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Kultur: Zittern, bis der Arzt kommt

Tags Hausmeister, nachts barmherziger Samariter: „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“.

Ja, Ketel muss Dreck fressen. Jeden Tag. Als Hausmeister, der in einer Souterrainwohnung in der Richardstraße wohnt und im Treppenhaus den Putzlumpen schwingt. Und als illegaler Mediziner, der nachts auf den Straßen von Neukölln den Verbrechern die Kugeln aus den Schusswunden polkt und die wehen Bäuche armer Migrantenkinder heilt. Aber der Klumpen Dreck, das eklige Stück Braunkohle, das der Hüne mit der Arzttasche auf der Karl-Marx-Straße herauswürgt und in einem Schraubglas im Kühlschrank aufhebt, der ist so apokalyptisch und surreal wie keine übliche NeuköllnMetapher sein kann. Noch nicht.

Der No-Budget-Film „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“ spielt in der Zukunft und mischt Science-Fiction-, Mysterythriller- und Sozialdrama-Elemente. Und ist noch dazu in kontrastreichem Schwarzweiß gedreht – wobei die Arbeit von Kameramann Nikos Welter streckenweise wirklich beeindruckt.

Kein Zweifel also, dass sich das ambitionierte Produzenten-, Regie- und Autorenpaar Anna und Linus de Paoli mit seinem bereits 2011 gedrehten DFFB-Abschlussfilm einiges vorgenommen hat. Zumal das Thema der unerschwinglichen medizinischen Versorgung politisch brisant, angesichts von Zweiklassenmedizin und Facharztabwanderung beängstigend real und darüber hinaus bei den Filmemachern familiär authentisch angebunden ist. „Für meinen Vater – Arzt in Neukölln von 1980-2009“ steht im Abspann zu lesen. Die Widmung gilt Anna de Paolis Vater, in dessen ehemaligen Praxisräumen das Paar wohnt und auch sein Filmproduktionsbüro betreibt.

Schauspielerisch haben sich die Filmemacher sogar Unterstützung aus Hollywood geholt. Amanda Plummer, die psychotische Gangsterbraut Honey Bunny aus Tarantinos „Pulp Fiction“, spielt die extra aus den USA eingeflogene Sicherheitsexpertin Louise. Plummer haben die De Paolis bei einem Filmfestival kennengelernt, und sie hat ihr Versprechen, bei diesem Projekt ohne Gage mitzuspielen, prompt erfüllt. Louise – ihre Figurenzeichnung ist allerdings arg lückenhaft ausgefallen – setzt sich wegen der grassierenden Apothekeneinbrüche auf die Spur des Armenarztes, den Ketel Weber als stillen Schmerzensmann spielt. Webers zerfurchte Miene passt perfekt zum düsteren Look des Films, sein Spiel dagegen bleibt betrüblich hölzern. Da bringt Pit Bukowski als Straßenjunge Pit, der Ketel bei den Einbrüchen hilft, von ihm gerettet wird und ihn trotzdem verrät, deutlich mehr professionelle Street Credibility auf die Leinwand.

Das Besetzungsmanko wäre zu ertragen, wenn der in drei Kapitel unterteilte Film sich dramaturgisch nicht so zäh im Ungefähren verlaufen würde. Und das trotz des Twists, die Erzählzeit durch die Perspektive von Louise an einer Stelle zurückzudrehen. Die am Anfang so grandios installierte Dystopie – Totale über Neuköllner Dächer, Zoom aufs rotierende Apothekenschild, SlowMotion-Einstellungen vermüllter Straßen und klug gesetzte Rockriffs – schmiert ab, parallel zum fortschreitenden Absturz der Figur Ketel. Eine Weile kommt dann noch lokalpatriotische Freude auf, etwa beim Erkennen von Drehorten wie der Storch-Apotheke in der Richardstraße oder des Estrel-Hotels in der Sonnenallee. 80 Minuten aber trägt diese Art von Neukölln-Fieber nicht. Gunda Bartels

Central (auch englisch untertitelt) und Moviemento (engl. untertitelte Version)

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