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Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

© dpa

Volksbühne: Ins Knie schießt sich die Utopie

Die Volksbühne plant eine Castorf-Abschiedssaison. Plant der Senat den Abschied vom Volksbühnen-Theater?

Ein Osterei, aber keine Überraschung: Frank Castorf bleibt noch ein Jahr länger, bis 2017. Und wenn schon, ist auch egal, oder? Ist jetzt mal gut so. Dabei wird die Volksbühne zum Berliner Diskussionsthema Nummer eins. Nicht aus künstlerischen, sondern aus kulturpolitischen Gründen. Was damit zusammenhängt, dass Vergangenheit und Zukunft wild miteinander streiten. Absurd, mit unerwarteten Wendungen, nervig bis faszinierend: Es ist die beste Castorf-Inszenierung seit Langem. Sie heißt, in Erinnerung an seine großen Dostojewski-Abende, „Erniedrigte und Beleidigte“. Oder „Der Idiot“. Oder auch: „Dämonen“.

Der Reihe nach. Man kann die Entscheidung des Senats als Geschenk und Anerkennung einer epochalen Leistung als Regisseur betrachten, aber auch als Demütigung. Vertragsverlängerung für ein Jahr? Kürzer geht es nicht. Aber am Ende wird Frank Castorf 25 Jahre Intendant am Rosa-Luxemburg-Platz gewesen sein. Das gehört ins Guinness-Buch der Rekorde. 25 Jahre im Amt – mehr als Helmut Kohl, Erich Honecker oder Claus Peymann. Und doppelt so lang wie Klaus Wowereit.

Nach der Abschiedspielzeit geht es weiter

Der wollte seinen Freund Frank weder rauswerfen noch auf ewig zementieren. Hinzu kam die Demission von Kulturstaatssekretär André Schmitz vor gut einem Jahr. Und so hieß es: warten. Die Sache hat sich lähmend hingezogen. Wird der BER eröffnet? Nö. Wie geht es weiter an der Volksbühne, mit oder ohne Castorf? Weiß nicht. Der alte Theatertanker ist in Schieflage geraten.

Eine absurde Situation. Für 2015/16 hat die Volksbühne ihre Frank-Castorf-Abschiedsspielzeit geplant. Weil das Haus davon ausgehen musste, dass dann Schluss ist, im Sommer 2016. Es ist dann aber noch nicht zu Ende – denn eine weitere von Castorf verantwortete Spielzeit wird folgen, 2016/17. Eine Art Leben nach dem Exitus. Eine Saison im Jenseits.

Schwierig wird es allemal. Denn für das eigentliche Farewell-to-Frank-Jahr wird die Volksbühne radikal umgestaltet. In den Innenraum stellt Designer Bert Neumann großvolumige Objekte, wie vor ein paar Jahren in der „Neustadt“. Ein Einheitsbühnenbild, in dem Frank Castorf und René Pollesch inszenieren wollen. Der herrliche, große Zuschauerraum wird reduziert auf ein paar hundert Plätze. Das führt zu erheblichen Einnahmeverlusten. Stets ausverkaufte Vorstellungen wie „Murmel, Murmel“ und „der die mann“ von Herbert Fritsch können dann nicht mehr viele Besucher sehen. Und die Frage ist, wie sehr Fritschs für den gesamten Raum konzipierte Bühnenästhetik auf dem Abschiedspartyspielplatz leidet.

Ohne die Kreation von Herbert Fritsch hätte es in den letzten drei, vier Volksbühnenjahren finster ausgesehen. Seine Inszenierungen wurden zum Theatertreffen eingeladen, erfreuen – selten genug – Kritik und Publikum gleichermaßen. Auf dem Volksbühnen-Mist gewachsen, vom Volksbühnenmist erdrückt – so könnte es kommen für die ebenso kraftvollen wie fragilen Arbeiten Herbert Fritschs. Kein anderer Theaterkünstler hat zuletzt ein so eigenes, anziehungsstarkes Werk geschaffen, nicht in Berlin und auch nicht anderswo.

Performance-Festspiel-Multimedia-Haus

Und dann die Nachspielzeit: Will man dafür wieder das Repertoire hervorkramen? Und was findet ein Nachfolger vor, 2017, was will er weiterführen? Sollte es der Londoner Kurator Chris Dercon werden, sollte einer wie er die Aufgabe bekommen, eine Art Performance-Festspiel-Multimedia-Haus aus der Volksbühne zu machen, so muss man sich auch nicht wundern. Castorf und seine Leute liefern dafür Steilvorlagen, wenn sie im September und Oktober, vier Wochen lang, „Performative Utopien des Wiener Aktionismus und der amerikanischen Westküste“ in der Volksbühne präsentieren. Paul McCarthy meets Günter Brus. Das Projekt will „die wechselseitige Beeinflussung von Bildender Kunst und Theater ausloten und Synergieeffekte zwischen erprobten Bühnenästhetiken und neuer ästhetischer Inspiration durch die Bildenden Künste generieren“, heißt es auf der Website der Bundeskulturstiftung. Sie unterstützt die Geschichte mit 236 000 Euro.

Wer braucht da noch einen auswärtigen Kurator, zumal einen im Theater unerfahrenen? Jonathan Meese und Gregor Schneider haben auch schon an der Volksbühne Installationen oder Bühnenbilder abgeworfen. Überall ist Documenta, Biennale, soziopolitisches Biotop – und immer weniger Schauspiel. Die Theater gleichen einander mehr und mehr. Projektkultur macht kurzatmig und wirkt nivellierend.

Michael Müller gab Peymann keinen Termin

Die Lage muss schlimm sein, wenn Claus Peymann öffentlich um die Zukunft der Volksbühne bangt, den alten Intimfeind. In einem Brief wirft er dem Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller Versagen vor. Peymann beklagt, dass Müller ihm auf die schriftliche Bitte vom 18. Dezember um ein persönliches Gespräch über das Fehlen jeglicher Perspektive und Vision in der Berliner Kulturpolitik nie geantwortet habe. Dabei sei Müller als amtierender Kultursenator „für die Agenda der Berliner Kulturpolitik verantwortlich“. Die Lage ist sehr ernst, wenn man nicht umhinkommt, dem Egomanen Peymann wenigstens teilweise zuzustimmen. Müller zeigt in der Tat kein Interesse an der Theaterentwicklung.

Ja, in Berlin ist wieder mal richtig was los. Theater bedeutet wieder etwas. Aber was? Gute Unterhaltung ist jedenfalls garantiert. Peymann nennt Kulturstaatssekretär Tim Renner „die größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts“. Törööö! „Mir bricht buchstäblich der Angstschweiß aus, wenn ich mir vorstelle, was dieser unerfahrene und in dieser Position völlig überforderte Mann bereits angerichtet hat – und was uns noch erwartet“, poltert Peymann; er ist ästhetisch um das Jahr 1980 stehen geblieben. Der 77-Jährige, der naturgemäß auch mit seinem eigenen Nachfolger am Berliner Ensemble, Oliver Reese, nicht glücklich ist, springt Frank Castorf bei, ausgerechnet: „Nun soll auch noch die einst so ruhmreiche Volksbühne zum soundsovielten Event-Schuppen der Stadt gemacht werden.“

Was hat Tim Renner mit der Volksbühne vor?

So ist das, wenn ein Revolutionär wie Castorf, der zum Monarchen wurde, abdankt. Unfreiwillig. Um die Erbfolge hat er sich nicht gekümmert, er wollte ja den Thron behalten. Und der alte Senat hat im Fall der Volksbühne unglaubliche Indolenz gezeigt. Hat Castorf das Haus überlassen wie ein Landgut mitten in der Stadt. Und plötzlich will es Tim Renner krachen lassen mit einer spektakulären Anti-Theater-Besetzung. Wie begründet er seine Idee? Was wird mit den Theatertechnikern, den Schauspielern?

Es gab das alles schon einmal, so ähnlich – als aus der Freien Volksbühne im Westen das Haus der Berliner Festspiele wurde. Eine herrliche Bühne, auch mit großer, wenn auch kürzerer Schauspieltradition, ein Hauptstadttheater, das an vielen Abenden im Jahr nicht genutzt wird. Jetzt wird die andere, die große, hundertjährige Volksbühne – frei.

Der Sprecher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters warnt schon davor, Doppelstrukturen bei den Berliner Kultureinrichtungen zu schaffen: „Außerhalb von Berlin könnte die berechtigte Frage entstehen, ob das hohe finanzielle Engagement des Bundes noch vertretbar ist.“ Da wird also vonseiten des Bundes gedroht, schließlich muss ein neuer Hauptstadtvertrag verhandelt werden. Es wird befürchtet, dass sich vom Bund finanzierte Einrichtungen wie die Berliner Festspiele oder das Haus der Kulturen der Welt programmatisch wiederholen in einer Kuratoren-Volksbühne, die vom Land Berlin getragen wird.

Dann wächst nicht Vielfalt, sondern Einerlei in der reichen Kulturstadt.

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