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Fescher Fummel. Lothar Lambert als alternder Travestiestar Lola in seinem Film "In Hasssliebe Lola" von 1994.

© Deutsche Kinemathek / Sammlung Lothar Lambert

Underground-König Lothar Lambert: Der Berliner Szene-Filmer feiert 70. Geburtstag

Spiel doch mit dem Schmuddelfilmer: Lothar Lambert hatte sie alle - Ingrid Caven, Jim Jarmusch, Brigitte Mira, Klaus Nomi, Norman Jewison, Rainer Werner Fassbinder oder Evelyn Künneke. Trotzdem will er mit dem Filmen aufhören.

Nichts können, alles wollen, einfach machen. Das könnte so ein bisschen der magische Dreisprung des Lothar Lambert sein. Oder doch besser: Alles können, nichts wollen, einfach weitermachen? Hm, tja, stimmt alles, in jedem Fall – machen! Ohne Geld, ohne Namen, ohne Drehbuch, ohne tausend Gründe herzusuchen, warum es nicht geht, warum es nicht gut wird, warum es längst erzählt ist. Lambert macht.

In 40 Jahren als Undergroundfilmer sind fast 40 Filme zusammengekommen. Hat er Ehrentitel wie „Schmuddelfilmer“, „König des Undergrounds“ oder „Berlins Antwort auf Andy Warhol“ verliehen bekommen. Waren 17 seiner Filme auf der Berlinale zu sehen. Wurde einer seiner Filme – das Rassismusdrama „1 Berlin-Harlem“ – vom New Yorker MoMA archiviert. Spielten Ingrid Caven, Jim Jarmusch, Brigitte Mira, Klaus Nomi, Norman Jewison, Rainer Werner Fassbinder oder Evelyn Künneke bei ihm. Konnten ihm an Kultpotenzial und Augenroll-Empörung über seine Sex- und Herzensnot-Filme nur die Indie-Kollegen und Krawallschachteln Rosa von Praunheim und Klaus Lemke das Wasser reichen.

Selbstredend kommt zum 70. Geburtstags des Regisseurs, Malers, Berliners, der mit einer Ausstellung im Schwulen Museum und mehreren Retrospektiven geehrt wird, am morgigen Donnerstag auch ein neuer Film heraus: die Dokumentation „Ritter der Risikorunde“. Darin widmet sich Lothar Lambert, der Filme wie „Tiergarten“, „Die Alptraumfrau“, „Fräulein Berlin“ oder „Fucking City“ durchweg konsequent an den Bedürfnissen, Produktionsstrukturen und Vertriebswegen des Marktes vorbei gedreht hat, seiner liebsten Zielgruppe: Menschen mit eigenwilligen Lebensläufen.

Schließlich ist der Mann, von dem seine Freunde im Film sagen „bei ihm kann’s ganz schnell von KaDeWe zu Aldi umschlagen“ der Lobbyist der Andersartigen, Mühseligen und Beladenen. Schon seit seinem ersten Film „Kurzschluss“ (1971) über zwei trunksüchtige, arbeitslose Weddinger Hinterhof-Assis. Und diesmal wieder, auch wenn „Ritter der Risikorunde“ ein sympathisch sonniger, verständlicher, sex- und drogenloser Film voller teils prekärer, aber bürgerlicher Existenzen ist. Die künstlerische, Jobs wechselnde, Nischen suchende, homosexuelle Berliner Variante halt. Vereint in diesem Riesenkaffeeklatsch, der das Leben in Lamberts wortreichen, handlungsarmen Kein-Budget-Filmen ist.

„Nun, küsst euch doch mal!“

„Mensch, Lothar!“, sagen zwei dieser nervenstarken Helden genervt zu Lothar Lambert, der ihnen mit vorgehaltenem Mikro in der eigenen Küche auf die Pelle rückt. „Nun, küsst euch doch mal!“, fordert er die beiden auf. Sie zieren sich. Ist ja eine Kamera da. „Nun, macht doch mal.“ Sie genieren sich. „Mensch, seid ihr spießig“, quengelt Lambert und bekommt seinen Willen. Ja, er kann ein Terrorist des Intimen sein. Auch wenn er von sich auf andere schließt, sich persönlich lieber vornehm zurückhält – und zugleich das Herz auf der Zunge trägt.

Treffen Lothar Lambert, das erste:

Bei ihm um die Ecke, in Schöneberg, wo das am 24. Juli 1944 kriegsbedingt in Thüringen geborene Kriegskind seit zehn Jahren wohnt. Er sitzt im Café hinter der Zeitung, das macht er jeden Tag mehrere Stunden, immer in einem anderen seiner Stammcafés. Weil er, der an der Freien Universität Publizistik studiert und von 1970 bis 2005 für zahllose Berliner Blätter Film- und Konzertkritiken geschrieben hat, auch immer noch Journalist ist. Und weil ein Kaffee weniger kostet als mehrere Zeitungsabos. Besonders für einen, der mit seinen Filmen kein Geld verdient hat und 250 Euro Rente im Monat bekommt. Na, die Zahl solle doch sicher nicht in die Zeitung? Wieso denn nicht?, fragt Lambert. Kein menschlicher Abgrund ist ihm fremd, auch sein eigener finanzieller nicht.

Der herzliche Herr mit dem Gehstock und dem Berlinale-Schlüsselanhänger am Hals ist die Verbindlichkeit in Person und knallt einen Korken nach dem anderen raus: „Bei mir von Kunst zu reden, ist eh absurd.“ Er sei nun mal kein Intellektueller, dafür absoluter Einzelgänger, allein lebend, immer. Trotz seiner legendären Künstlerfamilie, der schrägen Lambert-Family. „Ich sehe das meiste, was Menschen im Leben machen, nur als Beschäftigungstherapie.“ Oder als Hobby, wie in seinem Fall. Kein Grund also, sich übermäßig wichtig zu nehmen. Dann: „Ich bin fantasielos und kann mir ein Leben außerhalb Berlins nicht vorstellen“. Obwohl er auch in New York gedreht und sich in einen schwarzen Amerikaner verliebt hat. Außerdem hat er immer gerne Frauen und ihren Brüsten gehuldigt und Körperlichkeit in seinen Filmen drastisch thematisiert. Und dass, obwohl er selbst keine Filme mit Sexszenen erträgt. Da geniert sich Lambert, in dessen Seele die ausgeflippte Fummeltrine direkt neben dem seriösen Sparkassenberater wohnt. Aber so was von. Er schüttelt sich. Anderer Filmemacher Fleisch anschauen, das ist ihm nichts, das ist ihm widerlich.

Fescher Fächer. Lothar Lambert im heimischen Schöneberg.
Fescher Fächer. Lothar Lambert im heimischen Schöneberg.

© Promo/Jan Gympel

Privat hat er das eh hinter sich: „Ich war mal schwul, jetzt bin ich asexuell.“ Das macht der Bluthochdruck. Dessen Medikation hat Lamberts durch viele Tiergarten-Streifzüge mühsam in Schach gehaltene Libido gekillt, irgendwann in den Neunzigern schon. Praunheim mag ein schwuler Regisseur sein, Lambert sagt von sich: Ich bin ein Schwuler, der Filme macht. Wobei der Sex ja vorbei ist. Und die ersatzweise in seinem Moabiter Atelier wie im Rausch betriebene Malerei auch. Noch so was, was Lambert nicht kann, um es doch zu können und einfach zu machen – Malen. Ein bisschen erinnern seine farbenfrohen Gemälde an die neoexpressionistischen Frauengestalten von Elvira Bach. 2000 habe er gemalt, sagt Lambert, die müsse er nicht alle behalten. „Besuch’ mich mal im Atelier, dann schenke ich dir eins.“ Wie, du? Sie, du, egal, Lambert lacht und gibt eine Tüte DVDs und ein signiertes Buch zum Anschauen mit. Schließlich war er schon Underground, als es den überhaupt noch nicht gab.

Ein Chronist des alten Westens

Dass der Kaufmannssohn Lothar Lambert auch ein Chronist des alten Westens ist, wird nicht nur beim Anhören seiner Geschichten als „Macken-Paule“ genannter leidenschaftlicherer Freestyle-Tänzer in der Diskothek Big Apple an der Bundesallee klar. Fast jeder seiner Filme zeigt diese merkwürdige, klemmige, kuschelige Welt, die West-Berlin war. Und einer mit untypischem 50 000-Mark-Budget und Handlung wie die GI-Geschichte „1 Harlem – Berlin“, den er 1974 noch mit Wolfram Zobus zusammen drehte, gar eine coole, von Neubauvierteln wie Gropiusstadt und Märkisches Viertel strukturierte Stadtlandschaft in Schwarzweiß.

Treffen Lothar Lambert, das zweite:

Ein paar Tage später, bei der Eröffnung der Ausstellung „Nackte Scham und schöne Schande“ im Schwulen Museum: ein 16-jähriger, schüchtern lächelnder Lambert als Autogrammjäger neben Marika Rökk, Gemälde von Lambert, Gemälde mit Lambert drauf, Fotos, auf denen Lambert als schlanker Schnauzerträger in Siebzigerschlaghosen posiert, Zitate über Lambert, Filmausschnitte, die blaue Besetzungscouch aus dem Moabiter Atelier, in dem viele Lambert-Filme entstanden, Lamberts Perücken, Fotos der Lambert-Family, zu der übrigens auch die legendäre Tagesspiegel-Sekretärin Anneliese Dörrast gehört. Und die Berlinale-Fotografin Erika Rabau, der seine nächste, fertig produzierte Dokumentation gilt.

Mittendrin im Museum Lothar Lambert, mit Stock, mit Berlinale-Schlüsselanhänger. Dass der Kurator Lobeshymnen auf den „einzigen wirklich unabhängigen Filmemacher Deutschlands“ singt, geniert ihn sichtlich. Er macht einen Schritt, als wolle er weglaufen. Filmfestivals, Vernissagen, eine Qual für ihn. „Da stellt sich mir extrem die Sinnfrage.“ Auch als Selbstdarsteller, als Mann im Mittelpunkt. „ Ich beschäftige mich nicht gern mit mir, lasse mir lieber von anderen erzählen.“ Trotzdem will er drin sein in seinen Filmen, will die Menschen, die Welt in Beziehung zu sich setzen, zum Planeten Lambert. Als Stimme, Darsteller, Interviewer – mit der Kamera als Nähe und Distanz schaffendes Medium.

Stiller Menschenfreund und manischer Plauderer

Nach dem Erika-Rabau-Film soll noch einer kommen, „Fucking City revisited“, der letzte Berlin-Streifzug des Lothar Lambert. Und dann ist Schluss? Er nickt: „Da bin ich gar nicht sentimental.“ Ausgeschrieben, ausgemalt, ausgetanzt, ausgefickt (ja, das darf man in einem Lothar-Lambert-Artikel schreiben) hat er schon. Und dann eben ausgefilmt.

Mal ist mit jedem Hobby Schluss. Sein Vater habe nach Ansicht eines seiner Filme zu ihm gesagt: „Na, Fassbinder biste ja nicht gerade!“ Lambert lächelt. „Ich bin meine eigene Marke geworden.“ Und was für eine. Ein Filmemacher als Seelentröster, der in „Ritter der Risikogruppe“ zu dem Maler Alexander K. alias Schädelwaldt sagt: „Spatzi, gib nicht auf, irgendeine Art von Ruhm kommt schon noch.“ Ein stiller Menschenfreund und manischer Plauderer, der jedem Pups eine Weltbühne schafft. Heiter zu sehen, wie der Filmemacher aus dem Interview einer Radiojournalistin sein eigenes macht. Nach 25 Minuten stellt er die Fragen, sie antwortet, er hakt nach, sie erzählt. Zwei Menschen auf dem blauen Sofa, das manchen nackten Hintern gesehen hat, in Lothar Lamberts Kaffeeklatsch des Lebens innig vereint.

NEUER FILM

Die Doku „Ritter der Risikorunde“ hat am Do 24.7., 20 Uhr, Premiere im Kino in der Brotfabrik.

AUSSTELLUNG
Das Schwule Museum, Lützowstraße 73, Tiergarten, zeigt bis 6.10. „Nackte Scham und schöne Schande – Lothar Lambert Underground: Bilder, Filme, Leben“.

RETROSPEKTIVEN
Eine Hommage läuft im Bundesplatzkino: So 27.7. „Fräulein Berlin“, Sa 2.8. „Lost & found im Underground: Lothar Lamberts Psycho City“. In der Brotfabrik sind vom 24. 7. bis 6. 8. „Das dokumentarische Werk“ und

Gemälde von Lambert zu sehen. Das Kino Arsenal zeigt am Mo 28. 7., 19 Uhr, „Was Sie nie über Frauen wissen wollten“ in Anwesenheit von Lambert.

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