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Prunk und Punk: Ein Milizionär auf Meerjungfrauensofa in einem der Paläste von Libyens Diktator Gaddafi

© AFP

Volksumstürze: Krieg den Palästen!

Wenn das Volk im Schlafzimmer steht, ist das Regime erledigt – doch wie sich Revolutionäre in den Palästen ihrer Präsidenten verhalten, ist höchst unterschiedlich. Was von Bagdad bis Kiew - und in der DDR galt - dürfte in amerikanischen Palästen nicht funktionieren.

Der Berufsrevolutionär Lenin hatte bekanntlich keine allzu hohe Meinung vom Draufgängertum seiner deutschen Genossen. Bevor diese einen Bahnhof stürmen, spottete er, kaufen sie sich eine Bahnsteigkarte. Aber auch seine Landsleute hatten Hemmungen. Als die Bolschewiki den Winterpalast des Zaren enterten, tranken sie erst einmal den Weinkeller leer; zuvor aber schoben sie sich mit einer über Jahrhunderte anerzogenen Ehrfurcht durch die Schlafgemächer der Herrscherfamilie, zu scheu, die seidenen Bettdecken auch nur zu berühren.

Die symbolische Inbesitznahme der Wohnungen und Paläste gestürzter Herrscher gehört zum Ablauf eines jeden Aufstandes, einer jeden Revolution, ganz gleich in welchem Winkel der Erde. Im Allgemeinen ist mit der Erstürmung des Privatbereichs der point of no return eines Aufstandes erreicht. Den bereits angezählten, aber vielleicht noch nicht gänzlich ihrer früheren Macht beraubten Machthabern entgleitet nicht nur die Privatsphäre, sondern, folgenreicher noch, jegliche Legitimität. Wer sein Schlafzimmer nicht mehr vor fremdem Zutritt schützen kann, verliert jeden Anspruch auf die Macht im Staate.

Jetzt hat es Viktor Janukowitsch erwischt, den selbstherrlichen Quasi-Diktator der Ukraine. Mag er sich auch in den russlandfreundlichen Osten seines Landes und zuletzt auf die Krim geflüchtet haben, so ist mit der Besichtigung seiner Behausung nahe Kiew die letzte Hürde gefallen, die die Protestierer des Maidan von der Übernahme der Regierungsgewalt noch getrennt haben mag.

Auch Julia Timoschenko war im Besitz einer riesigen Villa

Die Erstürmung und fallweise auch Plünderung der Wohnsitze von Diktatoren, Präsidenten und Oligarchen gibt zugleich der Bewegung eben jene Legitimität, die sie dem gestürzten Herrscher entzieht. Mit der Empörung, die die Erstbesucher des abgeschotteten DDR-Regierungsghettos Wandlitz durchfuhr, sie, die für jede Toilettenschüssel die ganze Republik durchstreifen mussten oder in der – volksmundlich – „sozialistischen Wartegemeinschaft“ zu verharren hatten, erfuhren mit dieser Empörung jede moralische Rechtfertigung, mit dem System aufzuräumen. 25 Jahre später und an den bundesdeutschen Lebenszuschnitt gewöhnt, mag den Beteiligten von damals selbst fremd geworden sein, wie sie sich über den spießig-kärglichen Wohlstand ihrer Parteioberen derart aufregen konnten. Doch die Maßstäbe sind immer relativ, gemessen an dem, was Herrscher den Beherrschten vorenthalten, um es sich selbst umso mehr zu gönnen.

Was von Saddam Husseins Palast übrig blieb.
Was von Saddam Husseins Palast übrig blieb.

© AFP

Gewiss, das Beispiel der DDR ist nur bedingt zu verallgemeinern. Andere Völker sind weniger zimperlich. Saddam Hussein, nun wahrlich ein Diktator von historischem Unmaß, überzog das ganze Land mit Privatpalästen, um jedes Mal an einem anderen Ort nächtigen zu können; zu Recht um sein Leben fürchtend. Wie es dann auch eintraf. Nur dass sein letzter Aufenthaltsort, ein Erdloch, die ganze Erbärmlichkeit seiner Diktatur in einem Symbolbild bündelte. Ähnliches gilt für Gaddafi mit seinen heizbaren Zelten, in denen er den Wüstenbewohner spielte. Nicolae Ceausescu besaß Villen, verbrachte aber seine Freizeit am allerliebsten bei seinen afrikanischen Kollegen der Tier- und Menschenjäger. Die vergleichsweise dezenten Machthaber im von außen so friedlich scheinenden Tunesien besaßen gleichfalls luxuriöse Wohnsitze, die die buchstäblich ums tägliche Brot ringende Bevölkerung zutiefst erbitterten, als sie – dies der Auftakt des Arabischen Frühlings – nachschauten, wohin der Reichtum des Touristenlandes geflossen war.

Und neben dem offensiven Prunk gibt es auch Skurriles. Imelda Marcos – wer erinnert sich noch an die hochfahrende Dame? – erstaunte ihre Bezwinger mit dem Besitz von 1200 Paar Schuhen, was man wohl als treffliches Bild für die Irrationalität von Herrschaft um des Herrschens willen ansehen kann.

Reichtum ist nur je nach Gesellschaftssystem verpönt

Die Erstürmung des Privaten ist eine Errungenschaft der Moderne; im Feudalismus der ancien régimes war sie den Standeskollegen vorbehalten, die gerne mal fremde Schlösser niederbrannten. Nach Napoleon änderte sich das. Der Dichter Georg Büchner gab mit seiner berühmten Losung „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ 1834 die Richtung vor. Allerdings ließen sich die hessischen Bauern nicht aufrütteln. Es war die Zeit der Metternich’schen Reaktion.

Der nachfolgende Kapitalismus als Gesellschaftssystem unterscheidet sich hinsichtlich Prunk und Protz von simplen Diktaturen nicht zuletzt dadurch, dass Reichtum als irgendwie regelkonform erworben betrachtet wird. In den USA würde niemand auf die Idee kommen, den Reichen ihren Reichtum vorzuhalten, und mögen ihre Wochenendhäuser noch so viele Millionen gekostet haben. Oder die Schweiz: Stürmen die Anhänger des Nationalisten Christoph Blocher, die sich Ausländer per Volksentscheid vom Hals halten wollen, deswegen die Chalets der Steuerflüchtlinge in Gstaad oder St. Moritz? Die Schweiz hat zwar das Bankgeheimnis abgeschafft, aber nicht das Bettengeheimnis.

Anders sieht es in den raubkapitalistischen Nachfolgestaaten der einstigen Sowjetunion aus. Da wird mit der Machtdemonstration bewaffneter „Sicherheits“-Kräfte, sprich ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter und Armeeangehöriger, jedwede Annäherung an ausgedehnte Landsitze verhindert. Umso höher einzuschätzen sind der Mut und die Beharrlichkeit der (west-)ukrainischen Aufständischen, die sich vom Kiewer Maidan nicht haben vertreiben lassen, so lange, bis die Schlaueren unter der herrschenden Clique die Zeichen der Zeit erkannten und hurtig die Seiten wechselten. Aber auch das gehört zu jeder Rebellion wie Revolution. Auch die tränenreiche Julia Timoschenko soll, als sie noch ganz zur raffenden Oberschicht zählte, eine schöne Villa ihr Eigen genannt haben. Erst später lernte sie den Knast als Wohnsitz kennen.

Da wären wir dann bei Michail Chodorkowski, der nach den Freuden des Oligarchentums die Bitternis der Putin’schen Straflager erfahren musste. Etwas in der Art könnte nun dem Ukrainer Janukowitsch drohen. Umso mehr, da die Demonstranten seinen Lebensstil gesehen haben. Die Erstürmung der Paläste beflügelte bisher noch jede Revolution.

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