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Uraufführung an der Staatsoper: Helmut Oehring präsentiert seine neue Oper "Aschemond"

Der Komponist Helmut Oehring schreibt gerne existierende Musik weiter. In "Aschemond" hat er sich jetzt Henry Purcells "Fairy Queen" vorgenommen. Gemeinsam mit Regisseur Claus Guth treiben dem Stück den Frühling aus.

„Musik soll für eine Weile / all deinen Kummer stillen“, verspricht die schwebende Stimme des Countertenors mit Henry Purcells berühmtem Song. Und berührt damit zugleich einen Grund, warum wir immer wieder ihre Nähe, die Tröstungen dieser flüchtigen Kunst suchen. Töne ersterben in Kürze, doch aus ihrer Reihung entsteht mitunter ein Geflecht, das alles zu überdauern scheint. Mit „Music for a while“, einem Manifest melancholischer Musikliebhaber, hebt nach kurzem Knistern und Raunen aus den Lautsprechern die Uraufführung von Helmut Oehrings neuem Musiktheater in der Staatsoper im Schiller Theater an. Bruchstücke aus Purcells Sommernachtstraum-Bühnenmusik „The Fairy Queen“ und andere seiner Theatersongs tauchen darin auf, bearbeitet oder auch pur, dazu Oehrings eigene Vertonungen von Texten von – natürlich – Shakespeare über – absehbar – Heine bis hin zu – ungeahnt! – Stifter. Das Credo des Komponisten: „Alle Leben enden. Alle Herzen brechen. Immer.“ Schnell ahnt man, dass Trost an diesem Abend hart errungen werden will, und drückt sich etwas gerader in den Sitz.

Am Anfang hatte die Staatsoper Regisseur Claus Guth gebeten, sich mit Purcells „The Fairy Queen“ auseinanderzusetzen. Da das Werk der eigenwilligen britischen Barockbauart der Semi-Opera angehört, in der Musik nur locker mit dem zu begleitenden Theaterstück korrespondiert, wusste Guth, dass er von Grund auf eine neue Struktur schaffen musste. Musikalisch legte man diesen Prozess in die Hände des Komponisten Helmut Oehring, mit dem Guth unlängst eine Paraphrase von Wagners „Holländer“ in Düsseldorf herausgebracht hat. Das eingespielte Team machte sich auf den Weg ins Reich der Feen und Zaubersäfte, folgte der Spur von Liebestollheiten in magischen Wäldern, die, dem rationalen Leben entrückt, dieses doch nachhaltig erschüttern. Längst hat sich auf den Bühnen herumgesprochen, dass der „Sommernachtstraum“ ebenso wenig leichtgewichtig komisch ist wie Mozarts „Così“. Doch Guth schleppt zusätzlich schwere Steine heran, will der Leichtigkeit von Purcells Musik etwas „radikal Düsteres“ entgegenstellen. Ingmar Bergman? Sarah Kane? Schließlich wählt der Regisseur Tagebucheinträge von Sylvia Plath aus, um von „Aschemond“ erzählen zu können.

Die Bühne ist ein Käfig für Unbehauste

Guth ist ein Meister darin, Opern psychologisch ausgefeilte Geschichten abzulauschen, er kann sie auch komplett soufflieren wie bei seiner szenischen Version von Händels „Messiah“. „Aschemond“ unterschiebt er weitgehend unangestrengt die Geschichte eines Mannes, der in die leer stehende Kindheitswohnung zurückkehrt und einem Trauma begegnet: Seine Mutter hat sich hier umgebracht. Er liest ihr Tagebuch, das das von Sylvia Plath ist, und erlebt immer wieder die letzte Geburtstagsfeier der Mutter, sieht dabei, was er als Kind nicht erkennen konnte: verzweifeltes Lieben, bodenloses Ringen, Betrug und nahenden Tod. Die Bühne dreht sich, durchmisst diesen trostfernen Alltagskäfig für Unbehauste von der Küchenzeile bis zum Klo. Mal sind die Regale gefüllt, mal sind nur Schatten zu erkennen, wo sich ein persönlicher Gegenstand befunden haben muss. Geisterhaft genau gelingen Guth und seinem eingeschworenen Bühnenbildner Christian Schmidt diese szenischen Zurichtungen. Schwerelos gebieten sie über anspruchsvollste Logistik und stopfen ihren Darstellern die Taschen voll Blei.

Wo außer bei Guth wollen Sänger so sehr auch Darsteller sein?

Zu sehen, wie die damit umgehen, bleibt der einzige Trost des Abends. Ulrich Matthes spielt den Kindheitsbefrager mit stillem Schrecken im Blick, bis es ganz am Ende aus ihm herausbricht und sich dieser Ausnahmeschauspieler traut, „I will“ von Thom Yorke gen Himmel zu jaulen, kaum seiner Sinne mächtig, doch ganz bei sich. Wo außer bei Guth erlebt man Sänger, die so sehr Darsteller sein wollen wie die Sopranistin Marlis Petersen als Plaths bebendes Alter Ego? Die so einnehmend abwesend sein können wie der traumwandlerische Countertenor Bejun Mehta. Die so herb und sich selbst undurchsichtig auftreten wie der Bass-Bariton Roman Trekel. Als stoische Fee begleitet die gehörlose Gebärdensolistin Christina Schönfeld die unglücklichen Menschen. Das ist alles großartig gespielt, ächzt aber unter der Last dessen, was da nach der Logik der Hilfserzählung unabwendbar kommen muss, und einer Musik, die Naturmetaphern vertont, sich aber einfach nicht ins Freie trauen will.

Oehring verfügt über eine große Schar von Musikern: die Staatskapelle, den Staatsopernchor, die Akademie für Alte Musik, E-Gitarren, Zuspielungen. Zwingend in Gang zu setzen vermag er diesen Luxusapparat nur selten, die Chorsätze sind kaum individueller als Warteschleifen in Callcentern. Ab und an darf das Verstreichen der Zeit durch den Orchestergraben ticken. Von neugierigem Klangspuk fehlt jede Spur, wie vom Frühling, den Oehring als einzige Jahreszeit verbannt hat aus seinem allegorischen Bühnenspiel. Es beschleicht einen das Gefühl, dieser ausgebuchte Komponist ist durch die stets seinem Auftreten wie seinen Werken eingeschriebene Kindheit in einem stummen Elternhaus mittlerweile nicht nur gut getarnt. In „Aschemond“ scheint er zudem auch unbedingt recht behalten zu wollen. „Alle Leben enden. Alle Herzen brechen. Immer.“ Was ist Musik, wenn nicht Einspruch dagegen? Oehring drückt sich darum herum und entkommt, von einem Meisterregisseur geschützt. Man sieht schwarz nach diesen 145 Minuten. Zuschauer, die unter Depressionen leiden, seien gewarnt.

Wieder am 19., 21., 23., 25. und 28.6.

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