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Werke von Oppenheim in Hamburg: Der Schmuck der Schamanin

Hamburgs Kunstgewerbemuseum ehrt die Künstlerin Meret Oppenheim

Auch ohne ihre Pelztasse wäre Meret Oppenheim eine Ikone des 20. Jahrhunderts geworden. Für den Fotografen Man Ray posierte die blutjunge Künstlerin 1933 nackt an einer Druckerpresse. Der Körper knabenhaft, die kurzen Haare zum wunderschönen Gesicht, war sie die Verkörperung der emanzipierten Garçonne der Zwanzigerjahre: freizügig, bisexuell und experimentierfreudig in jeder Hinsicht.

Meret Oppenheim, die 1913 in Berlin zur Welt kam, ging mit 18 Jahren nach Paris. Gleich nach ihrer Ankunft setzte sie sich selbstbewusst ins Künstlercafé du Dôme, um schon bald einen Kreis von Berühmten um sich zu scharen. Dazu gehörten Alberto Giacometti, André Breton und Marcel Duchamp, mit Max Ernst begann sie eine heftige Liaison. Sie wurde die Muse der Surrealisten. Weltberühmtheit erlangte sie mit ihrem „Frühstück im Pelz“, einer mit Gazellenfell bezogenen Tasse. Oppenheim stellte den verfremdeten Alltagsgegenstand 1936 bei einer Surrealistenschau aus. Das Museum of Modern Art machte das Artefakt durch einen Ankauf zum Meisterwerk der Moderne. Seitdem wird Oppenheim gerne auf die mythische Tasse in Tierfell reduziert – zu Unrecht.

Zum 90. Geburtstag ehrt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Künstlerin mit einer Ausstellung, die 136 Exponate versammelt. Thema der Schau sind die kunstgewerblichen Entwürfe für Schmuck, Mode und Möbel. Dass Oppenheim fast nie einen ihrer Entwürfe ausführen ließ, stellt für die Kuratoren kein Problem dar. Ihr Galerist Thomas Levy beauftragte vor kurzem Schmuck- und Modedesigner, ihre Entwürfe nach den zarten Zeichnungen der Künstlerin auszuführen. Sie übersetzten den Entwurf für eine Knochenkette ins Dreidimensionale, ebenso die Handschuhe mit aufgedruckten Knochen oder einen „Hundeschnauzenhut“.

Oppenheim war eine Künstlerin mit zahlreichen Facetten: Dichterin, Zeichnerin, Bühnenbildnerin. Zu diesem ungewöhnlichen Umgang mit ihrem künstlerischen Nachlass kann sie sich nicht mehr äußern: Sie starb 1985 in Basel. Allerdings betonte ihr Freund Daniel Spoerri bei der Eröffnung, dass sie über die Ausführung ihrer Entwürfe erfreut gewesen wäre.

Lässt man die vielen Konkretisierungen, die Halsketten, Armbänder, Kleider und Hüte, zur Seite, so breitet sich ein Werk auf Papier aus, das durchaus für sich allein hätte stehen können. Es spiegelt den subtilen Humor, das Irreale, aber auch das Abgründige im Schaffen der Künstlerin wider. Haare, Knochen, Felle und die häufige Visualisierung von Körperfragmenten gehören zum Inventar Oppenheims, die ihre künstlerische Heimat im Surrealismus hatte. Traum und Trauma, Phantasmen und sexuelle Obsessionen sind Bestandteil ihres Künstlertums. Durch die Schriften C.G. Jungs animiert, notierte Oppenheim bereits als Jugendliche ihre Träume, in denen sich ihre bisweilen bizarren Bildideen wiederfinden. 1935 schreibt sie: „Ich fahre in einem Automobil, das ganz aus Knochen gemacht ist. Es ist ein altes Modell, die Bremse ist außen und besteht aus einem Oberschenkelknochen.“

Wie die Träume gehört auch der Rekurs auf primitivistische Bräuche und Rituale zum Kosmos der Künstlerin Oppenheim. Ihre Knochenkette erinnert an Brauchtümer von Naturvölkern, die sich mit Knochen ihrer Feinde schmückten, um deren Kraft zu absorbieren. Auf einem uralten Initiationsritual basiert auch ihre Performance von 1959, bei dem sie gemeinsam mit Freunden vom Körper einer nackten Frau speiste. In einer späten Arbeit aus dem Jahr 1980 versah sie ihr Fotoporträt mit einem Muster. Ihr Gesicht wirkt tätowiert; die Künstlerin verwandelt sich selbst in eine kultische Priesterin.

Dieses „Porträt mit Tätowierungen“ ziert das Plakat der Hamburger Ausstellung. Und so scheint es wie ein Paradoxon, dass gerade diese Schau die Entzauberung der Schamanin Oppenheim versucht. Denn die Ausführung der poetischen Irrealismen nimmt den Arbeiten der Künstlerin auch etwas von ihrem unverwechselbaren Reiz. Zunächst erscheint die Übersetzung der zarten, ephemeren Entwürfe in die Gegenstandswelt spannend und einfallsreich. Doch beim intensiven Vergleich zwischen dem posthum ausgeführten Objekt und den auf blassem Papier hingekrakelten Entwürfen der Oppenheim zeigt sich sofort: Der eigentliche Reiz liegt in der überbordenden Fantasie, die dem Imaginären verhaftet ist.

„Man weiß nicht, woher die Einfälle einfallen; sie bringen ihre Form mit sich, so wie Athene behelmt und gepanzert dem Haupt des Zeus entsprungen ist, kommen die Ideen mit ihrem Kleid“, sagte die Künstlerin einst über ihre Bildfindungen. Die Konkretheit und auf Ausführung visierende Zielgerichtetheit eines Designers waren Meret Oppenheim sicherlich fremd.

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, bis zum 26. 10.. Die Hamburger Galerie Thomas Levy präsentiert vom 8.9.. bis 13.11. Modeentwürfe der Künstlerin. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Kerber Verlag, 29,95 €.

Burcu Dogramaci

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