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Kultur: Überstehen ist alles

Science-Fiction und Familienkrise: Steven Spielbergs ultimative Panikattacke „Krieg der Welten“

Das Böse kommt beinahe lautlos. Das Gras beginnt zu zittern, die Stille ist unerträglich. Kein wummerndes Blech warnt vor den Außerirdischen, kein Symphonieorchester kündigt ihren Auftritt an. Nichts ist zu hören außer dem furchtsamen Wimmern im Kinosaal. Dann bricht die Hölle los, aus dem Nichts, aus dem Schweigen. Es ist die Hölle der Angst.

Spätestens seit „Der weiße Hai“ ist Steven Spielberg der beste Angstmacher Hollywoods. Wie kein anderer beherrscht er die Kunst, die Nerven des Zuschauers blank zu legen und dessen schlimmste Traumata zu mobilisieren. Kein Wunder also, wenn er das Publikum bei seiner Verfilmung von H.G. Wells’ Science-Fiction-Klassiker „Krieg der Welten“ mit dem weitgehenden Verzicht auf den genre-üblichen bombastischen Soundtrack foltert. Geräusche sind gruseliger, die Fanfaren gibt es hinterher gratis dazu. So zeigt Spielberg Amerika als zutiefst verunsicherte Nation, als ein Land im Würgegriff der Angst vor dem globalen Terror, der aus heiterem Himmel zuschlagen kann. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Regisseur von „E.T.“ und „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ in den Aliens noch schutzbedürftige Kinder sah. Diesmal ist das Fremde nicht liebenswert-verschroben, sondern pure Bedrohung. Totaler Terror, null Toleranz.

Mitten in New Jersey, im Alltag der kleinen Leute, brauen sich Sturmwolken zusammen. Der Asphalt an der Straßenkreuzung reißt auf, die Erde öffnet sich, und die Eindringlinge von outer space erheben sich mit ihren Tripods, gigantischen dreibeinigen Metallsauriern, über die Stadt und fegen mit Feuerstrahlen alles hinweg. Das Böse, eine Naturkatastrophe. Ein infernalisches Blitzgewitter, dem diese unerträgliche Stille folgt, viele bange Minuten lang. Sie kommen wieder, das ist klar, und sie sind unaufhaltsam.

Alien-Filme unterscheiden sich von Katastrophenfilmen gewöhnlich dadurch, dass die Außerirdischen anders als ein Erdbeben oder eine Sturmflut vom Menschen besiegt werden können. Man muss nur clever sein und, wie in „Independence Day“, ein Virus ins feindliche Computersystem schleusen oder, wie in „Mars Attacks“, die Köpfe der Mars-Kobolde mittels Omas Lieblings-Countrysong platzen lassen.

Im „Krieg der Welten“ ist das anders: Wie in der Romanvorlage ist es am Ende der Mikrokosmos, der den Makrokosmos befriedet. Und Tom Cruise markiert als Arbeiter Ray nicht den tapferen Helden, der der Invasion die Stirn zu bieten wagt. Nein, dieser asymmetrische Krieg ist von vornherein verloren. „Sind es Terroristen?“, wird Ray gefragt. Nein, schlimmer. „Ist es Europa?“ Noch schlimmer: Im einzigen ironischen Dialog des Films wird das Gefahrenpotenzial der Europäer nur von den Extraterrestrischen überboten. Die Menschheit ist wehrlos. Nicht siegen, überstehen ist alles. Also rennet, rettet, flüchtet Ray mit seiner neunmalklugen, später permanent schreienden Tochter Rachel (Dakota Fanning) und dem mürrischen, pubertierenden Sohn Robbie (Justin Chatwin), versteckt sich, schlägt sich durch. Cruise zittert, weint, ist erschöpft und überfordert im Chaos der Flüchtlingsströme, in Hungersnot, Elend, Massenpanik – Szenen wie aus den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts.

H.G.Wells nahm in seinem Roman von 1898 die Hybris des britischen Kolonialreichs aufs Korn. „War of the Worlds“ lehrte seine Leser Demut: die Einsicht, dass eine intelligentere Spezies auch die Engländer eines Tages kolonisieren könnte. Orson Welles wiederum verlegte in seiner legendären Radio-Version von 1938 den Schauplatz nach New Jersey, hatte den heraufziehenden Weltkrieg im Sinn und löste mit seinem täuschend realistischen Hörspiel selber eine Massenpanik aus. Und Byron Haskin verfilmte den Klassiker 1953 als Parabel auf den Kalten Krieg und auf die amerikanische Furcht vor der russischen Atombombe.

Bei Haskin zerstören die Eindringlinge vom Mars eine friedliche Kleinbürger-Welt. Als die Aliens landen, strömt das Volk gerade aus dem Kino, man geht zum Square Dance, die Cops spielen Karten. Bei Spielberg ist es umgekehrt: Eine alles andere als heile Welt wird dank der Katastrophe wenigstens ein bisschen versöhnt. Der Dockarbeiter Ray malocht von früh bis spät, er haust in einem Loch von Wohnung, seine Ex-Frau bringt übers Wochenende die Kinder vorbei. Er weiß nichts mit ihnen anzufangen, die Kids können ihn ihrerseits nicht ausstehen. Ein gescheiterter Mann, eine kaputte Familie. Die Katastrophe lehrt Ray, ein guter Vater zu sein, und die Kinder lernen Respekt vor ihrem Daddy.

Eine Familien-Moritat: typisch Spielberg. Ungewöhnlich ist die Vermischung der Genres. In die Science-Fiction-Story von den knorpelig-ekligen Aliens, die im Stahlkopf riesiger Kampfmaschinen Häuser zertrampeln, Kirchtürme umknicken, ganze Städte und halbe Kontinente per Feuersturm auslöschen, die sich von Menschenblut ernähren (und es zum Glück nicht vertragen) und das Land mit blutrotem Wurzelwerk überwuchern – in dieses 135-Millionen-Dollar-Actionspektakel (Branchenkürzel: „W.O.W“) hat Spielberg ein Kammerspiel hineingewoben, eine in düsteren Farben gezeichnete sozialrealistische Erzählung. Jenseits aller Spezialeffekte nimmt sich „Krieg der Welten“ über weite Strecken wie ein Psychodrama à la New Hollywood aus.

Topografie des Verdrängten. In diesen Passagen bevorzugt Spielberg Rumpelkammern, Keller und andere klaustrophobische Schauplätze im Halbdunkel, die Gesichter starren vor Schmutz. Kein Schauwert, nirgends. Ray kann nicht kochen, Rachel verträgt keine Peanut-Butter, Robbie wirft seinem Vater Egoismus vor, und Daddy lernt mitten im Inferno, dass man ein Kind mangels Kenntnis von Schlafliedern notfalls auch mit Popsongs besänftigen kann.

Die Odyssee der drei: das Sühneopfer eines schuldigen Vaters, der Versuch einer Familienzusammenführung. Ray bricht nach Boston auf, weil sich die Mutter der Kinder dort bei den Großeltern aufhält. Die schier aussichtslose Reise beginnt in einem Minivan; das Automobil, diese familiäre Keimzelle der Nation, verteidigt Ray notfalls sogar mit der Waffe. Die anderen wollen auch überleben? Egal, rette sich, wer kann.

Was würdest du tun, um deine Liebsten zu schützen? Die klassische Fangfrage für Kriegsdienstverweigerer beantwortet Spielberg mit einem klaren Plädoyer für das Recht auf Gewalt. Elterlich Fürsorge legitimiert jedes Mittel, als es zum Showdown im Bauernhaus kommt, noch so einer klaustrophobischen Höhle. Die MarsUngeheuer strecken ihre schlangengleichen Suchmaschinen mit dem elektronischen Auge ins Kellerloch und erkunden jeden Winkel. Wer sich rührt, ist verloren – die ultimative Panikattacke. Ogilvy (Tim Robbins), einziger überlebender Bewohner des Hauses, hatte Ray und Rachel Asyl gewährt. Jetzt droht er in seinem Angstwahn alle zu verraten, da bleibt Ray keine Wahl. Ein moralisches Dilemma, das H.G.Wells seinem Ich-Erzähler noch zugestanden hatte, inszeniert Spielberg übrigens nicht. Schade auch, dass Cruises Stärke nun einmal der glamouröse Siegertypus ist und nicht der Charakterdarsteller. Die Mimik des „Top Gun“-Stars erschöpft sich in Posen des Erschreckens oder in deplatziert hilflosem Grinsen.

Und Robbie? Der Sohn will kämpfen, will Rache. Während Vater und Schwester einen Unterschlupf suchen, interessiert sich der Halbwüchsige zunehmend fürs Militär. Das tut wenigstens was, dort, auf der anderen Seite des Hügels, wo der Krieg der Welten vor den Augen des Publikums zunächst verborgen bleibt – damit auch die 12-Jährigen mit ins Kino können. 400 Statisten stellte die US-Army zur Verfügung, die 10th Mountain Division des Staates New York, Marine-Infanteristen aus Kalifornien und mengenweise Kriegsgerät. Auch ohne finale Schlacht dürfte Spielbergs Message den Öffentlichkeitsarbeitern des Pentagon gefallen: Beschützt die Frauen, lasst eure Söhne in den Krieg ziehen – Ray nimmt es schließlich hin, dass Robbie sich rekrutieren lässt, um die Nation zu verteidigen.

Das kommt einem bekannt vor: dass die USA ihre Söhne in einen für die amerikanische Öffentlichkeit weitgehend unsichtbaren und von vielen für aussichtslos gehaltenen Krieg schicken. Sie werden schon irgendwie heimkehren, der Rest ist tabu. Immerhin hatte der Vater Robbie zunächst aufzuhalten versucht, aber seine Skrupel schließlich überwunden. Auch darin ist Spielberg Meister. Er bedient das populäre Genre, die wohldosierten Blicke auf die andere Seite des Hügels genügen, um für atemlose Spannung zu sorgen. Aber er zeichnet zugleich ein Sittenbild des kollektiven Unbewussten, einer verstörten Gesellschaft, die wegguckt, was den Irak betrifft, und mit sich selber kein bisschen im Reinen ist.

Auf den ersten Blick redet Steven Spielberg der sozialen und politischen Moral eines konservativen Amerika das Wort. Auf den zweiten aber ist sein Film so zerrissen wie die Welt, in der „War of the Worlds“ morgen mit 15000 Kopien in den Kinos startet.

In Berlin ab Mittwoch um 0.01 Uhr in 28 Berliner Kinos. OmU im Filmtheater am Friedrichshain, OV im Cinemaxx Potsdamer Platz und Cinestar Sony-Center

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