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Kreuzberg, mon amour. Jörn Merkert verlässt das Museum in der Alten Jakobstraße und die Wohnung am Mehringdamm. Er zieht jetzt in die Berge.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlinische Galerie: Zwei Rosen in der Bierflasche

23 Jahre für die Kunst: Direktor Jörn Merkert verlässt die Berlinische Galerie. Ein Hausbesuch.

Dem Besucher wird beklommen zumute, wenn er Jörn Merkert dieser Tage in seinem Domizil in Kreuzberg besucht. Bücherkisten stehen in den Zimmern, die Bilder an den Wänden sind abgehängt. Doch der Museumsmann lacht nur darüber. Amüsiert erklärt er, was einst dort hing, wo jetzt weiße Rechtecke die angegraute Tapete zieren: lauter Berliner Maler, Hödicke, Thieler, Badur – und eine Reihe von Marwan-Aquarellen, die der Künstler ihm zukommen ließ, auf der Rückseite jedes Briefs, den er Merkert schickte.

Merkert lässt seine Laufbahn Revue passieren. Hinter jedem Bild steckt eine freundschaftliche Beziehung, eine Ausstellung, ein Katalogtext, für den der Autor statt eines Honorars Kunst erhielt. „Austausch geistiger Leistungen“, nennt er das. Andere würden bei einer solchen Aufzählung sentimental werden, für Merkert jedoch bedeuten die Pensionierung und der Wegzug aus Berlin einen Neuanfang. Am morgigen Samstag feiert ihn der Förderverein der Berlinischen Galerie mit einem Abschiedsfest, wenige Tage später wird die Kreuzberger Wohnung vollends leer sein. 23 Jahre, genauso lang, wie er als Direktor des Landesmuseums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur wirkte, hat Merkert hier am Mehringdamm gelebt, im Altbau, vierte Etage.

Treppen wird er künftig kaum noch steigen, dafür umso mehr in die Berge gehen. Merkerts neue Adresse ist Spatzenhausen, ein kleiner Ort nahe Murnau in den bayerischen Alpen. Schon als Kind kam er in den Ferien hierher. Vor zwölf Jahren war er zufällig wieder da, die alte Liebe zum Bauernhof seiner Kindheit flammte wieder auf. Nun soll das Nest zu seinem Alterssitz werden. Auch sonst spricht der 64-Jährige viel von Kreisen, die sich schließen. Nicht der Berliner Kunst seit 1875, die er ein Vierteljahrhundert lang erforschte, wird er sich widmen, sondern dem Mittelalter. Prompt zieht Jörn Merkert einen Bildband aus dem Regal, zeigt Abbildungen des berühmten Bildteppichs von Cluny, von der Dame mit dem Eichhorn, die ihn schon als Primaner fasziniert hat. Bis heute: Die Zeit um 1400 ist für ihn ein Spiegel der Gegenwart; den damaligen Katastrophen entsprechen heute die Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, Umweltkatastrophen.

Zeitreisen hat Merkert immer schon betrieben, nun geht es nur weiter in die Vergangenheit zurück. Schaut er auf seine Zeit in der Berlinischen Galerie, so ist der scheidende Direktor mit sich zufrieden. 2009 war für ihn der beste Moment, den Posten abzugeben; die Publikumszahlen waren anders als etwa bei den Staatlichen Museen gestiegen – auf 112 000 Besucher pro Jahr. Thomas Köhler, sein Stellvertreter seit 2008, beerbt ihn im Amt.

„Das wird nicht leicht“, prognostiziert sein Vorgänger. Mit Bitterkeit musste er erfahren, wie zwei Jahre Vorbereitung für die Schwitters-Ausstellung plötzlich vergebens waren, weil der Förderantrag bei der Deutschen Klassenlotterie nicht durchkam. Eine eigene Abschiedsausstellung hat er erst gar nicht geplant, auch wenn eine Hans-Uhlmann-Retrospektive immer schon sein Traum war.

„Die Berlinische Galerie, so wie sie heute dasteht, das ist mein Werk,“ sagt Jörn Merkert. Viele seien überrascht gewesen, als er 1987 das Amt des Museumschefs antrat, war er doch zuvor Adlatus von Werner Haftmann an der Nationalgalerie gewesen, dann wissenschaftlicher Sekretär der Abteilung bildende Kunst an der Akademie der Künste und schließlich der zweite Mann in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Das sah nach internationaler Karriere aus, die Berlinische Galerie kannte kaum einer.

Doch Merkert erkannte das Potenzial der 1975 von Eberhard Roters gegründeten Sammlung, der als erster Berlin als Ort großer Kunstgeschichte entdeckt hatte. Alle wichtigen Strömungen flossen hier zusammen, auch wenn sie nicht unbedingt in Berlin ihren Ursprung hatten. Das in Berlin entstandene „Porträt des Dichters Ivar von Lücken“, ein Hauptwerk von Otto Dix ist für Merkert deshalb ein Schlüsselwerk. Die zwei gelben Rosen, die in einer Bierflasche auf dem Stuhl neben dem Porträtierten stehen, repräsentieren für ihn den Geist dieser Stadt, die Mischung aus Proletarischem und Poesie. In all den Jahren in der Berlinischen Galerie stand auf dem Schreibtisch des Direktors die gleiche grüne Flasche mit dem Bügelverschluss, darin zwei gelbe Rosen – als gutes Omen.

Vieles ist Merkert tatsächlich gelungen. Stolz ist er auf den Kauf des als verschollen geglaubten Frühwerks von Naum Gabo, das man auf einem Dachboden in Connecticut entdeckte. Der legendäre Turm des Konstruktivisten steckte auseinandergefaltet in einem Umschlag. Heute ist er ein Glanzstück der Sammlung, die mit russischer Avantgarde prunken kann wie selbst die Nationalgalerie kaum.

Am meisten berührte ihn eine Schenkung Emilio Vedovas, der ihm in dem Moment sein „Absurdes Berliner Tagebuch“ anvertraute, als die Berlinische Galerie heimatlos geworden war. Gerade hatte sich der Plan zerschlagen, die Eiskeller unter dem Kreuzberg als neues Quartier zu beziehen. Aus dem Martin-Gropius-Bau ins Depot verdrängt, fühlte sich Merkert endgültig auf verlorenem Posten, nachdem auch das Postfuhramt nicht zu bekommen war. Die Vedova-Gabe aber stärkte seinen Kampfgeist. Am Ende zog die Sammlung in das ehemalige Glaslager in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg ein; 2004 waren die sieben Jahre Heimatlosigkeit endlich vorbei.

Werke aus der älteren Berliner Kunstgeschichte sind im Museum gut vertreten, auch die Dadaisten und die Neuen Wilden. Aber ausgerechnet die Entwicklung seit den 90er Jahren, der neue Boom Berlins als internationale Kunststadt, hat sich hier noch nicht niedergeschlagen. „In schwierigen Situationen muss man mit frischen Kräften anpacken,“ gibt Merkert zu. „Das kann ich nicht mehr.“ Für seinen Nachfolger hat er die Latte ohnehin schon hoch gehängt, als er ihm öffentlich die Planung eines Erweiterungsbaus empfahl. Der designierte Hausherr schweigt sich über solche Zukunftsvisionen vorsichtshalber aus und versucht stattdessen, das Museum als Standort für die künftige Kunsthalle ins Spiel zu bringen.

Was daraus wird, verfolgt Jörn Merkert dann aus der Alpen-Perspektive. Nur hin und wieder will er zurückkehren zu den Versammlungen der Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied er ist. Als guter Direktor verlässt er die Manege, wenn sein Vorhang fällt. Nicht von ungefähr steht das Abschiedsfest für ihn unter dem Motto Zirkus.

Die Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124 - 128, ist Mi - Mo, 10 - 18 Uhr geöffnet.

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