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Kultur: Wahrheit statt Wut

Das RBB-Kulturradio muss Schritt halten mit der Zeit. Eine Replik auf Peter Raue /Von Dagmar Reim

Ein Wutanfall hat den Vorteil, dass der Anfällige keine Rücksichten nehmen muss. Peter Raue kann frank und frei loswüten. Die Tatsachen müssen ihn nicht scheren. Uns schon.

Kulturprogramme in Deutschland (nicht nur beim ExSFB und -ORB) leiden seit Jahren unter Akzeptanzschwund. Nach der jüngsten Media-Analyse hörten noch je 0,9 Prozent der Hörer in Berlin und Brandenburg unsere teuersten Angebote, die beiden Kulturwellen. Wir beschäftigen hier deutlich mehr Personal im Vergleich mit den anderen Programmen. Kommt hinzu: Wir alle sind in den vergangenen fünf Jahren um fünf Jahre gealtert, die Hörer des Kulturradios – bedauerlicherweise – um 16,6 Jahre. Ihr Altersschnitt liegt heute bei über 60.

Niemand verlangt von einem Kulturradio, breite Hörerschichten zu erreichen. Das gelingt den Qualitätszeitungen auch nicht, kann gar nicht gelingen, weil lediglich Minderheiten kulturinteressiert sind. Was wir allerdings nicht anstreben: ein (fast) hörerfreies Programm, das mit seinem immer kleiner werdenden Publikum ausstirbt.

Es erging uns wie den Bremer Stadtmusikanten: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“ Oder, wie auf der Medienseite des Tagesspiegels bereits zu lesen war: „Sie (die Hörer) sind nicht aus der Kultur ausgetreten, sondern aus dem Kulturradio.“

Für den Wieder-Eintritt werben wir seit dem 1.Dezember 2003. Dass Kulturradio zum Leben gehört, ist uns wichtig. Kultur ist eben kein Schickimickieventhäppchen für die happy few. Sie ist Überlebens-Mittel auch und gerade in Zeiten wie diesen. Warum das schlichte „gehört zum Leben“ Peter Raue provoziert, ist unverständlich. Es sei denn, man betrachtet das neue Programm im Lichte der bayerischen Volksweisheit „Es muss sich alles ändern. Aber passieren darf nix.“

Passiert ist allerhand. Manche alten Sendungen gibt es nicht mehr (Peter Raue betrauert lediglich Angebote des Ex-SFB, das Ende von Radio 3 vom ORB ist keinen Wutanfall wert). Neue Ideen, neue Präsentations- und Sichtweisen sind dazugekommen, und vieles ist geblieben, wie es war. Von Morbach bis Goldberg, von Feature bis Hörspiel. Dass früher generell alles besser war, weil man früher nicht an früher zu denken brauchte, sollte ein Kulturfreund eigentlich wissen. Den Disput darüber, was Kultur ist und was in dieses Programm gehört, führen wir gern. Von vornherein war unser neues Programmschema nicht in Erz gegossen. Veränderung ist das Lebenselixier des Radios, und wer sagt denn, dass wir die Lesung, die Raue liebt, nie mehr morgens anbieten werden?

Wutanfälle gehören zum Leben und schützen den Anfälligen vor Magengeschwüren. Indes: Der Vorwurf, wir seien von „Kulturzerstörungswut“ befallen, diskreditiert unsere Redaktion, die mit hohem Engagement Kulturradio macht. Tagtäglich. Warum eigentlich darf der Irak-Krieg nicht vorkommen in einem Kulturprogramm? Weil Kulturinteressierte Scheuklappen tragen und nicht wissen wollen, was passiert in der Welt da draußen, fern ihres locus amoenus? Es ist keineswegs so, dass Ausstellungsberichte jeweils zwei Minuten dauern - im Morgenprogramm sind dafür vier Minuten vorgesehen. Und wer das Programm wirklich hört, weiß, wie sehr es sich von allen anderen Angeboten im Berliner und Brandenburger Radiomarkt unterscheidet – um es vorsichtig zu formulieren.

Aber das interessiert Raue nicht. Ihm war bereits im Oktober – also Wochen vor Programmstart – klar, hier sei ein „Akt der Barbarei“ geplant, wie er mir in einem Gespräch sagte. Wer das schon so früh ahnt, muss sich mit der Realität gar nicht erst beschäftigen. Sie passt nicht zu seinem Vorurteil. Ein Beispiel: Peter Raue wirft uns vor, „die vielteiligen biografischen Musiksendungen am Sonntagnachmittag“ seien verschwunden. Am 4. Januar, Sonntagnachmittag, hat im Kulturradio die 26-teilige (26 Teile!) Sendereihe über Giuseppe Verdi begonnen. Ihr Titel: „Die Erfindung der Wahrheit.“ Wir setzen auf Wahrheit statt auf Wut.

Die Autorin ist Intendantin des RBB.

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