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Die Nacht der lebenden Toten. Szene mit Tenor Matthew Pena.

© Vincent Stefan

Werkstatt der Staatsoper: Schreck im Schrank

Wenig Raum für Doppelbödigkeit: Otto Katzameier inszeniert Aribert Reimanns „Gespenstersonate“ beim "Infektion"-Festival der Berliner Staatsoper.

Da liegen sie hingestreckt auf dem Fußboden wie die sprichwörtlichen Leichen im Keller. Und stehen doch im nächsten Moment wieder auf, singen und schlagen sich. Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Diesseits und Jenseits sind fließend in Aribert Reimanns Kammeroper „Gespenstersonate“. Ziemlich genau nach August Strindberg zeigt das Libretto vom Komponisten und Uwe Schendel eine Gesellschaft von Untoten, die sich beim „Gespenstersouper“ mit nichtssagendem Geplauder über eigene Schuld und Verstrickung hinwegtäuschen. Keiner ist, was er zu sein vorgibt.

In Otto Katzameiers Inszenierung beim „Infektion!“-Festival der Staatsoper ist allerdings wenig Raum für Doppelbödigkeit. Karg hat Stephan von Wedel die Schillertheater-Werkstatt mit einem langen Tisch möbliert, an dem die Protagonisten ihren small talk machen und auf dem sie bei plötzlichen Enthüllungen auch schon mal herumtrampeln. „Geisterhaft“ wirken nur Videos mit Gestalten von Verstorbenen und einige Beleuchtungseffekte (Irene Selka) von fahler Bläue zu schockartiger Dunkelheit. Blutroter Hintergrund muss für den Wandschrank herhalten, in dem die „Mumie“, die Frau des schurkischen Obersts, 40 Jahre lang das Vergehen eines Ehebruchs büßt und aus dem sie ihre Anklage mit irrem Papageiengirren hören lässt.

Die Köchen singt Vampir-Lieder

Doch schnell tritt sie heraus und wird zur sehr realen, lebensprallen Person. Alexandra Ionis erfüllt sie mit bemerkenswerter Stimmkraft und emotionaler Präsenz. Sehr körperlich attackiert sie Direktor Hummel, den Drahtzieher aller Verbrechen, und zwingt ihn, sich in eben jenem Wandschrank zu erhängen. Die Ausstrahlung der großen Martha Mödl, der Reimann 1984 die Rolle auf den Leib schrieb und die sie 88-jährig, ein Jahr vor ihrem Tod, noch überragend verkörperte, erreicht die junge Sängerin sicher nicht. Doch sorgt sie mit der ihr eigenen Intensität für die emotional fesselndsten Momente des Abends.

Stimmliche und darstellerische Intensität ist all diesen jungen Sängerdarstellern und -darstellerinnen eigen, doch gewinnen die Charaktere wenig eigenes Profil. David Oštrek stattet Hummel mit machtvollen Baritontönen aus, die nur selten gefährlich leise abschattiert werden. Der Oberst (Noriyuki Sawabu) dem er gewaltsam die Kleider vom Leib reißt, erscheint dagegen als Opfer. Überhaupt ersetzt oft Aktion die inneren Konflikte. Lasziv stürzt die Dunkle Dame (Natalia Skrycka) auf den Studenten Arkenholz los – als Vampirlieder singende Köchin erscheint sie subtiler. Schade, dass Matthew Pena als Arkenholz, der sich als Lichtgestalt doch von den anderen absetzen sollte, seinen Tenor forciert einsetzt.

Die Musik fasziniert mit drohenden Trillern und Harmonium-Klängen

Paula Rummel dagegen kann die Nöte des nicht lebenskräftigen „Fräuleins“ mit leuchtendem Sopran glaubhaft machen. Wie Reimann für Stimmen schreiben kann, wie er das Beste aus dem Sänger herauszuholen vermag, zeigen Rummels halsbrecherische und doch stets natürlich wirkende Koloraturen. Das Faszinosum seiner Musik mit ihren drohenden Bläsertrillern, schmerzvollen Duetten von Violine und Viola, skurrilen Kontrabasslinien und unheimlichen Harmonium-Klängen erwecken Michael Wendeberg und 12 Mitglieder der Staatskapelle.

Weitere Aufführungen am 27. und 29. Juni sowie am 1., 3., 7. und 9. Juli.

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