und Eddie Marsan, am deutlichsten wohl in seiner Rolle als traurigkomischer Fahrlehrer in Mike Leighs „Happy-go-Lucky“ in Erinnerung, darf in seiner überhaupt ersten Hauptrolle endlich ein richtig nettes Sonntagsgesicht aufsetzen. Das tief Liebenswerte seiner Filmfigur und das tief Liebenswerte des Filmes selber: Für einen Augenblick gehen sie nun ineins. Alles überzieht sich mit Licht, als habe jemand ein blassstichiges Farbfoto vom intakten Negativ frisch abgezogen.

Mein Schluss übrigens wäre der anderthalbte. Ein paar Sekunden nur, ein Blick im Vorübergehen. Tut weh.

Blauer Stern Pankow, FaF, Kant, Passage; OmU im Babylon Kreuzberg, Eiszeit und Hackesche Höfe

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