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Donauschwäbisch. In ihren Videos setzt sich die Künstlerin mit ihren Wurzeln auseinander.

© Videostill: Antje Engelmann

Zwei Ausstellungen in Berlin: Antje Engelmann: Trachtentanz im Technoclub

Die Berliner Videokünstlerin Antje Engelmann spürt der Vergangenheit ihrer Familie nach – und erzählt dabei viel größere Geschichten. Ein Porträt.

„Sich erinnern ist Arbeit“, sagt Antje Engelmann. Und es ist ein Motor für die Arbeit der Berliner Künstlerin. Unzählige Stunden Filmmaterial hat die 32-Jährige im Verlauf von etwa zehn Jahren zusammengetragen, hat in Super-8-Aufnahmen ihres Vaters, in Fotoalben und VHS-Kassetten gestöbert, und sich damit auf die Suche nach ihrer eigenen Identität gemacht. Drei ihrer Filme sind derzeit in der „12x12“-Videolounge der Berlinischen Galerie zu sehen, die im Verlauf eines Jahres zwölf Film- und Medienkünstler ausstellt, die mit ihren dokumentarischen und medienkritischen Ansätzen oder bildästhetischen Experimenten sonst selten eine Bühne finden.

Ihr Bruder lässt sich das donauschwäbische Wappen tätowieren

In ihrem Film „Eine Anleitung, die Vergangenheit zu ändern“ von 2011 führt Engelmann sich als Schreikind ein, wir sehen sie aufwachsen als Spross einer ursprünglich donauschwäbischen Familie und schauen zu, wie sie sich von der Tradition befreit. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Tim, der in der Heimatstadt Ulm geblieben ist und immer noch im Trachtenverein tanzt. Als Tim sich das donauschwäbische Wappen aufs Bein tätowieren lässt, fragt sich die Schwester: Wie positioniere ich mich in der Welt? „Was ist relevant für mich? Was ist da noch da an überlieferter Kultur, was nicht? Was würde ich mir in die Haut einschreiben? Ein Herz? Ein Pferd? Oder eben ein Wappen?“ Das fragt sie sich auch im Interview, ihre schwäbische Sprechmelodie klingt dabei durch. Aber sagt das schon was aus?

Wo komme ich her? Filmstill aus der Videoarbeit „Eine Anleitung, die Vergangenheit zu ändern“. Engelmanns Bruder hat sich das donauschwäbische Wappen aufs Bein tätowieren lassen.
Wo komme ich her? Filmstill aus der Videoarbeit „Eine Anleitung, die Vergangenheit zu ändern“. Engelmanns Bruder hat sich das donauschwäbische Wappen aufs Bein tätowieren lassen.

© Videostill: Antje Engelmann

Das Bildarchiv der Familie ist Grundlage von Engelmanns filmischer Untersuchung der Wer-bin-ich-Frage, die auch auf die Herkunft zielt. Auf dieses Material und auf immer wieder erzählte Anekdoten stützt sich ihr Gedächtnis. Der Blick der Künstlerin ist nicht nostalgisch, sie möchte nicht festhalten, sondern verstehen. Sie fokussiert sich – auch in ihren fotografischen und installativen Arbeiten – auf ihre Familie. Und erzählt mit der Flucht der Urgroßeltern aus Geresd im ungarischen Donauschwaben, der SS-Vergangenheit des Urgroßvaters oder der Traditionspflege in der neuen Heimat Ulm doch auch eine größere deutsche Geschichte. Die Sehnsucht nach der Puszta prägte den Heimatfilm der fünfziger Jahre. Antje Engelmann nutzt dieses Spielfilmmaterial, um einen Erinnerungsmechanismus zu verdeutlichen: Was ich verloren habe, daran hänge ich umso mehr.

Erinnerung wird zur Aufgabe, zur aktiven Handlung

Sie geht der Frage nach, wie Erinnerung entsteht. Zeitzeugen sterben, Erinnerung wird zur Aufgabe, zur aktiven Handlung. Auch die Kunst hat den Auftrag, sich der Vergangenheit immer neu zu nähern. Engelmann lässt sich von anderen autobiografisch arbeitenden Künstlern wie Nan Goldin oder Richard Billingham inspirieren, die intime Fotoporträts von Freunden und Angehörigen schufen.

Antje Engelmann musste ihren Geburtsort Ulm dafür verlassen. „Man muss der Zone der Vertrautheit fremd geworden sein, um sie wieder sehen zu können“, heißt es in „Eine Anleitung …“. Sie war Meisterschülerin von Lothar Baumgarten an der Berliner Universität der Künste, der in seinem Werk selbst ethnografisch forscht und über Identitäten und das Trügerische daran reflektiert. Engelmann hat das Talent, ihren Gegenstand trotz Nähe reflektieren zu können. In dem Video „Wie Wann Wo Warum“ (2007) begleitet sie ihre Schwester Laurin zur Einschläferung des Hamsters Rufus. Engelmann lässt sich auf Laurins Traurigkeit ein und filmt das Bestattungsritual. Indem sie sich in andere hineinversetzt, wechselt sie die Perspektive. „Ich schaue, wie es sich an verschiedenen Stellen anfühlt. Ich kann mich erst für einen Standpunkt entscheiden, wenn ich ausprobiert habe, wie es einen halben Meter daneben ist.“

Das Porträt ihrer Tante, die als Prostituierte arbeitete

Auch darum landete sie mit einem DAAD-Stipendium in Entre Rios, einer donauschwäbischen Siedlung im Nordosten Argentiniens, in der sie mehrere Wochen lebt und die sie mit 40 Stunden Filmmaterial im Gepäck verlässt. Zuletzt trägt sie wie alle in Entre Rios ein Dirndl, und doch wird ihr bei einem Kabelbrand in ihrem Hotelzimmer klar: Um zu sterben, gäbe es für sie „keinen unpassenderen und beschisseneren Ort als hier.“

Für Antje Engelmann ist Erinnerung eine aktive Handlung.
Für Antje Engelmann ist Erinnerung eine aktive Handlung.

© Thilo Rückeis

Ohne ihre künstlerische Neugierde hätte es auch einen Film wie „Renate“ (2005) nicht gegeben. Ein Porträt ihrer Tante, die als Prostituierte arbeitete und auch heute noch einen Stammfreier und Fußfetischisten bedient. Antje Engelmann fühlt sich verbunden mit dieser selbstbestimmten, starken Frau, die sie mit der Handkamera begleitet. „Renate brachte das Leben in unsere Familie“, sagt ihre Nichte, die wie sie aus dem schwäbischen Gefüge ausgebrochen ist. Renates Mutter kommt im Film zu Wort, so funktionieren die Arbeiten auch als Kommunikationsmittel innerhalb der Familie. Die Künstlerin erzwingt nicht nur eine Neubewertung der familiären Geschichtsschreibung, sondern fordert auch den Zuschauer heraus, sich dazu zu verhalten. Vor allem darin steckt die künstlerische Relevanz der Werke, denn egal wie persönlich die Recherchen sind, Engelmann legt Mechanismen zur Rekonstruktion von Vergangenheit frei, mit denen wir alle hantieren.

Am Ende tanzen die beiden einen Volkstanz

Engelmann macht weder Fernsehen noch Kino. „Eine Anleitung …“ wurde sowohl auf Dokumentarfilmfestivals als auch im Donauschwäbischen Zentralmuseum gezeigt. „Das ist auch ein Problem. Wenn ich irgendwoher Geld haben will, dann muss ich mich festlegen. Das ist ganz stark in meine Filme eingeschrieben, dass es eben kein Budget gibt, keinen Produzenten, dem ich zuarbeiten muss.“ Regie, Kamera, Schnitt – sie macht fast alles allein. Der Zuschauer profitiert von der Intimität, die so zwischen ihr und den Protagonisten entstehen kann.

Am Ende des Films tanzt die Künstlerin einen Trachtentanz - im Berliner Tape Club.
Am Ende des Films tanzt die Künstlerin einen Trachtentanz - im Berliner Tape Club.

© Videostill: Antje Engelmann

„Eine Anleitung …“ ist aktuell auch in dem Kreuzberger Off-Space „The Secret Cabinet“ zu sehen. Ein Kunstraum an verstecktem Ort, den man in einem nahe gelegenen Kiosk erfragt. Allein gelassen, stöbert der Besucher in Regalen und Karteikästen oder schiebt eine DVD in den Player. Die private Atmosphäre passt gut zu der Arbeit von Antje Engelmann. Per Fernbedienung schafft man sich Zugang zu ihrer Familiengeschichte. Am Ende des Films tanzen Schwester und Bruder einen Volkstanz, den ungarischen Csárdás, in originaler Tracht im Berliner Tape Club. Zusammen, aber jeder aus eigenen Beweggründen. Im Hier und Jetzt, und doch wie in einem Märchen, das aus fernen Zeiten erzählt.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, bis 26. März, Mi–Mo 10–18 Uhr.

The Secret Cabinet, Infos unter www.thesecretcabinet.com, bis 28. Juli, Eintritt frei.

Cara Wuchold

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