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Gerard Mortier (1943- 2014)

© dpa-bildfunk

Zum Tod von Gerard Mortier: Liebender und Mutmacher

Die Oper war seine Mission: Der große belgische Intendant und Kulturermöglicher Gerard Mortier ist tot. Er starb im Alter von 70 Jahren an einem Krebsleiden. Ein Nachruf

„Die Tatsache, dass wir alles, was wir tun, zuallererst durch Nachahmung erlernen und dass jede Kleidung im Grunde ein Kostüm ist, mit dem wir uns schützen und durch das wir uns ein Bild von uns selbst schaffen, zeigt, wie sehr das Spiel ein wesentliches Element des Lebens ist“, hat Gerard Mortier in seiner gerade erschienenen Autobiografie geschrieben. „Dramaturgie einer Leidenschaft – für ein Theater als Religion des Menschlichen“ heißt das Buch – und der Autor formuliert darin die These, „dass Kommunikation zwischen Menschen notwendigerweise zum Theater führt“.

Oper, die komplexeste aller Bühnenkünste, möglich zu machen, war seine Mission – „eine Sendung, ein priesterliches Amt beinahe“, wie er es selber nannte. Bis zuletzt hat sich Gerard Mortier dieser Aufgabe hingegeben, hat mit dem ihm eigenen sanften Nachdruck dafür gestritten, dass Theater als wesentliche Ausdrucksform des Menschen von den staatlichen Geldgebern anerkannt wird. Ebenso hart aber hat er auch darum gerungen, dass die zur Verfügung gestellten Mittel im Kulturbetrieb sachdienlich genutzt werden. Also nicht, um mit möglichst vielen, zusammengekauften Stars repräsentatives „Requisitentheater“ zu machen, sondern um Aufführungen zu ermöglichen, die zum Kern der Werke vordringen, die das Publikum berühren, wachrütteln. Im Alter von 70 Jahren hat Gerard Mortier diesen Lebenskampf jetzt verloren. Am Sonntag ist er an den Folgen einer Bauchspeicheldrüsen-Krebserkrankung gestorben.

Zunächst studiert der am 25. November 1943 geborene Sohn eines flämischen Bäckers in seiner Heimatstadt Gent Jura. Nach der Promotion aber wendet er sich dann doch der Kunst zu, wird 1968 Assistent des Direktors beim Flandern-Festival. In dem Dirigenten Christoph von Dohnányi sowie dem Komponisten und Kulturmanager Rolf Liebermann findet er wichtige Mentoren, in den Jahren 1973 bis 1980 folgt er ihnen als Leiter des Betriebsbüros nach Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Paris. Im Theateralltag gestählt, kann Mortier sein erstes Intendantenamt dann sofort nutzen, um seine künstlerischen Ideale zu verwirklichen: Ab 1981 führt er die Brüsseler „La Monnaie“-Oper zu internationalem Renommee. Sein musikalischer Partner ist dabei Sylvain Cambreling, mit dem Mortier vor allem die Liebe zum zeitgenössischen Musiktheater teilt.

Mortier setzte sich konsequent für die Moderne ein

Mit seinem konsequenten Einsatz für die Moderne macht sich Mortier ab 1991 viele Feinde in Österreich: Als Nachfolger Herbert von Karajans zum künstlerischen Leiter der Salzburger Festspiele berufen, nimmt er den Auftrag, das elitäre Sommerevent zu modernisieren, sehr ernst. Den einen gilt Mortier seither als König der Kulturmanager, den anderen als Bürgerschreck.

Eine glückliche Arbeitsphase schließt sich 2002 an, als er auf Einladung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen den ersten Zyklus der neu gegründeten Ruhrtriennale gestaltet. Hier kann Mortier eine weitere Vision realisieren: Nämlich Aufführungsorte zu schaffen, die den Werken des 20. Jahrhunderts wirklich angemessen sind, weil sie die Beschränkungen der traditionellen Guckkastenbühnen überwinden. In den ehemaligen Industriehallen zwischen Dortmund und Duisburg, die man zu Spielstätten umfunktioniert, lassen sich beispielsweise die Orchester so platzieren, dass tatsächlich jene Raumwirkungen entstehen, die Komponisten wie Lachenmann oder Zender fordern. Großes Interesse hat Mortier stets auch an der Zusammenarbeit mit Bildenden Künstlern – „weil sie alle Mitwirkenden zwingt, einen Schritt zurückzutreten und über den Sinn nachzudenken, den jedes einzelne szenische Element haben soll.“

Harte Kämpfe mit der Kunstbeamtenmentalität muss der Belgier zwischen 2004 und 2009 an der Pariser Oper ausfechten, 2008 scheitert eine Bewerbung mit Nike Wagner um die Leitung der Bayreuther Festspiele. Kein Glück hat Mortier auch mit dem Plan, die New York City Opera als Avantgarde-Konkurrentin zur benachbarten Met auszubauen: Finanzielle Schwierigkeiten machen seine Pläne zunichte, er tritt das Amt gar nicht erst an. Stattdessen geht er 2010 nach Madrid. Doch auch am Teatro Real holt ihn die Finanzkrise ein. Dass die Politik Mortier seines Amtes enthebt, als er sich im Sommer 2013 nach der Krebsdiagnose für eine Operation in Deutschland aufhält, löst eine Welle der Empörung aus. Um seine Programmplanung zu retten, stimmt der Gedemütigte zu, als „Berater“ des Hauses zu fungieren. Ende Januar kann er eine letzte Uraufführung herausbringen, „Brokeback Mountain“, Charles Wuorinens Vertonung von Annie Proulx’ Novelle über zwei schwule Cowboys.

Als Mann des Regietheaters hat sich Gerard Mortier selber übrigens nie gesehen. Sondern vielmehr als Solisten-Ermutiger: „Sänger sind für mich die zentrale Kraft der Oper. Darum reizt es mich besonders, sie, ausgehend von der Kenntnis ihrer Stimme und ihrer Persönlichkeit, zur Interpretation neuer Rollen zu bewegen.“ Mit Gerard Mortier verliert die Opernszene einen ihrer Protagonisten, der vor allem immer ein großer Liebender war.

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