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Die Zigarette davor. Agata (Julia Kijowska).

© Oleg Mutu

„United States of Love“ bei der Berlinale: Trostloses Begehren

Seltsame Luftfische, die nach Liebe schnappen: Die Menschen in Tomasz Wasilewskis Wettbewerbsfilm „United States of Love“. Damals, 1990 in Polen.

Ausgewaschen, ja, ausgewrungen sind die Farben aus der Vorstadtwelt von „Zjednoczone Stany Mimodci“ (United States of Love), so blassblau wie nächtelang gekochte Jeans. Wie Terrarien stehen in leerer Landschaft die Plattenwohnbunker, und ihre Bewohner sind die blutarmen Chamäleons, die in dieser Blässe leben. Oder auch: seltsame Luftfische, die nach Liebe schnappen.

Die Laubengänge wirken wie ein Knasttrakt

Es ist 1990 in einer Siedlung im polnischen Irgendwo (ausdrücklich der Provinzstadt Inowrocmaw nahe Torun nachempfunden, in der Regisseur Tomasz Wasilewski aufgewachsen ist); von der Grellbuntheit des westlichen Warenwelt ist hier noch kaum etwas angekommen. Ab und zu mischt der rumänische Kameramann Oleg Mutu – für Cristian Mungiu und Sergej Loznitsa hat er bereits ähnlich eindrucksvolle Bilderseelenwelten gezaubert – ein bisschen Braun unter. Oder ein Beige. Und schon wirken die Laubengänge im Innern der Platte wie ein Knasttrakt, nur dass die zwischen die Stockwerke gespannten Netze fehlen.

Traurig, böse, sonderbar

Von Aufbruch mag das erste noch munter farbgetupfte Bild künden, das die Protagonisten bei einem familiär-nachbarschaftlichen Namenstagsfest zusammenführt. Die neue Zeit ist zwar offiziell da, äußert sich aber sogleich in offenkundiger Abwesenheit (etwa eines Ehemanns, der in Deutschland arbeitet und zur Feier eine Videokassettenbotschaft schickt). Und als die eigentlichen Geschichten beginnen, die Wasilewski nach eigenem Drehbuch eher Stück für Stück ausbreitet, sickert Abwesenheit immer abstrakter und abgründiger ein. Was fehlt diesen Leuten? Ziemlich alles. Und wie kommen sie damit klar? Traurig, böse, sonderbar.

Kapitalismuskritik und Retro-Sehnsucht

Agata (Julia Kijowska) hat einen lieben Mann, sich aber rettungslos in einen schönen Priester verguckt. Die Schulleiterin Iza (Magdalena Cielecka) will ihren frisch verwitweten Geliebten Karol (Andrzej Chyra) endlich für sich, und das mit aller Gewalt. Die ältere Lehrerin Renata, alleinlebend mit mindestens zwei Dutzend freifliegenden Kanarienvögeln, hängt sich an ihre junge Nachbarin, die Aerobiclehrerin Marzena (Marta Nieradkiewicz), die von einer Modelkarriere träumt. Marzena ist eine Gute, Liebe, Freundliche: Sie benutzt niemanden. Zum Dank dafür wird sie umso mehr von anderen benutzt.

Kapitalismuskritik, Retro-Sehnsucht gar nach realsozialistischer Stubenwärme treibt den 1980 geborenen Regisseur in seinem dritten Spielfilm keineswegs um. Eher zeigt er einen Gefühlsstau in den Figuren selbst, der sich nun, egoistisch bis zur sexuellen Entgrenzung, aufzulösen beginnt. Und binnen weniger Filmviertelstunden regiert die hässliche Moderne eines Todd Solondz oder Ulrich Seidl – in den global visafreien Vereinigten Staaten der Einsamkeit, der Lieblosigkeit. Und, weil der Mensch ja zur gefährlichen Gattung der unvernunftbegabten Nacktschnecken gehört, des trostlosen Begehrens.

20.2., 9.30 und 21 Uhr (Friedrichstadt Palast), 10 Uhr (Zoo-Palast 1); 21.2., 22.30 Uhr (International)

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