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Ein Stück Hoffnung, 250 Kilometer nordöstlich von Budapest. In dem bettelarmen Dorf Bodvalenke waren Anfang Juli Romakünstler aus Ungarn und ganz Europa eingeladen, die Wände mit folkloristischen Motiven zu verzieren. Foto: Peter Kohalmi/AFP

© AFP

Kultur: „Werdet Guerilla-Regisseure!“

Der ungarische Filmemacher Benedek Fliegauf über die chaotische Kulturpolitik seines Landes.

Herr Fliegauf, als Ihr Film „Just the Wind“ über ein Pogrom gegen ungarische Roma, kürzlich in die Kinos kam, hieß es in der deutschen Presse, die Gewalt gegen Roma sei unter Ungarns rechter Regierung zum Alltag geworden. Sehen Sie das auch so?

Nicht ganz. Die offene oder subtile Gewalt gegen die Roma ist in Ungarn seit Jahrhunderten präsent. Soziologen haben beobachtet, dass deren Lage sich nach der Wende drastisch verschlechtert hat. Viele Roma sind arbeitslos geworden, und die Kluft zwischen ihnen und dem Rest der Gesellschaft wurde immer größer. Die Fidesz-Regierung ist keineswegs die Ursache für die Gewalt gegen die Roma.

Woher stammt dann dieser Rassismus?

Rassismus ist keine Neuigkeit, weder in Ungarn noch woanders – er ist Ausdruck einer Xenophobie, die wohl dem Menschen innewohnt. Das heißt, es gehört zum Überlebensinstinkt, Scheu vor dem Fremden, Unbekannten zu haben. Leider sind laut Umfragen auch die jungen Intellektuellen in Ungarn stark von Vorurteilen und Intoleranz geprägt.

Die Roma-Mordserie, die Ihr Film zitiert, wurde 2008/2009 verübt, als eine sozialdemokratische Regierung an der Macht war. Wie verhält man sich jetzt auf politischer Ebene zum Rassismus, was wird getan?

Die Lage der Roma ist zwar ein wichtiges Politikum, von der populistischen Regierungspolitik wird sie aber dennoch ignoriert, bagatellisiert oder für Hysterien funktionalisiert. Das liegt daran, dass die Haltung der Wähler zum Thema „Roma“ unberechenbar ist. Ich kenne einen Politiker der Opposition, der eine ambitionierte Strategie für die Gleichstellung der Roma ausgearbeitet hat, in den Medien jedoch nie darüber spricht. Er sagt, im Wahlkampf würde er sonst Stimmen verlieren. Das ist doch absurd.

Absurd ist anscheinend auch die Kulturpolitik der Fidesz-Regierung.

Das kulturelle Leben in Ungarn ist politisch aufgeladen. Nehmen wir die Filmförderung. Der Ungarische Filmfonds wird vom Großteil der hiesigen Filmindustrie als ein Ableger der Fidesz-Partei gesehen. Der Leiter, Filmproduzent Andy Vajna, ist ein guter Freund von Ministerpräsident Viktor Orbán. Ich bin der Erste, der schreit, wenn ich politische Zensur bemerke, dem ist aber nicht so. Allerdings haben die Leute im Filmfonds und ich völlig verschiedene Auffassungen über die Funktion von Filmkunst. Von meinen zwei eingereichten Projekten kommt eines mangels ausreichender Förderung nicht zustande, das andere aber schon. Politische Gründe sehe ich nicht dafür, eher ästhetische. Das erste Projekt war ein provokanter Experimentalfilm, das zweite ist ein konventioneller Film mit Handlung und Dialogen. Ziel des Filmfonds ist es, möglichst hohe Zuschauerzahlen zu generieren.

Die leichte Kost hat Vorrang?

Ja, das jetzige System suggeriert, dass die Filmemacher am besten solche Projekte einreichen sollten.

Und die Qualität?

Das heißt keinesfalls, dass die Qualität schlechter wird! Wir haben tolle Regisseure. Ich sorge mich nur um die experimentellen Filme, die die ungarische Filmkunst in den letzten 30 Jahren auch für das Ausland interessant gemacht haben. Könnte ein Film wie Béla Tarrs „Satantango“ heute gedreht werden?

Der erste Film, der in Vajnas Ära Förderung erhielt, die Agota-Kristof-Verfilmung „Le grand cahier“ von János Szász, wurde beim Festival in Karlovy Vary kürzlich mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.

Ich gratuliere János Szász von Herzen zu diesem bedeutenden Preis. Er ist ein souveräner Künstler. Der Preis gilt seiner Kunst, nicht dem Filmförderungssystem.

Und welche Möglichkeiten hat ein junger, noch unbekannter Filmemacher?

Bei Workshops sage ich den Studenten gern, das größte Hindernis beim Filmemachen ist oft der Filmemacher selbst. Die Kunst besteht anfangs darin, eine Form zu finden, in der die eigenen Ideen funktionieren. Mittlerweile muss ich mir darüber selber weniger Gedanken machen, aber das war nicht immer so. Ich glaube, jetzt ist die Zeit des Guerilla-Filmemachens! Wer keine anderen Möglichkeiten hat, soll mit der Handykamera auf die Straße gehen und losfilmen. Meinen ersten Film habe ich ja auch im Keller gedreht, mit einer Billigkamera.

Und wer nicht im Underground bleiben will?

Die Politik hat natürlich Einfluss. Aber ich möchte betonen, dass die Kulturpolitik in Ungarn nicht von irgendeiner nationalistischen Ideologie bestimmt wird. Es ist hier viel chaotischer, als es im Ausland erscheinen mag. Von außen sieht die ungarische Politik wie eine zentralisierte Machtpyramide aus. Dabei geht es vielmehr um kleinkarierte geschäftliche Interessen. Dass die Fidesz-nahen Lobbyisten an eine Ideologie wie den Nationalstaat glauben, ist ein romantischer Gedanke. Sie sind Geschäftsleute, geleitet von einer messianischen Persönlichkeit, Viktor Orbán.

Wie wirkt eine solche Kulturpolitik auf das geistige Kapital, auf die Künstler?

Inspirierend. Ich rege mich so sehr auf, dass ich neue Ideen bekomme. Über den Intendantenwechsel am Budapester Nationaltheater zum Beispiel.

Da wurde der bisherige Intendant, der oft freche Róbert Alföldi, nach Ablauf seines Vertrags durch Attila Vidnyánszky ersetzt, der eher nach dem Geschmack der konservativen Regierung inszeniert.

Der Skandal hat mich so schockiert, dass ich einen ungarischen Dramatiker anrief, und ihn darum bat, ein Drama darüber zu schreiben, das offen Systemkritik übt – im Stil des Kabaretts zwischen den Weltkriegen. Ich denke, in diesen Zeiten ist so ein Stück sehr wichtig.

Das Gespräch führte Anna Frenyo. „Just the Wind“ läuft noch in den Hackeschen Höfen, im fsk und dem Bundesplatz-Kino.







Benedek Fliegauf
, 1974 in Budapest

geboren, erhielt 2012 auf der Berlinale für „Just the Wind“ einen

Silbernen Bären.

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