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Gipsbüste. Der Bildhauer Auguste Rodin begeisterte sich für Hanako, die in Europa und Amerika um 1910 zum Star wurde.

© Pauline Hisbacq/Musée Rodin

Wiedereröffnung Georg-Kolbe-Museum: So schön ist Harakiri

Das Berliner Georg-Kolbe-Museum ist saniert und zeigt zur Wiedereröffnung Auguste Rodins Hanako-Zyklus.

Sie war eine Sensation in der Berliner Kaiserpassage, Friedrichstraße Ecke Unter den Linden. „Madame Hanako wird erdolcht und kann nun mit allen Finessen zeigen, wie große japanische Künstlerinnen auf der Bühne zu sterben verstehen. Unsagbar realistisch und doch wahrhaft ergreifend, mit grausamer Eindringlichkeit nach der Natur gezeichnet“, schwärmte 1908 die „Sport im Bild“. Japans größte Tragödin lockte die Touristen an, im Passage-Theater, das unter einem Dach mit Nippesläden, exotischen Völkerschauen, Panoptikum und Kaiserpanorama residierte.

Was die Berliner für authentische, weil reichlich fremdartige Schauspielkunst hielten, war tatsächlich ein interkulturelles Missverständnis: Im japanischen Kabuki-Theater wurden Hanakos Paraderollen üblicherweise von Männern gespielt. Insbesondere das Harakiri, der rituelle Selbstmord durch Bauchaufschneiden, war traditionell der obersten Schicht der Samurai-Krieger vorbehalten. Japanische Theaterleute mochten sich eine Frau in so einer Rolle gar nicht erst vorstellen. Nur in Europa und Amerika wurde die puppenhafte Hanako um 1910 zum Star. Sie gehörte zur Riege der Tänzerinnen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg ihre von Korsetts und Konventionen befreiten Körper auf den westlichen Bühnen präsentierten.

Acht Monate wurde das Haus saniert

Jetzt bekommt die kleine Tänzerin noch einmal einen großen Auftritt in Berlin. In der Ausstellung „Auguste Rodin und Madame Hanako“ zur Wiedereröffnung des Georg-Kolbe-Museums. Acht Monate war das Haus saniert worden, vergleichsweise kurz also, blickt man auf die anderen, derzeit in Berlin geschlossenen, ungleich größeren sanierungsbedürftigen Häuser, das Pergamonmuseum oder die Neue Nationalgalerie. Nächste Woche steht gleich die nächste, kleinere Wiedereröffnung auf dem Programm: Ab dem 19. Juni ist das Museum Berggruen wieder vollständig zugänglich, samt dem Kommandantenhaus als Erweiterungsbau.

Im Kolbe-Museum sollte auch eine größere Ausstellungsfläche gewonnen werden. Dafür wurden die Heizkörper diskret von den Wänden entfernt und durch eine Fußbodenheizung ersetzt. Auch dass durch die reparierte Glasdecke jetzt wieder weiches Licht in den Raum strömen kann, nimmt man auf den ersten Blick gar nicht wahr. Sanfte Sanierung: 1,2 Millionen Euro Lottomittel hat das Architekturbüro Brenne unauffällig verbaut, um das Ateliergebäude denkmalgerecht zu sichern und in seiner heutigen Funktion als Ausstellungsgebäude zu ertüchtigen.

Exotisches Japan. Eine Hanako-Postkarte von 1913.
Exotisches Japan. Eine Hanako-Postkarte von 1913.

© Georg-Kolbe-Museum

Keine schlechte Idee, zur Wiedereröffnung einen Transfer der Kulturen zu thematisieren. Dafür haben Kuratorin Brygida Ochaim, Museumschefin Julia Wallner und François Blanchetière vom Pariser Musée Rodin zahlreiche Dokumente zu jenem japanisch-europäischen Transfer ausgegraben, der auch eine kinoreife Emanzipationsgeschichte war. Als Hanako, die eigentlich Ôta Hisa hieß, 1901 mit einer Schauspieltruppe zum ersten Mal nach Europa reiste, war sie 33 Jahre alt und hatte schon eine Geisha-Ausbildung und zwei gescheiterte Ehen hinter sich. Um sich in der Fremde über Wasser zu halten, jobbte sie in einem Restaurant in Antwerpen und verdingte sich bei einer Völkerschau im Kopenhagener Zoo. Protegiert von der amerikanischen Ausdruckstänzerin Loïe Fuller, tourte Hanako ab 1905 mit einer japanischen Theatertruppe durch Europa und die USA. Höhepunkt der Aufführungen im Kabuki-Stil war stets ihr spektakulärer Bühnentod.

Sie hat kein Fett und die Muskeln sind einzeln sichtbar

Der Bildhauer Auguste Rodin sah Hanako 1906 während der Kolonialausstellung in Marseille auf der Bühne und lud sie in sein Pariser Atelier zum Vortanzen und Aktstudium ein: „Sie hat gar kein Fett und die Muskeln sind einzeln sichtbar. Wie die Muskeln bei Foxterriern“, beschrieb er sie. Sie sei wie ein Baum mit tiefen Wurzeln, ihre Anatomie eine völlig andere als die der Europäerinnen, „in seiner einzigen Kraft jedoch außerordentlich schön“. Über 50 Hanako-Köpfe, -Masken und -Büsten formte Rodin. Die Schauspielerin wurde zum wichtigsten Modell seines letzten Jahrzehnts, der Kontakt hielt bis zu Rodins Tod 1917.

In flüchtigen Arbeitsskizzen hielt der Bildhauer Hanakos Bewegungen fest. Doch ihn interessierte nicht so sehr die Darstellung des bewegten und beseelten Leibes - womit er der Plastik ohnehin längst neue Dimensionen eröffnet hatte. Rodin konzentrierte sich ganz auf Hanakos Gesicht, ihre Mimik, ihren Blick. Entschlossenheit zum Sterben, Furcht, die Empfindung einer tödlichen Verletzung konnte Hanako maskenhaft darstellen. Im Atelier sollte sie ihre Gesichtsmuskeln oft eine halbe Stunde lang unverändert anspannen, während der alte Rodin mit kräftigen Daumen und spitzem Messer an Gips- und Tonmasken tüftelte.

Hausansicht Georg Kolbe Museum nach der Sanierung 2016.
Hausansicht Georg Kolbe Museum nach der Sanierung 2016.

© Foto Enric Duch/Kolbe-Museum

Wo, wenn nicht in einem Bildhaueratelier, lassen sich diese Arbeitsprozesse besser ausstellen? Georg Kolbe, der sich 1928/29 ein Atelierhaus an der Sensburger Allee im Stil der Neuen Sachlichkeit bauen ließ, war ein großer Bewunderer Rodins. Beiden war der moderne Tanz eine Inspirationsquelle, um ihren Figuren Leben und Anmut einzuhauchen. 1907 besuchte Kolbe Rodin in dessen Atelier und erwarb die filigrane Zeichnung einer kambodschanischen Tänzerin von ihm.

Aus der kleinen Küche wurde ein Museumsshop

Aufgehängt neben dem Kamin im ehemaligen Wohnatelier, bildet dieses Blatt nun den Auftakt zur Sonderschau. Von der Decke baumeln nun wieder die Originallampen aus den 20er Jahren, die verstaubt unterm Dach gefunden wurden. Die kleine Küche mit dem Originalmobiliar nebenan wurde geschickt zum Museumsshop umgewidmet. Im großen Hauptatelierraum wirbelt, windet und streckt sich eine ganze Kompagnie von Ausdruckstänzerinnen, allesamt in Bronze eingefroren. Es sind Kolbes Arbeiten, darunter die „Kauernde“ des jungen Bildhauers, die man spontan eher seinem Vorbild Rodin zuschreiben würde. An der Atelierwand hängen beschwingte Federzeichnungen von Tänzerinnen, andere Blätter zeigen einen jungen Chinesen und eine Japanerin.

Von Kolbes schwungvollen Skulpturen und Zeichnungen geht es dann weiter in den Museumsanbau zu den Arbeiten Rodins und den Dokumenten von Hanakos Karriere. Neben Zeichnungen und Fotografien hat das Musée Rodin 25 plastische Darstellungen ihres Gesichts nach Berlin ausgeliehen, in Gips, Ton, vergoldeter Bronze. Was suchte Rodin din diesen Zügen, außer dem Antlitz des Todes? Einmal formte er einen Hanako-Gipskopf gar zu einer dramatisch bewegten Beethovenbüste um! Weich, zart, mädchenhaft wirken Hanakos Züge in einer Maske aus lebensecht gefärbtem Glas. Mit Bildnissen anderer Frauen, die eine zentrale Rolle in seinem Leben spielten, hatte die Hanako-Maske einen Ehrenplatz in Rodins Atelier. Was zwischen Bildhauer und Modell vorgegangen sein könnte, inspirierte den japanischen Schriftsteller Mori Ogai zwar zu einer fiktiven Erzählung – doch letztlich bleibt es ein Geheimnis.

Überraschend leuchtet zwischen den Skulpturen ein großes Jugendstil-Filmplakat heraus. 1913 warb es in Moskau für den Stummfilm „Die kleine Geisha“. Eine erst kürzlich in Paris entdeckte Filmkopie wird gerade digitalisiert, um den einzigen Film mit Hanako demnächst in Berlin zeigen zu können. Neugierig ist man schon, ob ihr theatralisches Sterben immer noch unter die Haut geht.

Georg-Kolbe-Museum, bis 18. September, täglich 10-18 Uhr, Katalog: Wienand Verlag, 160 S., 29,80 €

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