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Der diskrete Charme der Anarchie. Christoph Schlingensief bei einer Veranstaltung seiner Partei Chance 2000.

© dpa

Wenn Kunst justitiabel wird: Im Zweifel für die Freiheit

Das "Zentrum für Politische Schönheit" hat Mauerkreuze entwendet - und zurückgebracht. Die Aktion erinnert an Christoph Schlingensiefs Auftritte. Doch die Künstler arbeiten heute anders.

Zwei Kunstaktionen haben in diesem Herbst in Berlin Aufsehen erregt. Da fangen die Schwierigkeiten schon an: War das denn überhaupt Kunst, was Dries Verhoeven in seinem Glashaus auf dem Heinrichplatz darbot? „Wanna Play – Liebe in Zeiten von Grindr“ nannte er sein Piratenstück. Intime Mitteilungen, die er über die schwule Dating-App empfing, gelangten unverschlüsselt in die Öffentlichkeit. Ein Betroffener stürmte das Gehäuse und schlug den Künstler. Die Proteste kamen schnell und effektiv über die sozialen Netzwerke, von „digitaler Vergewaltigung“ war die Rede. Das Hebbel am Ufer, der Veranstalter, brach die Performance ab, entschuldigte sich.

Obendrein lud das HAU zu einem Diskussionsabend, der wohl die eigentliche Performance bot. Wir befinden uns in einem Zustand der permanenten Debattenerregung, umstellt von Themen, die Bedrohungen enthalten. Künstler wie Zuschauer verstehen sich auf immer kürzere Reaktionszeiten.

Aber: Ist das Kunst, was das „Zentrum für politische Schönheit“ mit jenen weißen Kreuzen veranstaltet hat, die am Spreeufer an die Todesopfer der DDR-Grenze erinnern? Die Aktivisten haben die Kreuze zurückgegeben. Sie wollten damit für die Menschen demonstrieren, die an den Außengrenzen der Europäischen Union ihr Leben riskieren, um Asyl zu bekommen. Die im Mittelmeer ertrinken. Die sich ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neuen Mauern gegenüber sehen – elektronischen Sperren rund um die Festung Europa, wie die Agentur Frontex sie einrichtet. Wenn die Demonstration mit den Mauerkreuzen kühl und überlegt wirkt, allzu real, dann liegt es auch am Gegner. Frontex ist ein hochgerüsteter High-Tech-Apparat, eine unsichtbare Spinne.

Im Zweifel wird man sich in diesem Land darauf berufen dürfen, dass die Kunst frei ist.

Diesmal ist eine andere Bühne involviert, das Maxim Gorki Theater. Auch hier, wie beim HAU, gab es eine Entschuldigung. Und eine Erklärung: „Das Gorki betont, dass es weder die Entwendung der Kreuze an der Spree veranlasst hat, noch von diesem Plan wusste. Nichts lag und liegt uns ferner, als das Schicksal von Menschen, die für die Freiheit ihr Leben lassen mussten, zu verunglimpfen und das Andenken zu entweihen.“ Das ist glaubhaft. Denn es handelt sich – dem äußeren Rahmen nach – um Kunst. Die kann nicht komplett abgestimmt sein, sie lebt vom Risiko, eine Vorzensur findet nicht statt. Im Zweifel wird man sich in diesem Land, das so groß und herrlich seine Freiheit und das Verschwinden der mörderischen Grenze feiert, darauf berufen dürfen, dass die Kunst frei ist.

Der Punk-Protest von Pussy Riot in einer Kathedrale des Kreml ist cool. Da geht es gegen Putin und seine menschenverachtenden Gesetze. Die Protestaktion mit den Kreuzen für die Mauertoten wird als geschmacklos verurteilt, denn es geht letzten Endes um unseren Umgang mit Asylsuchenden, um unsere Grenzpolitik. Ist das die Ungleichung?

Wo hört Kunst auf, wenn es keine mehr ist?

Der diskrete Charme der Anarchie. Christoph Schlingensief bei einer Veranstaltung seiner Partei Chance 2000.
Der diskrete Charme der Anarchie. Christoph Schlingensief bei einer Veranstaltung seiner Partei Chance 2000.

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Der Berliner Rat für die Künste hat dem Gorki Theater und dem „Zentrum für Politische Schönheit“ für diese „wichtige und ergänzende Aktion zum 9. November 2014“ gedankt. Er fordert „den Innensenator Frank Henkel auf, jede staatspolitische und strafrechtliche Verfolgung sofort einzustellen, denn die temporäre Entfernung symbolischer Kreuze ist keine Grabschändung, die Aktion war keine Verunglimpfung unseres Staates und vor allem: Kunst ist frei und grundgesetzlich geschützt.“ Inzwischen hat das Zentrum übrigens seinerseits Strafantrag gestellt - gegen Frank Henkel, wegen übler Nachrede.

Die Frage bleibt: Ist das, was das Zentrum getan hat, noch Kunst? Und wo hört sie auf, wenn es keine mehr ist? Den Aktionen ist gemeinsam, dass sie in eine Öffentlichkeit drängen, die größer, anders ist als ein Zuschauerraum im Theater. Zumal jüngere Leute nehmen die Welt als einen Ort wahr, an dem sich Politik prinzipienlos verflüchtigt und der von globalen Mächten regiert wird, die sich jeder Kontrolle entziehen. Man könnte in Berlin und Brüssel fragen: Ist das Demokratie? Oder kann das weg?

Welcher Straftatbestand vorliegt, ist auch eine politische Entscheidung

Immer mehr Künstler lehnen die traditionellen Wege der Ansprache ab, suchen neue Mittel. Die Aktionen gehen von staatlich geförderten Institutionen aus. Im Land Schillers und Büchners, wo die Kunst eine Tochter der Freiheit sein soll, hat das Tradition. Bei der Überwindung der SED-Diktatur gaben die Theaterkünstler der DDR entscheidende Impulse. Sie organisierten die Großdemo am 4. November auf dem Alexanderplatz.

Was aber, wenn eine Kunstaktion einen Straftatbestand erfüllt? Oder damit spielt? Das muss man im Einzelfall betrachten. Die Kreuzritter von Berlin mögen sich wegen Sachbeschädigung oder Diebstahl strafbar gemacht haben. Unter Umständen greifen auch andere Paragrafen. Das ist dann auch eine politische Entscheidung, welcher Straftatbestand vorliegt, wenn es sich gegen Künstler oder Journalisten richtet. In der Türkei genügt eine Erdozan-Karikatur oder die Erwähnung des Genozids an den Armeniern, um vor Gericht oder ins Gefängnis zu kommen. In Saudi-Arabien werden Blogger mit dem Tod bedroht, wenn sie Dinge sagen, die bei uns nicht der Rede wert sind.

Jonathan Meese macht den Hitlergruß, wird angeklagt und freigesprochen. Man muss Meeses monomanische, wenig appetitliche Auftritte nicht gut finden. Aber er wird nach Bayreuth eingeladen, um Richard Wagner zu inszenieren. Auf Staatskosten. Selbstverständlich.

Mit Verweis auf das „Zweite Surrealistisches Manifest von André Breton“ führte Christoph Schlingensief im Volksbühnen-Prater das Spektakel „Tötet Helmut Kohl“ auf. Es war im Jahr 1996, Kohls Kanzlerschaft schien sich ins Endlose hinzuziehen. Die Aktion war Schlingensiefs eigene geistig-moralische Wende. Er brauchte den Widerstand, den Krach, legte es darauf an. Später sollte er viele Menschen mit seiner Spiritualität bewegen. Provokation auch in Wien: Bei den Festwochen im Jahr 2000 stellte Schlingensief Container auf, in denen Asylbewerber saßen. Das Spiel hieß „Ausländer raus“, es gab eine gleichnamige Internetseite, das Publikum konnte wie bei der „Big Brother“-Fernsehshow Kandidaten herauswählen. Raus aus dem Container, raus aus Österreich.

Wessen Würde war hier verletzt? Warum ist es bei Schlingensief am Ende – Kunst? Lag es an seiner Aura, unglaublichen Spontaneität, charmanten Intelligenz? Als er 2010 starb, verlor Deutschland einen seiner größten Künstler. Schlingensief versus Kohl: Das war noch Mann gegen Mann. Sohn gegen Vater. Provokation gegen Betonfassade. Schweinkram gegen Saumagen. Inzwischen haben wir Künstler, die kaum mehr künstlerische Anmutung besitzen, vielmehr wie Attac- oder Greenpeace-Aktivisten vorgehen und wirken. Das muss man nicht feiern. Man kann es, wenn man romantisch veranlagt ist, auch bedauern. Aber man muss es aushalten. Dass Kunst überzieht. Und gar nicht mehr aussieht wie Kunst.

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