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Geistesblitz. Die Cathedra Petri, der Sitz des Apostels Petrus, im Petersdom.

© ddp

Kindemissbrauch und Kirche: Zunge und Stachel

Wie ein Sexualwissenschaftler der Charité dem Vatikan seine Hilfe beim Thema Kindesmissbrauch und Kirche anbot - und was er darauf als Antwort erhielt.

Wie inspiriert arbeitet eine Behörde? Seine dreistöckige Krone, die der Bischof von Rom seit 46 Jahren nicht mehr aufsetzen mag, prangt noch auf dem Briefkopf des Staatssekretariats. Einst symbolisierte sie seine dreifache Macht über Erde, Himmel und Hölle. Der jetzige Monarch des Kirchenstaats hat sich bei Amtsantritt allerdings für ein Wappen ohne Tiara entschieden; allein seine Behörde bewahrt die Tradition. Am 17. November 2008 antwortet unter dem Tiara-Wappen Monsignore Gabriel Caccia, Abteilung „Staatssekretariat – Allgemeine Angelegenheiten“, auf das Beratungsangebot eines Sexualwissenschaftlers der Berliner Charité.

Zu diesem Zeitpunkt ist vom Ausmaß der Missbrauchsskandale in Deutschland noch kein Vorbeben zu vernehmen. Enthüllungsdramen in Irland, den USA und Österreich liegen Jahre zurück. „Sehr geehrter Herr Professor Beier!“ schreibt Msgr. Caccia. „Das Staatssekretariat bestätigt Ihnen den Eingang Ihres Schreibens vom 8. Oktober dieses Jahres, mit dem Sie den Heiligen Vater von Ihren Studien über eine therapeutische Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch berichten. In hohem Auftrag danke ich Ihnen für Ihre Mitsorge um das Wohl der Kinder und um geeignete Hilfestellungen für die Betroffenen.“ Man habe den Brief samt Anlagen „sorgfältig zur Kenntnis genommen und an die zuständigen Stellen der Römischen Kurie weitergeleitet“. Der Papst erbitte dem Gelehrten „Gottes beständigen Schutz und seinen reichen Segen.“

Wie geisterfüllt funktioniert Alltagsroutine im Apparat einer Religionsgemeinschaft? Zu Pfingsten darf man so etwas fragen. Das Hochfest am 50. Tag nach Ostern gilt den Gläubigen als Gründungstermin der Kirche, als Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes, als Pendant zur sprachverwirrenden Turm-Hybris von Babel, als wegweisendes Happening frommer Völkerverständigung. In der bürgerlichen Wahrnehmung abendländischer Freizeitkultur ist Pfingsten das „liebliche Fest“ (Goethe). Die Verweigerung inhaltlicher Rezeption resultiert aus einer dogmatischen Wucht, die kaum zu vermitteln ist. Denn eigentlich bildet Pfingsten, theologisch betrachtet, das I-Tüpfelchen im Masterplan des österlichen Festkreises, der besagt: Der Allerhöchste wird als gefolterter, verlassener Mensch Teil seiner Schöpfung (Karfreitag), die nun wiederum verwandelt (Ostern) von ihrem zur anderen Sphäre „aufgestiegenen“ Gottmenschen (Himmelfahrt) in die neue Welt „äonischen Lebens“ mitgerissen wird: Pfingsten.

Wenn das fantastische Konzept wahr wäre, kehrte der tödlich vergiftete Kosmos geheilt, geheiligt zum Schöpfer zurück. „Sende aus deinen Geist und das Antlitz der Erde wird neu!“ jubelt die Liturgie. Bei dieser jesuanischen Weltrevolution geht es um alles; jedenfalls um mehr als um Gospel-Ekstase. „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt?“ fragt der Apostel Paulus seine in puncto Unzucht verwirrten Schäfchen von Korinth. Es geht an die Substanz und um Strukturen.

Seit das Thema Sex und Gewalt im kirchlichen Umfeld dramatische Verwerfungen auslöst, verlieren manche Metaphern, die den „Leib“ als Schauplatz der Erlösung würdigen, ihre poetische Unschuld. Wo Körper und Seele zahlreicher Schutzbefohlener durch Amtsträger geschändet wurden, irritiert auf einmal die Rede von der Abendmahlspeise „Leib Christi“ und vom Volk der Christen, das ebenfalls so genannt wird. Die schöne Vorstellung einer Glaubensgemeinschaft, deren selbstlose Leistungsträger Hoffnung verbreiten, verschwindet hinter dem Knochenbau einer sich selbst genügenden, korrupten Organisation. Ohne Spiritualität präsentiert sich ein solcher Apparat nicht als alternatives Gemeinschaftsmodell, sondern wie eine schlechte Kopie des üblichen Trotts. Keine pfingstliche Feuerzunge in Sicht.

Als Professor Beier vor zwei Jahren dem Vatikan seinen Präventions-Weg empfahl, legte er dar, dass er „im Rahmen von forensischen Begutachtungen“ mit Kindesmissbrauch und der Nutzung von Kinderpornografie durch Geistliche konfrontiert worden sei. Gespräche mit hohen Amtsträgern hätten ihn überzeugt, dass sein klinisches „Präventionsprojekt Dunkelfeld“ weitere Taten verhindern könnte. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihren Einfluss als Heiliger Vater geltend machen könnten, um im Interesse aller Beteiligten den Präventionsansatz zu dieser Problematik in die katholische Kirche zu tragen und dort umsetzbar zu machen. Damit ließe sich weltweit ein Signal setzen, … damit es gar nicht erst zu Opferschäden kommt.“ Wahrscheinlich ist diese Anregung dem zwischen Vertuschung und Aufklärung zaudernden Benedikt XVI. nie vorgelegt worden.

Im Frühjahr 2010 hat mit der englischen Zeitschrift „The Tablet“ ein angesehenes katholisches Medium Klaus Beier als Autor eingeladen. Sein Aufsatz „Why does child sex-abuse happen?“ unterstreicht die „Beziehungsdimension“ des Christentums sowie „Anerkennung und Akzeptanz“, die auch zur Sexualität gehören. „So widersprechen Freiheitsberaubung, Zwang und Gewalt der Liebe, die nur dann entstehen kann, wenn die jeweils andere Person als Person respektiert wird, wenn beide selbstbestimmt miteinander sexuell kommunizieren und die Verantwortung für die Folgen ihrer Sexualität übernehmen. Aus diesem urchristlichen und biblischen ,einander Erkennen’ ergibt sich sowohl die richtige Haltung nicht-pädophiler Menschen zu pädophilen (nämlich sie nicht wegen ihrer Neigung zu verachten und auszugrenzen) und die richtige Haltung der Pädophilen zu den von ihnen auf Grund ihrer sexuellen Präferenz bevorzugten Sexualpartnern (Kinder): diese ebenfalls zu schützen, indem alle Handlungen unterlassen werden, die ihre freie Entfaltung einschränken könnte.“ Für pädophile Priester folge daraus die „Notwendigkeit der Verhaltensabstinenz ... Aus Fantasien dürfen keine Taten werden.“

Wo sind sie nun, jene pfingstlich couragierten Bischöfe, die mit dem Nichtkatholiken Beier diskutieren: ob Verhaltensabstinenz zur Erfüllung einer mystischen Lebensform reicht? Ob Kompensation (Workaholic-Priester!) Zölibatsprobleme löst? Wie positive Sublimation aussieht? Was Jesus, der Radikale, meint mit seiner Empfehlung, sich lieber die Hand abzuhauen als zur Sünde verführt zu werden? Was Paulus meint, wenn er einen „Stachel im Fleisch“ erwähnt, „einen Engel Satans, der mich mit Fäusten schlägt“, damit er nicht überheblich werde?

Ein anderer radikaler Weg, den man allerdings nicht Jesus in die Schuhe schieben kann, kursierte als Witz vor knapp 50 Jahren auf dem Festival des Heiligen Geistes, das als II. Vatikanisches Konzil Furore machte: Bei einer Fahrt der Hardliner-Kardinäle Ottaviani, Siri und Ruffini über den Albaner See in Castel Gandolfo schlägt das Boot der unbeliebten Reaktionäre um. „Wer wurde gerettet? Die heilige Kirche.“ In der Pointe klingt die Säuberungs-Illusion nach, mit einer Beseitigung ausgewiesener Buhmänner (Bischof Mixa? Kardinal Sodano?) sei die Runderneuerung an Haupt und Gliedern garantiert. Tatsächlich kann der Austausch deplatzierter Hierarchien das Martyrium all jener, die auf dem langen Marsch durch institutionelle Ebenen ihrer Überzeugung treu bleiben, kaum ersetzen. Die liturgische Pfingstfarbe übrigens ist nicht das Bordeaux der lieblichen Pfingstrose, sondern der arteriell leuchtende Lebenssaft und, pardon, das Rotlicht der Liebe: ohne Herzblut keine Revolution. An der Hoffnung, die Erneuerung des Kosmos könne sogar zum Ressort „Allgemeine Angelegenheiten“ vordringen, scheiden sich vermutlich die Geister.

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