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Der erste Demonstrant vor dem Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, in Berlin.

© Reuters

Wulff, Guttenberg & Co: Anleitung zum Unfähigsein

Wulff, zu Guttenberg, Rösler: Die Stunde der Dilettanten hat geschlagen. Blender haben Hochkonjunktur – vor allem in der Politik.

Dass die Dilettanten von dem, was sie tun, meist nichts verstehen, weiß jeder Dilettant und hält es den anderen gern vor. „Dilettant“, reimte Paul Heyse Ende des 19. Jahrhunderts, „heißt der kuriose Mann. / Der findet sein Vergnügen daran, / Etwas zu machen, was er nicht kann.“ Dass es auch etwas gibt, das die Dilettanten sehr wohl beherrschen, wird leicht übersehen. Dabei ist genau das, die Kunst, sich und der Welt etwas vorzumachen, ihr Metier. Erfolgreiche Dilettanten sind Meister der Blendung.

In der Politik können sie es weit bringen, was nicht heißen soll, dass jeder Politiker ein gewiefter Dilettant sein muss, beileibe nicht, was aber doch manches erklären kann, so zum Beispiel, weshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel und zwei Drittel der Deutschen lange der „festen Überzeugung“ waren, der überführte Hochstapler Karl-Theodor zu Guttenberg besäße eine besondere politische Begabung. Der Anschein der Bedeutung, den er sich zu geben vermag, seine kultivierte Hybris, nichts sonst verbürgt den Erfolg des Dilettanten. Er ist der geborene Rosstäuscher, einer, der uns faule Kredite als sichere Geldanlage, Kitsch als Kunst und Lügen als „alternativlose“ Politik verkauft.

Wie in der Kunst ist die Ausbreitung des Dilettantismus in der Politik ein Phänomen der jüngeren Geschichte, die Folge einer ideellen Gewichtsverlagerung. Mit der Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer bisweilen krisenüberschatteten, aber doch stetigen materiellen und konstitutionellen Festigung hat sich das sachliche Interesse an der zukunftsgestaltenden Politik zunehmend verloren, während zugleich Strukturen entstanden, die es dem Einzelnen erlauben, sich mit individueller Absicht für die Existenz des Politikers zu entscheiden. Es geht ihnen um die Rolle, in der sie sich zur Geltung bringen möchten, nicht um das Verfechten von Ideen. Diese werden nur mehr eingesetzt wie die Versatzstücke einer Theaterdekoration. Sie dekorieren die Szene und kostümieren den Mimen.

Wenn der Bundespräsident einer Zeitung den „Krieg“ androht, sollte sie sich erlauben, kritisch über seine privaten Geschäfte zu berichten, dann lässt sich das nicht mehr als Fauxpas abtun. Das potentatenhafte Gebaren offenbart den politischen Gernegroß. Es demaskiert einen Amateur, dem das Format zur Ausfüllung eines Amtes fehlt, um dessen Darstellung er sich ehrgeizig beworben hat, über drei peinliche Wahlgänge hinweg.

Längst sitzen die Politiker in der Falle, die sie sich selbst gestellt haben. Narzisstisch auf den eigenen Auftritt fixiert, haben sie den Boden fundierter Sachkenntnis unter den Füßen verloren, sind politische Gaukler geworden, denen das Volk beinahe alles zutraut, weil sie sich selbst alles zutrauen. Eben noch war Philipp Rösler Gesundheitsminister. Von Haus aus Arzt, schien er wie geschaffen für das Amt, bis er plötzlich auf den Posten des Wirtschaftsministers wechselte, nicht weil sich herausgestellt hätte, dass er dafür noch besser geeignet ist, sondern weil er zum Parteivorsitzenden gewählt worden war und das glanzlose Gesundheitsministerium dieser gewachsenen Bedeutung seiner Person nicht mehr genügt hätte. Die Frage, was ihn fachlich dafür qualifiziert haben könnte, wurde nie gestellt, nicht einmal von der Öffentlichkeit, die gelernt hat, derartige Kabinettsumbildung als eine Selbstverständlichkeit parteiinterner Karriereplanung hinzunehmen.

Auch als Bürger haben wir uns daran gewöhnt, in unseren Illusionen zu leben. Jeder Dilettant, der uns in dem Glauben bestärkt, dass die Realität vor allem unseren Wünschen entsprechen müsse, hat von Wahl zu Wahl leichteres Spiel. Weil wir es leid geworden sind, uns mit Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten die Laune zu verderben, lassen wir uns mit allen möglichen Versprechen abspeisen, solange nur die Vorstellung unserer eigenen Großartigkeit unangetastet bleibt, unsere Ansprüche rhetorisch respektiert werden.

Und die Aussichten für 2012? Fortsetzung der laufenden Inszenierung mit gleicher Besetzung.

Das niedrigste Niveau ist zu einer politischen Plattform geworden, auf der sich die aktiven mit den passiven Dilettanten im Reigen der Illusionen wiegen. Jeder kann jedem etwas vormachen, indem er selbstbewusst die Kompetenz vorspiegelt, die er gern hätte, zumal die anderen in dieser Gesellschaft fröhlicher Zocker auch nie so genau wissen, worum es denn eigentlich geht: auf den Finanzmärkten, in der Kunst und erst recht in der Politik. „Dekadenz“ lautet die ungern gehörte begriffliche Bezeichnung dieses Zustandes. Anfangs, im Fin de Siècle, war das noch ein heiteres Ballvergnügen gewesen, das sich durch die Verfeinerung der überkommenen Kultur um ihrer selbst willen auszeichnete; später, als das Interesse an der Kultur erlahmte, ist daraus ein Totentanz geworden. Auch die Diktatoren des 20. Jahrhunderts waren Hochstapler, die ihr Unvermögen durch die Selbstüberhebung zu kompensieren versuchten.

Immer dann, wenn er sich mit der Macht verbindet, wird der Dilettantismus zur Bedrohung. Aus den einfältigen Versagern werden professionelle Dilettanten. Wo sie erfolgreich sind, hat die Gesellschaft am Ende auszubaden, was sie in ihrer Selbstüberschätzung ahnungslos anrichten, gleich, ob sie als Banker die Einlagen ihrer Kunden verspielen, sich als Politiker mit einer Rechtschreibreform am Kulturgut der Sprache vergreifen oder ob sie einen Rettungsschirm nach dem anderen aufspannen, weil sie meinen, einmal gemachte Schulden ließen sich mit noch höherer Verschuldung aus der Welt schaffen.

Stets wissen die Dilettanten, was sie gern wollen würden. Die Bundeskanzlerin hat das in ihrer Neujahrsansprache eben erst wieder salbungsvoll verkündet; wie sie es anstellen wollte, war dabei nicht zu erfahren. Den lieben „Bürgerinnen und Bürgern“ wurde lediglich die Fortsetzung der laufend Inszenierung mit gleicher Besetzung in Aussicht gestellt. Alles, was bei dem letzten aufwendig zelebrierten Gipfeltreffen des Jahres 2011 herauskam, ist die Ankündigung, dass man sich 2012 auf die Einführung strengerer Regeln zur Wahrung der Haushaltsdisziplin verständigen werde.

Werden wir hier schlichtweg für dumm verkauft oder sind die Politiker bereits derart überfordert, dass sie sich selbst zum Narren halten müssen? Gleichviel, so oder so offenbart sich in der lautstarken Inszenierung der Hilflosigkeit jene Arroganz der Macht, mit der die Dilettanten seit jeher über ihre Unfähigkeit zu triumphieren versuchen.

Dabei versteht es sich, dass nicht jeder Politiker ein studierter Historiker oder Wirtschaftswissenschaftler, gar ein Moralapostel sein muss. Kein Wort wäre darüber zu verlieren, wären sich die Handelnden ihrer beschränkten Fähigkeiten noch bewusst. Der intellektuelle Selbstzweifel jedoch ist die Sache der Dilettanten nicht. Vielmehr sind sie fachlich enthemmte Tatmenschen. Und sicher können sie als solche manches zuwege bringen, wovon der Fachmann lieber die Finger ließe. Kein Ökonom hätte je den Mut aufgebracht, den Euro in einem wirtschaftspolitisch so disparaten Raum einzuführen, wie ihn Europa nun einmal darstellt. Hierzu bedurfte es einer Leidenschaft, wie sie nur finanzpolitische Laien vom Schlage eines François Mitterrand und eines Helmut Kohl aufzubringen wagten.

Das Projekt war primär getragen von der Hoffnung, dass sich mit der gemeinsamen Währung das friedliche Zusammenleben der Völker ein für alle Mal sichern ließe und der Kontinent zudem an weltwirtschaftlicher Bedeutung gewinnen würde. Daran, wie das mental funktionieren sollte, wie die europäische Öffentlichkeit ohne eine gemeinsame Sprache zusammenfinden könnte, wurde kein Gedanke verschwendet. Über alle kritischen Einwände volkswirtschaftlicher Vernunft triumphierte die Kraft der Vision vom europäischen Großreich. Der Euro kam und zeigte, was Dilettanten mit der Kunst, sich und anderen etwas vorzumachen, erreichen können.

Die harmlosen Pfuscher, die sich einst von Paul Heyse verspotten lassen mussten, sind sie schon lange nicht mehr. Ihr weltpolitisches Vabanquespiel hat nichts mehr zu tun mit den ironischen Provokationen des Hochstaplers Felix Krull.

Thomas Rietzschel lebt als freier Autor in der Nähe von Frankfurt/Main. Anfang Februar erscheint im Zsolnay Verlag sein Buch „Die Stunde der Dilettanten. Wie wir uns verschaukeln lassen“ (256 S., 17, 90 €).

Thomas Rietzschel

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