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Wahre Geschichte. Der Arzt Seyolo Zantoko (Marc Zinga, l.) kommt mit Frau (Aissa Maiga) und Kindern (Baron Lebli, Medina Diarra) ins Dorf Marly-Gomont. Die Bauern sind entsetzt.

© Prokino

Willkommenskultur im Kino: Guck mal, wer da kommt!

Willkommenskultur im Kino ist fast ein eigenes Genre geworden. Diese Woche startet die französische Komödie „Ein Dorf sieht schwarz“, in der es eine kongolesische Familie in die Picardie verschlägt.

Kommt ein Fremder in die Stadt. Was will der bei uns? Schau ihn an, wie er schaut, kann der nicht reden?, sagen die Leute und mustern ihn von oben bis unten. Es ist ein uralter Topos, die Ur-Szene des Clashs der Kulturen: Rainer Werner Fassbinder hat sie 1969 in „Katzelmacher“ ins Bild gesetzt, mit sich selbst in der Rolle eines griechischen Gastarbeiters. Ein deutsches Sittenbild, zur Moritat stilisiert.

Willkommenskultur im Kino, das ist fast schon ein eigenes Genre geworden. Zunächst entstanden zahlreiche Dokumentarfilme zur Flüchtlingskrise, von Gianfranco Rosis Goldbären-gekrönter Lampedusa-Doku „Fuocoammare“ über Nahaufnahmen von Flüchtlingen aus Eritrea in Friesland („Gestrandet“) oder von Jugendlichen in einer Baseler Integrationsklasse („Neuland“) bis zu Langzeitbeobachtungen wie Pia Lenz’ „Alles gut“ über geflüchtete Kinder in Hamburg.

Überall in Europa entstehen Spielfilme zum Thema Integration

Mittlerweile häufen sich die Spielfilme. Neben Aki Kaurismäkis Melodramen „Le Havre“ und „Die andere Seite der Hoffnung“ kamen zuletzt die skandinavische Farce „Welcome to Norway“ und die deutsche Erfolgskomödie „Willkommen bei  den Hartmanns“ ins Kino. Jetzt startet  Julien Rambaldis Tragikomödie „Bienvenue à Marly-Gomont – Ein Dorf sieht schwarz“, basierend auf einer wahren Geschichte aus den 70er Jahren.

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Die Konstellation ist jedes Mal ähnlich, auch wenn in Rambaldis Provinz-Erzählung keine Asylbewerber im Zentrum stehen, sondern der junge kongolesische Arzt Seyolo Zantoko (Marc Zinga) und seine Familie, die es nach Seyolos Medizinstudium in Lille für dessen ersten Job in ein Kaff in der Picardie verschlägt. Das Entsetzen ist groß, auf beiden Seiten, hier die Furcht, da der Frust. Kein Bauer will sich von „so einem“ behandeln lassen, die Praxis bleibt leer. Umgekehrt hatten seine Frau Anne (Aïssa Maïga), Sohn Kamini (Bayron Lebli) und Tochter Sivi (Médina Diarra) vor der weiten Anreise aus Kinshasa von einem Leben in der Metropole Paris geträumt. Stattdessen finden sie sich im strömenden Regen wieder, in einer Bruchbude mit Schrottauto vor der Tür, zwischen dumpfen Hinterwäldlern und gleichgültig wiederkäuenden Kühen.

Der Rapper Karimi, der Sohn des Arztes, hatte mit "Marly-Gomont" einen Hit gelandet

Manch ein Bewohner von Marly-Gomont sieht gar den leibhaftigen Teufel in dem schwarzen Arzt, auch seine beherzten Integrationsversuche mittels Dorfkneipen-Besuch samt Dartwurftraining und Calvados-Konsum wollen nicht fruchten. Wie gesagt, eine wahre Geschichte. Der Sohn des Arztes, der Rapper Kamini, hatte mit seinem Song „Marly-Gomont“ einen Internet-Hit gelandet, er hatte die Idee zum Film und fungiert als Ko-Autor.

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Willkommenskultur-Filme folgen dem Muster, dass sie zunächst die Ressentiments und Stereotypen nach Kräften ausmalen, um sie dann ad absurdum zu führen oder mittels überraschender Wendungen die Erkenntnis reifen zu lassen, dass Fremde auch nur Menschen sind. Erst die strengen Polizisten und Behörden-Beamten, dann die lakonische Solidargemeinschaft im Restaurant – Kaurismäkis finnische Variante. Erst der Profitgedanke des Losers in „Welcome to Norway“, der sein marodes Hotel zur Notunterkunft umfunktioniert, dann die Konfrontation mit absurden Problemen, etwa mit der Tatsache, dass Christen und Moslems sich weigern, ein Zimmer zu teilen, ebenso Schiiten und Sunniten. Die Geburt des Humanismus aus dem Realitätsschock. Und die Erkenntnis der eigenen Intoleranz anhand derjenigen der anderen.

Im Biomarkt. Angelika Hartmann (Senta Berger) und Diallo (Eric Kabongo) in "Willkommen bei den Hartmanns".
Im Biomarkt. Angelika Hartmann (Senta Berger) und Diallo (Eric Kabongo) in "Willkommen bei den Hartmanns".

© Warner Bros.

Und die deutsche Variante? Simon Verhoevens für den Filmpreis nominierte Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“ nimmt sich das Gutmenschentum vor. Vor lauter Helfersyndrom ersticken die Hartmanns ihren Schützling aus Nigeria beinahe, sind ohnehin vor allem mit sich selbst beschäftigt. Dummerweise reflektiert Verhoeven weniger die Risiken und Nebenwirkungen der Willkommenskultur, als dass er sie plump karikiert. Der Flüchtlings-Stopp dank Türkei-Deal und die Schließung der Balkanroute, die Attacken gegen Asylbewerber nach Merkels „Wir schaffen das“, all das müsste wenigstens mitschwingen, wenn man das Engagement der Helfer aufs Korn nimmt. Auch die Flüchtlings-Stereotypen werden eher gedankenlos reproduziert. Hier der immerfreundliche Diallo, der für ultrakonservative Werte wie die arrangierte Ehe wirbt (wer hätte was dagegen, wenn der Bräutigam Elyas M’Barek heißt!), dort der gefährliche Dschihadist in der Sammelunterkunft. Der Fremde, eine Projektionsfläche.

Eiseskälte: Der Notunterkunfts-Herbergsvater Anders Baasmo Christiansen und der Asylbewerber Slimane Dazi (v.l.) in "Welcome to Norway"
Eiseskälte: Der Notunterkunfts-Herbergsvater Anders Baasmo Christiansen und der Asylbewerber Slimane Dazi (v.l.) in "Welcome to Norway"

© Polyfilm

Das ist er bei Fassbinder auch, nicht zuletzt in dessen Melodram „Angst essen Seele auf“. Brigitte Miras arabischer Lover Ali zieht die Vorurteile ebenso auf sich und verkörpert sie gewissermaßen wie der griechische Fremdarbeiter in „Katzelmacher“. Aber indem der Regisseur selber den Griechen spielt und die Ressentiments förmlich durchbuchstabiert, macht er sie als solche kenntlich. Der Orientale wird von der sich abschottenden deutschen Wirtschaftswunder-Gesellschaft vor allem als körperliches Phänomen wahrgenommen: Er riecht nicht gut, sorgt ganz bestimmt für guten Sex und ist womöglich Kommunist. Fassbinder erkundet, wie die Mechanismen der Ausgrenzung in Gewalt umschlagen können, ohne die Naivität der Wohlwollenden gutzuheißen. Aber er hegt leise Sympathien für sie, entdeckt Widerstandspotential in der Unbedarftheit von Brigitte Miras Putzfrau.

Immerhin: Rambaldis Feel-Good-Movie wechselt ständig die Perspektiven

Natürlich strotzt auch „Ein Dorf sieht schwarz“ nur so vor Klischees. Hier die strohdummen Bauern, da die lebenslustigen Afrikaner, wie Diallo bei den „Hartmanns“. Als die geradezu übermütige Verwandtschaft von Seyolo aus Brüssel anreist, mischt sie die Christmette mit Gospelsongs auf. Nichts dagegen, das Kino lebt von solchen Wiedererkennungseffekten. Es kommt nur darauf an, was es draus macht. Julien Rambaldis Feel-Good-Movie geht clever vor, indem es unentwegt zwischen den Perspektiven wechselt und das Einbiegen in die Zielgerade Richtung Happy End ungewöhnlich lange hinauszögert.

Zuguterletzt kann nur zweierlei die Versöhnung bewirken: eine Notgeburt ausgerechnet an Heiligabend, ein Weihnachtswunder als Deus ex Machina. Zudem erweist sich Seyolos Tochter als Fußball-Ass, kaum dass sie mitspielen darf, fliegen ihr alle Herzen zu. Ja, der gute alte Fußball. Bis auf Weiteres bleibt er das Integrationsfeld Nummer eins.

Übrigens: Diese Woche kommt schon die erste Abschiebe-Komödie ins Kino, „Alles unter Kontrolle“. Aus der Traum, so schnell kann es gehen.

Ab 20. April in 10 Berliner Kinos, OmU: Cinema Paris, Kulturbrauerei, Rollberg

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