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Kultur: Wir können auch lauter

Oper als Zeichentrickfilm: Philipp Stölzl inszeniert Giuseppe Verdis „Il Trovatore“.

Wie inszeniert man Verdis „Il Trovatore“? Philipp Stölzls Antwort lautet: Indem man die krude Story aus dem Spanien des 15. Jahrhunderts gar nicht erst zu verstehen versucht, sondern sie einfach bildmächtig und grell in Szene setzt. Stölzl, der sich zunächst als Film- und Videoclipregisseur einen Namen gemacht hat, zeigt wenig Berührungsängste mit Historismus und dessen unvermeidlicher Begleiterscheinung, dem Pathos (wie zuletzt in Berlin beim „Parsifal“ oder dem „Fliegenden Holländer“). Der „Trovatore“, den er jetzt bei den Wiener Festwochen im Theater herausgebracht hat, wandert im November an die Berliner Staatsoper, wo Anna Netrebko die Leonora sein wird und Placido Domingo Graf Luna.

In Wien kommt nach eher unentschlossenen Zugriffen des Chefs Luc Bondy auf „Traviata“ und „Rigoletto“ mit Stölzl ein frischer Blick auf Verdi „Trilogia popolare“ ins Spiel. Der für den Arnold Schoenberg Chor harte Arbeit bedeutet. Ein, zwei Trippelschritte nach vorn in Pluderhosen und Halskrause, die Augen schmerzlich weit aufgerissen, ein stummer Schrei, dann freeze, die totale Erstarrung. Und weiter, nächste Position, andere Geste, Entsetzen über die gruselige Geschichte, die der alte Ferrando (Gábor Bretz) da erzählt. Alles breit ausgemalt, überdeutlich, unnatürlich, zeitlupenhaft. Wie ein Zeichentrickfilm. Bewegungsabläufe, die geschult sind an Donald und Mickey, an Tom und Jerry.

Was durchaus Sinn hat. Verdis Ästhetik des Schnitts, der einzelnen, isolierten Szene wirkt oft wie eine Vorwegnahme der in Miniaturen zerstückelten, gleichsam gefrorenen Aktion von Comics. Und im „Trovatore“ hat Verdi die Technik der grellen, unvermittelten Kontraste auf die Spitze getrieben. Die Brüche zwischen den Bildern entlassen eine Wahrheit, die mehr mit unserer modernen, digital verhackstückten Wahrnehmungsweise von Welt zu tun hat als Richard Wagners „unendliche Melodie“.

Schade, dass Philipp Stölzl diesen Ansatz jenseits der Massenszenen nicht durchhält. Wird es intim, stehen die Protagonisten relativ konventionell in der Kulisse herum. Die aus zwei übermannshohen Wänden besteht, ein abgenutztes Bild, das Ausweglosigkeit suggerieren soll. Immerhin, diese Wände sprechen eine eigene Sprache, da erscheinen Fenster mittels Videotechnik (fettFilm) und surrealistische Bilder, die das Geschehen kommentieren. Auch die sehr schiefe Ebene (Bühne: Conrad Moritz Reinhardt und Philipp Stölzl) verfehlt ihre Wirkung nicht, sie ergänzt sich mit den Wänden zu einem aufgeschnittenen Würfel, Sinnbild für die Abwärtsspirale, in der Leonora, Manrico, Azucena und Luna gefangen sind.

Abrutschen ist eine reale Gefahr, Gitter, Geländer, Netze gibt es nicht – und die Mitglieder des ORF-Radiosymphonieorchesters müssen im Graben die Urangst eines jeden Opernmusikers aushalten: dass ihm etwas auf den Kopf fallen könnte.

Der junge koreanische Tenor Yonghoon Lee sucht in der heiklen Rolle des Manrico die Rettung in heillos forcierten, viel zu lauten, herausgeschrieenen Tönen und wird dafür beim Applaus abgestraft. Dass er auch das hohe C in der kriegslüsternen Kabaletta am Ende des 3. Teils („Di quella pira“) nicht schafft, wird da fast zur Nebensache. Carmen Giannattasio singt Leonora zwar mit vulkanisch glühendem, aus dunklen Tiefen kommendem Sopran, bleibt aber szenisch ein Totalausfall. Über das, was die Figur im Innersten bewegen mag, erfährt der Zuhörer nichts.

Und auch der sonst eher analytisch veranlagte Dirigent Omer Meir Wellber zeigt sich am Pult überhitzt. In den Finalszenen wird's regelmäßig zu laut, dann scheint das Orchester die Sänger regelrecht überbrüllen zu wollen, die Abstimmung mit dem Chor will nicht immer klappen. Im November in Berlin wird Daniel Barenboim dirigieren, bei dem Omer Meir Wellber einst Assistent war.

Dass der Abend musikalisch nicht abrutscht, dafür sorgen in Wien die drei übrigen Solisten. Gábor Bretz, leider nur in einer Nebenrolle, gibt mit pechschwarzem Bass einen tollen Ferrando, Artur Rucinski zeigt als Graf Luna, wie viel man aus so einer Figur herausholen kann: sein sonorer Bariton kontrastiert mit dem jugendlichem Gesicht, hinter dem überraschenderweise kein Macho lauert, kein Siegertyp, sondern ein zögerlicher, ängstlicher Herrscher, der aus Kompensationszwang alle anderen in den Tod treibt. Und die Zigeunerin Azucena, sowieso die schillernste, rätselhafteste Figur, schwarzes Zentrum des Stücks, ist bei Marina Prudenskaya in besten Händen: Lodernder Mezzo, völlig wahnsinnig, irre stierende Augen, blutgetränkt – ein Glücksfall, dass Prudenskaya die einzige aus der Wiener Besetzung ist, die auch in Berlin singen wird. Udo Badelt

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