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Einsprecher Jens Winter bei der Arbeit.

© Thilo Rückeis

Übersetzer auf der Berlinale: Mit anderen Worten

Damit sich auf dem Festival alle verstehen, gibt es Dolmetscher und Einsprecher – ein Blick hinter die Kulissen.

Das Wichtigste im Kino sind die Bilder. Oft muss gar nichts gesagt werden, und alle im Publikum verstehen, was gemeint ist. Aber es wird eben auch viel gesprochen in den 399 Filmen aus mehr als 70 Ländern, die dieses Jahr auf dem Festival laufen. Und anschließend gehen die Diskussionen über das Gesehene los.

Damit alle sich und die Filme verstehen, sind Menschen wie Jens Winter und Astrid Geese im Einsatz. Ihre Aufgabe ist es zu übersetzen. Zwar ist nahezu jede Faser der Berlinale automatisiert, von Strichcodes auf den Eintrittskarten bis zu den Filmen von digitalen Servern, aber zum Übersetzen ist der Mensch unentbehrlich. Wer das Gegenteil glaubt, muss nur mal Texte von „Google Translate“ lesen.

Winter und Geese haben die gleiche Aufgabe, und doch zwei grundverschiedene Jobs. Geese ist eine von 52 Dolmetschern des Festivals, sie übersetzt vor allem Pressekonferenzen und die Fragerunden nach Premieren – häufig für mehrere Filme am Tag. Winter hat während des gesamten Festivals nur einen Film, auf den er sich wochenlang vorbereitet. Er ist Einsprecher. Die meisten bekommen ihn nie zu Gesicht, aber vor allem junge Zuschauer hören seine Stimme.

Denn Winter arbeitet in der Sektion Generation. Er synchronisiert während der Vorführungen live den kompletten Film. „Die Kinder verstehen meist weder die Sprache noch kommen sie bei den Untertiteln mit, die sind einfach zu schnell“, sagt er. Deshalb bekommt Winter Wochen vor der Premiere die Dialogliste und den Film. Ihm wurde „Red Dog: True Blue“ zugeteilt, der das Programm von Kplus eröffnet. Winter schaut ihn sich immer wieder an, Szene für Szene, Satz für Satz. Bestimmt ein Dutzend Mal. In seinem Skript streicht er an, was betont werden muss, streicht durch, was er auslässt – zum Beispiel, wenn die Figuren durcheinanderreden. So entsteht „seine“ Fassung des Films. Winter spricht alle Rollen, aber die Stimme verstellt er nicht.

„Das ist tabu“, sagt er, dann würden die Zuschauer ihn bemerken. Aber idealerweise vergessen sie ihn, dann wird er Teil des Films, gibt die Gefühle von der Leinwand weiter ans Publikum. Deshalb die vielen Proben. „Wie ein Instrument in einem Ensemble“, sagt er.

Die Pointen müssen sitzen, das ist Millimeterarbeit

Winter hat eine Partitur in Form seines Skripts herausgearbeitet. Jedes Wort ist vermerkt, an- oder unterstrichen, hier eine Pause, dort ein Betonungszeichen. Fast brachial dagegen auf der Titelseite die bunte Notiz: „Lesebrille!“. Winter hat gern die Kontrolle. Dreimal zählt er die Seiten durch, prüft die Reihenfolge. Während des Films darf er darüber nicht nachdenken, dann springt sein Blick im Sekundentakt zwischen Skript und Leinwand hin und her, die oberste Seite zwischen Daumen und Zeigefinger, die nächste schon mit dem Mittelfinger angehoben. Bloß keine Zeit beim Umblättern verlieren. Die Pointen müssen sitzen, das ist Millimeterarbeit.

Wenn Winter vom Blatt spielt, ist Astrid Geeses Disziplin die Improvisation. Oft dolmetscht sie Pressekonferenzen zu Filmen, die sie erst wenige Minuten vorher selbst gesehen hat. Welche Fragen die Journalisten stellen, was die Schauspieler und Regisseure antworten, das kann sie bestenfalls antizipieren. Sie versucht trotzdem, so gut wie möglich präpariert zu sein.

In diesem Jahr dolmetscht sie etwa für „Kongens Nei“, einen Film über den norwegischen König während des „Dritten Reichs“ . Wenn möglich, geht sie einige Tage vorher in die Pressevorführungen. Ist das nicht möglich, muss sie sich anders behelfen. Dann liest sie sich in die Themen ein, vor allem schaut sie, welche Namen wichtig sind. Geht es zum Beispiel um den Senegal, schaut sie, wie die politische Lage dort ist, falls jemand fragt.

In ihrer Glaskabine, von der aus sie Presse und Stars gleichermaßen im Blick hat, liegt dann ein kleiner Spickzettel in Form eines Tablets. Der Rest geht frei Hand. Englisch hin, Deutsch zurück. „Übersetzen ist lernbar, aber simultan, das kann man, oder eben nicht“, sagt sie. Sie kann. Und sie liebt ihren Beruf. Ständig neue Themen, die Chance, hinter die Kulissen schauen zu können, Promis zu treffen. Tilda Swinton sei toll gewesen, Christoph Schlingensief oder Meryl Streep. „ Selbstbewusst, kein verlegenes Kichern, ein feiner Sinn für Humor. Das bleibt im Gedächtnis“, sagt Geese. Weniger schön: Schauspieler, die nicht ganz nüchtern zu Pressekonferenzen erscheinen. Durch ihre Kopfhörer bekommt Geese das deutlich mit. Namen nennt sie natürlich keine. Wenn Tumult auf der Bühne ausbricht, muss sie sich entscheiden, an wem sie „dran bleibt“.

Computer sind nicht in der Lage, zu improvisieren

Das können nur echte Menschen, Computer wären dazu nicht in der Lage. Aber wie ist das bei den Einsprechern, wäre es nicht einfacher, den Film zu synchronisieren und die Tonspur abzuspielen? „Das geht technisch nicht. Oft werden die finalen Versionen erst kurz vor Festival-Beginn eingereicht“, sagt Winter.

Mitunter kann das zu Schwierigkeiten führen. Vor ein paar Jahren saß Winter wenige Minuten vor der Premiere in der Tonprobe, als auffiel: Skript und Szenen stimmen nicht überein. „Die hatten den gesamten Film umgeschnitten, ohne dass wir das wussten.“ Die wochenlange Arbeit am Skript war damit für die Katz, Winter musste improvisieren. „Ich habe dann die englischen Untertitel synchron übersetzt. In der Nacht schrieb er sein Skript für die weiteren Aufführungen um. Winter nahm es sportlich: „So ist das eben bei einem A-Festival, das gehört dazu.“ In diesem Jahr hat sein Skript gepasst, die Kinder haben mitgefiebert und niemand hat sich über die Stimme aus dem Off gewundert. So ist es Winter dann doch am liebsten.

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