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Was machen wir heute?: Aus dem Koffer leben

Wie ein Vater die Stadt erleben kann

Ein jeder hat sein Päckchen zu tragen. Wer keins hat, der schnürt sich eins. Und wer ganz unbeschwert durchs Leben geht, nimmt zur Not auch mit einem rosa Rollköfferchen Vorlieb. Wie Klein-Greta, die neuerdings keinen Schritt mehr ohne ihren Koffer macht. Jeden Morgen sieht sie, wie ihre große Schwester mit dem Ranzen loszieht, wie ihre Mama die Lehrertasche packt und ich meinen Rucksack fürs Büro schultere. Da muss Greta natürlich auch ihr Handgepäck mit in die Kita nehmen. Täglich früh weckt unsere dreijährige Tochter nun das ganze Haus, wenn sie mit ihrem Köfferchen die Stufen hinab durchs Treppenhaus poltert. Abends, wenn sie schlafen geht, hat der Koffer neben ihrem Bett zu stehen. Und wenn sie nachts aus einem bösen Traum erwacht und wir sie zu uns ins Schlafzimmer mitnehmen, darf um Gottes Willen der arme Koffer nicht allein im Kinderzimmer zurückbleiben. Schließlich schläft die Stoffkatze darin, zwischen einem Sammelsurium zusammengeraffter Habseligkeiten, leere Verpackungen aus dem Einkaufsladen, zwei Spielzeughandys, eine alte Fotokamera, die Greta aus der Kita gestohlen hat, mehrere Bilderbücher und andere Geheimsachen. Hineinschauen lässt sie nämlich niemanden, ich musste den Inhalt in einem unbeobachteten Moment auskundschaften.

Greta lebt also zurzeit aus dem Koffer und entwickelt sich damit zu einer typischen Berlinerin. Die Berliner sind ja bekannt für ihre nomadische Lebensart. Jeder fünfte Haushalt in dieser Stadt wechselt im Lauf eines Jahres den Wohnort, und das, obwohl die Berliner zugleich sehr heimatverbunden sind. Die meisten ziehen innerhalb eines Bezirks um. Und auch wer der Stadt ganz den Rücken kehrt, hat bekanntlich immer noch einen Koffer in Berlin. Und sei es ein rosa Rollköfferchen. Stephan Wiehler

Wer zum fahrenden Volk will, sollte früh üben. Beim Berliner Kindercircus-Festival in der Ufa-Fabrik (Viktoriastr. 10-18 in Tempelhof, Tel. 755 030) kann man heute und morgen ab 15 Uhr Nachwuchsartisten bei ihren Kunststücken zuschauen, Eintritt: 7, ermäßigt 4 Euro.

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