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Der Streitbare Reichstagsbrand-Forscher: Zum Tod von Fritz Tobias

Ein halbes Jahrhundert hat er geforscht, geschrieben, gesammelt. Das kleine Haus in Hannover war mit Aktenordnern vollgestopft, vor allem mit Material über Verschwörungstheorien. Am Neujahrstag ist Fritz Tobias friedlich gestorben.

„Über den Reichstagsbrand wird nach dieser ,Spiegel’-Serie nicht mehr gestritten werden“, schrieb Rudolf Augstein 1959, als sein Nachrichtenmagazin mit dem Abdruck der Serie „Stehen Sie auf, van der Lubbe“ begann. Es bleibe „nicht der Schatten eines Belegs, um den Glauben an die Mittäterschaft der Nazi-Führer lebendig zu erhalten“. Augstein sollte sich irren: Seitdem, seit über 50 Jahren, hält der Streit um den Reichstagsbrand an.

Der „Amateurhistoriker“ Fritz Tobias hatte sich die Mühe gemacht, die Geschichte des Brands vom 27. Februar 1933 zu erforschen. Bis dahin galt die Version, nicht der verwirrte Holländer Marinus van der Lubbe habe das Feuer gelegt, sondern die Nazis. Die großen Historiker jener Zeit, Alan Bullock oder Hans Herzfeld, neigten jener Auffassung zu. Laut Tobias war den Nazis aber keine Mitschuld nachzuweisen und der historisch so folgenreiche Brand die Aktion eines Einzeltäters.

Tobias erzürnte die Historikerzunft – und provozierte heftigen Widerspruch. Ein „Spiegel“-Leser schrieb: „Ich verwahre mich entschieden gegen Ihre eben angelaufene Fortsetzungs-Unfairness, den großdeutschen Nazis post festum und mit akribischer Beflissenheit ihr gelungenstes, folgenschwerstes und daher schlauestes Verbrechen, die Reichstags-Brandstiftung, zu stehlen.“ Dass die Wissenschaft des Laienfleißes nicht achtet (Morgenstern), musste der Nichtakademiker Tobias schmerzlich erfahren. IM SPIEGEL]Den schwersten Vorwurf erhob Golo Mann: Tobias’ Geschichtsrevisionismus sei „volkspädagogisch unwillkommen“; auch der Tagesspiegel kritisierte Tobias. Heute ist die Zahl der Artikel und Bücher unüberschaubar: Schriften, die ihn schmähen oder in Schutz nehmen.

Der Mann, der all das auslöste, war 20, als der Reichstag brannte. 1912 in Charlottenburg geboren, absolvierte er eine Buchhändlerlehre in der Weimarer Republik, ein konservativer Sozialdemokrat, der wegen seiner Überzeugungen entlassen wird und sich unsichtbar macht, um nach dem Krieg beim niedersächsischen Verfassungsschutz zu arbeiten. Ein Dickschädel, ein Misstrauischer. In eins seiner Bücher schrieb er mir die Widmung: „Die Wahrheit suchen, ist beschwerlich, die Wahrheit finden, ist verehrlich, die Wahrheit künden, ist zwar ehrlich, doch wie Sie wissen, auch gefährlich.“

Ein halbes Jahrhundert hat er geforscht, geschrieben, gesammelt. Das kleine Haus in Hannover war mit Aktenordnern vollgestopft, vor allem mit Material über Verschwörungstheorien. Zeitlebens schimpfte er auf seine Widersacher; wer ihm nahestand, glaubt, dass die Aufregung seinen Adrenalinspiegel hoch hielt und ihm half, länger zu leben. Am Neujahrstag ist Fritz Tobias friedlich gestorben; er wurde 98 Jahre alt.

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