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Kultur: Wenn die Glut im Kamin verlischt

Beim 20. Open Mike im Heimathafen Neukölln gewinnen Texte mit präzisem Blick fürs Unheimliche.

„Sehr freundlich!“, so bedankt sich der junge Mann auf der Bühne. Rund 400 Menschen im Heimathafen Neukölln applaudieren ihm, während er schüchtern und mit hängenden Schultern dasteht und sich in die Siegerriege einreiht: Juan S. Guse hat soeben den „Open Mike“ gewonnen, den wichtigsten Nachwuchspreis für deutschsprachige Literatur, doch nach außen hin bleibt er nüchtern und unprätentiös – ganz so wie sein Text.

Der heißt „Pelusa“, es ist der Name der schwangeren Ehefrau des Ich-Erzählers, „die ihre Finger an einen Hund verloren hat“ und es ablehnte, „sich ihre Fußzehe als Daumen transplantieren zu lassen“. Sie lebt in einem Ort mit Blick auf die Anden und verschwindet nach einem Streit mit dem Ehemann. Der wartet tagelang auf sie, sichert das Haus gegen schlechtes Wetter und anderes Ungemach, ersticht einen verletzten Hund mit der Heugabel, um ihm das Leiden zu ersparen. Bedrohlich kommt daher, was Guse mit präzisen, starken Worten beschreibt, aus den Zeilen kriecht der leise Horror einer nicht immer wohlgesinnten Natur. Vor allem die Verben machen den Text prägnant, sie geben der alptraumhaften Atmosphäre, der Invasion des Unheils eine Sprache: Da hungert der Mann die Glut im Kamin aus, da fallen Insekten ins Haus ein und machen sich über Vorräte her, während der Tau in die Hausschuhe eindringt.

Jury-Mitglied Thomas von Steinaecker lobte in seiner Laudatio die verdichtete Stimmung des Textes und die Balance „zwischen Unheimlichkeit und einer manchmal witzigen Absurdität“ – sowie den Verzicht auf „jeden billigen Effekt oder Klischees“. Trotz einer beeindruckenden sprachlichen Reife: Mit 23 Jahren ist Juan S. Guse einer der jüngsten Teilnehmer des 20. „Open Mike“, seine Biografie im Begleitbuch ist die mit Abstand kürzeste.

Es scheint fast, als sei der Preis an jemanden gegangen, der gar keinen künftigen Schriftsteller in sich sieht. Zwar studiert Guse Kreatives Schreiben in Hildesheim, spricht aber von einer „Lust auf die Wissenschaft“, auf deren Regeln und Strenge, und den Wunsch nach einer Promotion. „Pelusa“ nennt er „Teil einer Studie zu einem Projekt“, in dem er Menschenflucht, den Umzug aufs Land, Askese und Eremitentum literarisch erforschen will. Ein Brief Heinrich von Kleists an seine Geliebte habe ihn fasziniert, erzählt Guse. Darin schreibt Kleist, er wolle „im eigentlichsten Verstande ein Bauer werden“. Diese Sehnsucht war für Guse Ausgangspunkt zu einem Romanprojekt, das inzwischen 30 Seiten umfasst und zu mindestens 500 Seiten anwachsen soll.

Die Bühne ist Juan S. Guse für seine Literatur nicht wichtig, sagt er. Jetzt kommt er aber nicht um sie herum, denn mit den drei anderen Gewinnern geht es nun auf Lesereise. Auch Sandra Gugik aus Wien hat sich als zweite Preisträgerin in der Kategorie „Prosa“ dafür qualifiziert. Ähnlich wie Guse setzt sie in „Junge Frau, undatiert“ auf wenig Handlung und umso genauere Beobachtungen. Ihre Protagonistin mietet Ferienwohnungen, deren Bewohner für Wochen außer Haus sind. „Elfen aus Speckstein, Setzkästen voller Porzellanfiguren und venezianischen Masken“ findet sie dort und zieht zwischen Polstern des Sofas ein Kettchen mit einem Medaillon hervor. Unaufgeregt schildert Gugik die Obsession einer Frau, die sich mit den Heimstätten ihrer Mitmenschen einen Teil von deren Leben aneignet. Jurorin Silke Scheuermann attestiert der Autorin, sich als „originelle und genau kalkulierende Erzählerin“ vorgestellt zu haben.

In anderen Texten geschieht mehr, manchmal zu viel. Nadja Schlüter entwirft die Geschichte einer sich ungesund entwickelnden, symbiotischen Freundschaft zwischen Corinna und Kai, die ihn in die Psychiatrie führt. Ann-Christin Helmkes jungerwachsenes Freundespaar Tom und Sophie wird zwar von allen Bekannten in einem Atemzug genannt, zum Bekenntnis einer Liebe kommt es jedoch nie. Diese Geschichten kommen ihren Figuren entweder nicht nahe genug oder es fehlt ihnen an der intensiven Stimmung, dem Brennglascharakter. So verharren sie beim „Treatment“, einer grob umrissenen Drehbuchfassung. Mit Joey Juschka und Verena Güntner nehmen zudem gleich zwei Autorinnen die Perspektive eines männlichen Jugendlichen ein – Juschka gewinnt mit „SCHAF e. V.“ über einen Verein zum Schutz alleinlaufender Frauen gar den Publikumspreis.

Einer der Preise ist traditionell für lyrische Beiträge reserviert. Ihn gewann, wie bei der Prosa, der Jüngste im Feld: Martin Piekar, Jahrgang 1990. Sein Zyklus „Bastard“ hebt stets mit den Worten an „Ich fühle mich so Bastard“ und bringt ein Gefühl der Fremdheit in und der Inkompatibilität mit der Welt zum Ausdruck, teils in die barocke Sonettform gegossen. Da herrschen „Tunnelschachttage“, Fantasien sind ans „Hirninterieur“ genagelt. „Das Schöne an Lyrik ist“, sagt Piekar, „dass man sich Wörter ausdenken und sie dem Leser hinwerfen darf.“

Christoph Buchwald, einer der sechs Lektoren, wählte aus 46 Einreichungen acht Lyriker aus. „Existenzielle Einsamkeit und das fragile Verhältnis zwischen Mensch und Natur“ würden die Autoren am meisten beschäftigen. „Das Vertrauen in Utopien ist dagegen nicht mehr so stark, die wenigsten Texte haben eine eindeutige Message.“ Auch der erhobene Zeigefinger und das „Pathospedal“ seien selten. Vielleicht geht diese Generation ja als „Neue Nüchternheit“ in die Geschichte ein. Kaspar Heinrich

Kaspar Heinrich

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