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Allein verkabelt. Im Kreuzberger Beta-Haus können Schreibtische tageweise gemietet werden.

© dpa

Moderne Arbeitswelt: Virtuelle Arbeiter

To-Do-Listen runterrocken, Ideen verkaufen - allein sein. Dienstleistungen werden nicht mehr in Konferenzräumen oder Werkbänken erstellt, sondern in Mailinglisten und Skype-Chats. Was soll man tun, wenn Arbeit immer körperloser wird?

Als ich noch bei einer Medienorganisation fest angestellt war, sagte einer meiner Kollegen manchmal, wenn wir uns vor der Kaffeemaschine trafen: "Ich mache heute Facetime." Dabei grinste er verschwörerisch. Facetime, das ist das Codewort für: den Job absitzen, die Stechuhr klacken lassen. Nur körperlich anwesend sein. Ein Entspannungsmoment, der zur unproduktiven "inneren Kündigung" verkommen kann.

Den aufrührerischen Unterbau dazu schrieb Corinne Maier, leitende Angestellte in einem französischen Energiekonzern. Ihr Lob der Faulheit, "Bonjour Paresse", 2005 auf Deutsch erschienen, rief dazu auf, sich durchzuschlawinern, die Firma sei nicht das Leben. Das Leben sei da draußen. Das gilt auch für die sich selbst ausbeutenden Selbstständigen, hierzulande und überall. Der Kurator Chris Dercon schlug 2010 in einem Interview in der Kunstzeitschrift "Monopol" den Schlaf als Protesthaltung vor: "Irgendwo muss man anfangen, wenn man kein Zombie sein will."

Im Mittelhochdeutschen verstand man unter „arebeit“ vor allem Mühe und Not. Auch heute klingt Arbeit nach Strapaze: muss halt sein, Miete, Essen und so. Doch wer macht sich überhaupt noch den Rücken krumm? Klar, Straßen und Häuser werden gebaut, da schichten Hände Stein auf Stein. Auch Putzen geht nicht virtuell. Natürlich ist auch jeder, der vor einem Computer sitzt, irgendwo physisch anwesend. Aber der Buckel schmerzt höchstens vom Sitzen auf dem Bürostuhl. Und oft schmerzt die Seele: Unter Angestellten haben Depressionen und Burn-out von 2007 bis 2009 um 46 Prozent zugenommen, der Leistungsdruck ist schuld.

Was für ein Dilemma: Die einen sind die "Festen" in Verlagen, Stiftungen, Firmen und werden krank vor Stress und Konkurrenzangst. Die anderen sind die "Freien", Journalisten, Designer, Autoren, Berater – und sie werden genauso krank. Dabei hätten sie als Unabhängige die Möglichkeit, Arbeit anders umzusetzen. Das Problem: Sie sind unsichtbar. Aber die Unsichtbaren werden immer mehr.

Ich arbeite, nach einem Jahr Home Office, seit einem halben Jahr in einem Gemeinschaftsbüro, einer ehemaligen Glaserei, die wir zu dritt gemietet haben, weil ich nicht mehr vereinzelt und stumm zu Hause sitzen wollte. Vorher habe ich studiert, in der Hoffnung auf einen festen Job zahlreiche Praktika gemacht, ein Volontariat ergattert, sogar Buchverträge, eines war ein "Praktikantenroman", ja, das ist heute laut Wikipedia schon ein Genre. Ich habe etwa 20 Institutionen von innen gesehen, und manchmal erinnern sich Leute an mich und geben mir Aufträge. Mein Telefonbuch ist mein Kapital. Manchmal gucken Passanten durch unsere Ladenfenster. Von außen ist uns nichts anzusehen. Aber wir sind unter Strom.

Wenn Dienstleistungen nicht mehr in Konferenzräumen und an Werkbänken erstellt, sondern in Mailinglisten, Skype- Chats oder Telefonkonferenzen abgesprochen werden, weil feste, auch physisch verankerte Arbeitsplätze immer häufiger an freie Mitarbeiter ausgelagert werden – wo treffen sich dann heute zwei? Wie schaffen wir Arbeits-Gemeinschaft, wenn wir nicht an einem Ort sind? Und: Ist das überhaupt noch wichtig? In unserer Bürogemeinschaft kochen wir zusammen, diskutieren, hören und machen Musik, lesen uns aus der Zeitung vor. Das macht Spaß. Das ist kritische Masse.

Doch bei allem Spaß an der Arbeit: Wenn ich mit Deadlines jongliere, weil ich mir mein Monatsgehalt aus verschiedenen Quellen zusammensammle, dann kommt mein Kopf nie zur Ruhe. Ich habe sieben E-Mail-Adressen. Kaum habe ich das eine Postfach abgearbeitet, ruft das neue. Die einzige Lösung bei diesem Hase-und-Igel-Spiel ist, die Wochentage einzelnen Projekten zuzuordnen. Nicht ans Telefon gehen, wenn man gerade mit einem anderen Thema beschäftigt ist. Katrin Passig und Sascha Lobo riefen 2008 die "Prokrastination", das Aufschieben, als gangbare Lösung aus.

Virtuelle Arbeiter sind so mit dem Verkauf ihrer Ideen beschäftigt, dass sie ihren Körper vernachlässigen. Wenn sie Muskelkater haben, dann im Mausarm. Sie haben Hunger, weil sie nicht geschafft haben, Mittag zu essen. Im „Betahaus“ am Moritzplatz, das tageweise Arbeitstische vermietet, sogenanntes Flex-Desking, wird täglich ein Kaffee zum Laptop gebracht, das verspricht zumindest die Webseite. Bloß keine Pause machen. Die To-do-Listen runterrocken. Der US-Zukunftsforscher Alvin Toffler hat vor Jahren das „elektronische Dorf“ ausgerufen, das die Menschheit vom Ortszwang befreien würde. Endlich sei es möglich, translokal zu arbeiten. Weil immer weniger Berufe einen physischen Arbeitsplatz notwendig machten, würden Zeit und Energie gespart. Außerdem: Wer die Dinge von dort erledigt, wo er sein will, bleibt verankert mit der ihm lieben Umwelt. Tschüss, Anonymität und Unverbindlichkeit!

Ein schöner Gedanke, oder? Das Internet schenkt Freizeit und Sinn. Von dieser positiven Wahrnehmung der Virtualität sind wir in Deutschland oft noch weit entfernt. Als Führungskräfte gelten häufig die, die früh kommen und spät gehen. Ein sichtbarer Körper auf einem Bürostuhl besetzt Territorium. Er ist da. Man muss an ihm vorbei. Ausgelagerte Jobber sind dagegen unsichtbar, austauschbare, oft günstig bezahlte Zulieferer. Dabei sollte klar sein: Wer einen Arbeitsplatz auslagert, lagert nicht nur den Menschen aus, sondern auch die Kosten für Büroinfrastruktur (Stuhl, Tisch, Telefon, Kopierer, Fax) und Sozialabgaben. Diese Kosten trägt der freie Arbeiter. Was würde passieren, wenn sich die Abwesenden verbündeten, einen Monat lang wirklich nur ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und jedes Extra auch extra abzurechnen?

Klaus Wowereits Senat hat sich alle Mühe gegeben, der Hauptstadt das Potenzial der "Kreativwirtschaft" auf die Fahne zu schreiben. Mit Kulturwirtschaftsberichten wird auf die lebendige Szene hingewiesen, "arm aber sexy" soll Investoren locken. Denn durch die Selbstständigen entstehen neue, ökonomisch tragende Strukturen. 160 500 Beschäftigte soll es in diesem Bereich in Berlin geben. Aber leider ist aus all den Kampagnen noch nicht viel mehr als „be berlin, be creative“ herausgekommen. Wo sind die krativen, nicht-prekären Arbeitspartnerschaften zwischen An- und Abwesenden? Wie reagieren hierarchische Firmenstrukturen auf unhierarchische Arbeitsweisen, auch in der Politik? Wo sind die modernen, flexiblen Versicherungsmodelle außerhalb der Künstlersozialkasse? Wenn Ideen das ökonomische Kraftzentrum der Zukunft sind, wie Richard Florida meint, wo unterstützt die Stadt freie Ideen-Arbeiter und deren Infrastruktur?

Gerade sehen wir, wie der Kunstraum Tacheles, der letzte Ort in Mitte, wo günstige Ateliers zur Verfügung standen, zwangsverwaltet wird. Eine Mauer soll das Anleger-Objekt schützen. Dabei zeigt eigentlich genau solch ein Freiraum wie das Tacheles die Attraktivität Berlins – für andere, nicht stromlinienförmige und vielleicht auch nicht so gut vermarktbare ästhetische Ansätze. Trotz aller Virtualität braucht gute Arbeit auch gute Orte. Körper und Geist sind nicht zu trennen – um das zu verstehen, braucht man keinen Yoga-Unterricht. Die unsichtbaren Arbeiter müssen heraustreten aus dem frei gewählten Schatten, politisch, persönlich und finanziell. Härter über Verträge und Honorare verhandeln. Statt Pauschalbeträgen Tagessätze nehmen. Sich zusammentun, wie etwa die "Freischreiber", der 2008 gegründete Berufsverband für freie Journalisten. Auch mal Fünfe gerade sein zu lassen, fällt doch gar nicht auf, wenn man so weit weg ist.

Einmal im Jahr macht die digitale Klasse Facetime: bei der "Coworking Week". Für eine Woche verlassen mobile und flexible Arbeiter ihre Räume, arbeiten in Parks, Cafés, Theaterräumen, und zeigen ihr Gesicht. Körperliche Anwesenheit! Heraus zum ersten Mal! 2010 fand dieses Festival in ganz Deutschland statt, es wurde über eine Webseite koordiniert, in die jeder Interessierte seine Veranstaltung eintragen konnte. Kooperation statt Einzelkämpfertum. Wir haben in unserer Ex-Glaserei, die damals noch kein W-Lan hatte, eine Offline-Woche angeboten und einen Hinweis dazu ins Fenster gehängt. Der Einzige, der vorbei kam, war ein Gast aus der benachbarten Eckkneipe. Er hatte eine Anmerkung zu unserem Aushang: "Co-Working schreibt man mit Bindestrich." Yes, dachten wir, endlich einer, der mal was sagt. Laut. Wir haben das dann korrigiert.

Nikola Richter lebt als freie Autorin und Redakteurin in Berlin. Von ihr erschien "Die Lebenspraktikanten" 2006 im Fischer Taschenbuch-Verlag.

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