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Versteht es, bunte, skurrile Geschichten zu erzählen. Die österreichische Schriftstellerin Vea Kaiser, 26.

© Ingo Pertramer/Verlag

Vea Kaiser und ihr Roman "Makarionissi": Von den Göttern geliebt

Vea Kaiser hat sich viel vorgenommen. Die österreichische Schriftstellerin erzählt in ihrem neuen Roman Familienroman „Makarionissi oder Die Insel der Seligen“ eine tragikomische, turbulente, herzzerreißende Familiengeschichte.

Ein kleines griechisches Bergdorf nahe der albanischen Grenze. Im Jahr 1956 folgen hier in Varitsi die Dinge noch immer „jahrhundertealten Regeln“ – auch wenn die in ihrer Auslegung einen gewissen Handlungsspielraum zulassen. Kauzig die Einwohner, von größter Herzenswärme zwar, doch spröde nach außen: „In Varitsi sprach niemand über Gefühle. Es gab keine Worte für Bedauern, Freude, Angst oder Zuneigung.“ Und was der Mensch nicht erklären kann, so die Überzeugung dort oben in den Bergen, das verantworten ohnehin die Götter. Die Kunst besteht lediglich darin, die göttlichen Zeichen richtig zu deuten. Eines Tages jedoch unterläuft ausgerechnet Yiayia Maria Kouzis ein folgenschwerer Fehler. Sie – Mutter, Großmutter, Matriarchin – hatte bis dahin die Geschicke ihrer Familie mithilfe der Zeichen zu lenken gewusst, hatte gekuppelt und Intrigen gesponnen. Doch plötzlich geraten ihr die Fäden aus der Hand. Am Ende dieser Geschichte wird keiner ihrer Nachkommen mehr an seinen Heimatort zurückkehren.

Vea Kaiser erzählt in ihrem zweiten Roman „Makarionissi oder Die Insel der Seligen“ eine tragikomische, turbulente, herzzerreißende Familiengeschichte über vier Generationen und sechs Jahrzehnte in fünf verschiedenen Ländern. Es ist bekanntlich Mode, das Alter von Schriftstellern zu erwähnen, solange die noch irgendwie als jung gelten. Bei Vea Kaiser aber scheint das unumgänglich. Denn man staunt über die große Fabulierlust und -kunst der erst 26-jährigen österreichischen Schriftstellerin. Gezeigt hat sie ihr Talent bereits in ihrem 2012 veröffentlichten Debütroman „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“.

Woher schöpft sie all ihre bunten, zuweilen skurrilen Geschichten, die sie so selbstbewusst wie vom Leben fasziniert präsentiert? Wichtigste Inspirationsquelle sei ihre Familie, hat sie in einem Interview gesagt. Und auch Kaisers Sprache begeistert: verspielt und doch klar, episch und pointiert, schwungvoll und zart. Vea Kaiser kann erzählen.

Im Mittelpunkt dieser Geschichte: Yiayia Marias Enkelin Eleni. Schon als kleines Mädchen beschließt Eleni, lieber Heldin als Prinzessin zu sein. Rebellisch und wild, von nichts und niemandem zu bändigen. Lieber mischt sie die Prügeleien der älteren Jungs auf, als mit ihren Schwestern das Kochen zu lernen. Auf einer strengen Mädchenschule soll sie erzogen und auf „hauswirtschaftliche Tätigkeiten“ vorbereitet werden. Drei Jahre hält Eleni es dort aus, bis man sie „vor die Tür setzt“. Schon früh verschlingt sie Bücher. Mit den Jahren wird die Lektüre politischer. Während der griechischen Militärdiktatur schließt Eleni sich einer kommunistischen Oppositionsgruppe an.

Doch wurde sie einst nur geboren, so wollte es Yiayia Maria, ihren älteren Cousin Lefti zu heiraten. Als Kinder unzertrennlich, stechen mit dem Heranwachsen die gegensätzlichen Wesen deutlich hervor. Der sanfte, fleißige Lefti wollte nie etwas anderes als ein ruhiges, friedliches Leben. Gern hätte er an Elenis Stelle das Kochen gelernt, statt mit den Älteren des Dorfes zu allerlei Männersachen, die meist im Kafenion begannen und endeten, geschleift zu werden.

Auch von Politik wollte er nie etwas wissen: „Politik ist das Schlimmste auf der ganzen Welt. (...) Politik, Parteien, all das zerriss doch bloß Familien und zog unsichtbare Grenzen durch Dörfer.“ Aber immer wieder durchkreuzt die Politik Leftis private Pläne.

Schließlich heiraten Eleni und Lefti doch und wandern nach Deutschland aus. Während ihre Ehe zum Desaster wird, finden doch beide in Hildesheim ihr Glück. In Leftis Leben tritt Fräulein Trudi Haselbacher. Und auch Eleni verliebt sich, aber ihr Glück bleibt unbeständig. Sie kehrt zurück nach Griechenland, zieht dann nach Chicago, heiratet, bekommt eine Tochter, verlässt Amerika, verliert ihren Mann, sucht die Politik, findet unterschiedlichste Jobs. Es kommen allerhand weitere Personen, Verwandte und Wahlverwandte, in die Geschichte und verschwinden wieder. Es bleibt turbulent bis zum furiosen Finale, zu dem sich alle wiedersehen: auf einer fiktiven Insel in der Ägäis namens Makarionissi. Oder, wie es der Titel verrät, auf der „Insel der Seligen“ – wo nach Hesiod die Götterlieblinge weilen. Diese Anspielung ist nur eine von vielen, die Geschichten, Schauplätze und Figuren des Romans mit der griechischen Sagenwelt verweben.

Kaiser hat einen Roman vom Kleinen im Großen und vom Großen im Kleinen geschrieben. Die Politik durchkreuzt die Pläne der Menschen und bestimmt ihren Lebensrahmen, während sie vor allem ihr persönliches Glück suchen. Auch wenn die gegenwärtige griechische Wirtschaftskrise nur kurz erwähnt wird, scheint sie allgegenwärtig zu sein. Kaisers Roman ist trotzdem kein politischer, nur sind die Nöte, Sorgen und Wünsche jeder einzelnen Figur universell. Im griechischen Bergdorf, in der niedersächsischen Provinz oder in Chicago, überall drehen sich die großen Lebensfragen um Sehnsucht und Glück, Liebe und Verlust, Heimat und Jenseits. Ja, Kaisers Roman ist ein Schmöker, den man bis zum Ende nicht aus der Hand legt, da einem jede Figur so sehr ans Herz gewachsen ist.

Vea Kaiser: Makarionissi oder Die Insel der Seligen. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 450 Seiten, 19,99 €.

Sabrina Wagner

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