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Kultur: Wie in einem Spiegel

Gedächtnis und Vision: Zum 85. Geburtstag des schwedischen Kinomagiers und Theaterregisseurs Ingmar Bergman

Zwei alte Männer begegnen einander in der psychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik von Uppsala: der pensionierte Professor Osvald Vogler und der Erfinder Carl Åkerblom. Åkerblom, Dilettant auf dem Klavier und Schubert-Liebhaber, denkt über eine neue Erfindung nach, für die er Professor Vogler zu begeistern versteht: den Sprechfilm. Bei einer Vorführung geht der Film in Flammen auf, und die beiden Männer tun das, was sie von Anfang an hätten tun können. Sie führen die unselige Begegnung Schuberts mit einer Prostituierten als Theaterstück auf.

Bleibt nach dem Kino, nach dem Ende des Kinos, nur das Theater? Lautet so das Vermächtnis eines der bedeutendsten Erfinder der Filmsprache? „Dabei: ein Clown“, eine Fernsehinszenierung, ist einer der letzten Filme Ingmar Bergmans, nach vielen Jahren, die er Abschied genommen hatte von den unverrückbar endgültigen Bildern der filmischen oder elektronischen Aufzeichnung. Für ihn kam danach nur noch: Theater. Die einmalige, unwiederholbare, unwiederbringliche Erscheinung, die nie ihre Faszinationskraft für den Mann verlor, für den alles Leben und alle Kunst unwiederbringlich sind.

Er hat das Kino verwandelt von einer Sprache der Nachahmung zu einer Sprache der Meditation. Drehbuchautor der eigenen Filme, hat er in knapp einem Jahrzehnt das Kino revolutioniert: vom „Abend der Gaukler“ (1953) bis zu „Das Schweigen“ (1963). Er hat das herkömmliche Erzählen aufgebrochen zu einem Dialog von Gegenwart und Gedächtnis, außen und innen, Erfahrung und Vision. Er hat den Film als Film sichtbar gemacht, indem er ihn als Material herzeigte. Er löste, in unendlichen Verschränkungen der Zeitebenen, alle Gewissheiten des Zeitlichen auf – und nahm ihm damit auch den Stachel. In seinem Kino ist das Vergängliche gegenwärtig und nicht mehr vergänglich, ist der Tod lebendig und haben Uhren keine Zeiger mehr.

Das war der Alptraum des 78-jährigen Arztes Isak Borg, für den sich in „Wilde Erdbeeren“ (1957) Gegenwart und Geschichte mischen und angesichts des nahen Todes gegenseitig erhellen. Ein Film voller Kühnheit, wie vorher schon „Das siebente Siegel“, dieses Schachspiel mit dem Tod und Road Movie durch das Mittelalter der Kreuzzüge, der Pest und der Flagellanten, der Hexenabfackler und Gaukler. Seinerzeit nur als Historie wahrgenommen, entpuppt sich „Das siebente Siegel“ bei der Wiederbegegnung als die Entdeckung der emotionalen Kraft der Totalen, als Versuch einer neuen filmsprachlichen Syntax im abrupten Wechsel der Totalen mit Nahaufnahmen, wie man sie später in der elliptischen Erzählweise von Jean-Luc Godard wiederfinden sollte.

Es gibt kaum einen anderen Filmemacher, der das eigene Leben, die eigenen Erfahrungen und Zweifel so sehr zum Gegenstand seiner ästhetischen Auseinandersetzungen gemacht hätte. Niemand anderer als der Sohn eines ebenso strengen wie engstirnigen Pfarrers hätte so selbstquälerische Filme machen können; nur der Sohn einer dominanten Mutter konnte so starke Frauengestalten erfinden. Auch hat Bergman, der oft genug an seiner Liebesfähigkeit zweifelte, mindestens fünfmal verheiratet war und dessen Œuvre man nach den Frauen periodisieren könnte, mit denen er Beziehungen unterhielt, immer und immer wieder (und niemals bis zum Überdruss) das schwierige Zusammenleben von Mann und Frau dargestellt.

Die „Szenen einer Ehe“ mit Liv Ullmann und Erland Josephson, 1972 entstanden, hatte nur er schreiben und inszenieren können; ausdenken musste er sie sich kaum. Mit diesem fünf Stunden langen Fernsehfilm, der von Malaysia bis Chile, von Island bis Neuseeland einem Abermillionen zählenden TV-Publikum gezeigt wurde, machte sich Ingmar Bergman zum globalen Kronzeugen der Beziehungen, machte er sein eigenes Leben endgültig zum Steinbruch – und hatte die intellektuelle und moralische Selbstausbeutung ihren Gipfel erreicht.

Als er vierzig wurde, zeigte die Cinémathèque Française seine bis dahin 19 Filme. Damals, 1958, schrieben sie schon abschließend über ihn, die jungen französischen Kritiker und künftigen Regisseure der Nouvelle Vague, Truffaut zum Beispiel, oder Godard, der von Bergman sagte, es sei unmöglich, auf klassischere Weise modern zu sein. Damals fingen sie an, von dem Klassiker der Moderne nicht nur zu sprechen, sondern auch zu zehren. Bis heute gehört nichts mehr von all dem nur noch ihm selbst. Es ist unmöglich, von Bergmans Kino zu reden, ohne gleichzeitig an die Filme der Europäer der letzten vier Jahrzehnte zu denken.

Oder an Woody Allen, der sich – so sehen es jedenfalls die Amerikaner – an Bergmans Kino so vergiftet hat, dass er von seiner Raserei gegen Hollywood nicht mehr lassen kann. Am heutigen Montag wird Ingmar Bergman, der große Kinomagier, 85 Jahre alt.

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