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Triptychon. Links (hinter dem ICE) ziehen Wirtschaftsbosse die Fäden, die Marionetten sitzen im Parlament (Mitte). Rechts jammert das Volk, auf der Wolke sitzen Marx und Engels.

© Imago/Arnulf Hettrich

Zwischen Bahnhof Zoo und Savignyplatz in Berlin: Eines der größten Wandgemälde verschwindet

Eine Kultur-Tankstelle, ein politisches Gemälde – und eines der größten der Stadt. Die eine ist schon weg, das andere verschwindet jetzt. Die Geschichte der Uhlandstraße 187.

Der Bagger gräbt sich in den Boden, reißt olle Betonplatten heraus, Schutt landet im Container. „Baustelle“, steht auf dem Schild unter dem Stacheldraht – „Betreten verboten“. Von oben guckt Willy Brandt herab, doch dazu gleich mehr.

Ein Wintermorgen in der City West, Ku’dammkiez, Uhlandstraße 187. Hier entsteht ein siebenstöckiges Apartment-Hotel, direkt an der S-Bahntrasse. Während oben die Züge vom Savignyplatz zum Bahnhof Zoo rollen, verschwindet unten in der Baugrube ein Stückchen berlinischer Geschichte.

Und die geht so: Fast 40 Jahre hat hier Familie Balz aus Nikolassee eine Tankstelle betrieben, eingequetscht zwischen Gleisen und Brandschutzmauer, mit einem dieser typisch gelben „Shell“-Dächer. Die Tankstelle in der Seitenstraße des Ku’damms war eine Institution, weil Schauspieler und Wirtschaftsgrößen – das „Kempinski“-Hotel ist gleich ums Eck – hier ihren Wagen auftanken und durchsaugen ließen. In den 90ern konnte man nachts bei Familie Balz auch mal eine Flasche Sekt und kaltes Pils kaufen, worüber Partygänger dankbar waren, schließlich gab es damals „Spätis“ noch nicht an jeder Ecke.

Unzählige Fahrgäste kennen das Wandbild

Die „Uhlandgaragen“, wie die Tankstelle mit ihren 80 Stellplätzen hieß (die bitte nicht zu verwechseln ist mit den nicht minder interessanten „Kant-Garagen“ fünf Häuserblocks weiter), war vor 15 Jahren sogar mal ein ulkiger Kulturort, weil der Professor und Verleger Klaus Siebenhaar hier ein Buch vorstellte. Der Titel: „Berlin, wo es am schönsten ist – 101 neue Lieblingsplätze“. Siebenhaar nannte darin allen Ernstes diesen versteckt-zentralen Ort einen seiner schönsten Berlinplätze („Ein letztes Paradiesgärtlein alter Tankstellenkultur mitten in der City West“), auch wenn das der Baumfreund Ben Wagin ganz anders sah: „Dieser Ort passt zu der Schizophrenie, zu unserer kulturellen Verblödung.“

Bauarbeiter in der Uhlandstraße. Früher war hier eine bekannte Tankstelle, an der viele Prominente anhielten.
Bauarbeiter in der Uhlandstraße. Früher war hier eine bekannte Tankstelle, an der viele Prominente anhielten.

© Cay Dobberke

Jetzt entsteht ein Neubau mit kleiner Flaniermeile zwischen S-Bahnbögen und Hauswand.
Jetzt entsteht ein Neubau mit kleiner Flaniermeile zwischen S-Bahnbögen und Hauswand.

© Simulation: brh Architekten BDA + Ingenieure GmbH

Kulturelle Verblödung? Die Kultur, die städtische Kunst kam nur wenige Zeit später in die Uhlandstraße 187, kurz vor dem Abriss der Tankstelle. Da griffen zwei Größen der Berliner Graffitiszene zu ihren Dosen und malten. Und malten. Und malten. So entstand über diesem gelben Dach der Tankstelle gleich an drei Brandschutzwänden das bemerkenswerteste Wandgemälde der Stadt. Es ist eines der größten Berlins, fotografiert von Touristen aus aller Welt, gesehen von unzähligen Fahrgästen – 1000 Züge rollen hier vorbei, tagein, tagaus.

Mehr West-Berlin geht nicht. Das Haus steht zwischen Uhland- und Fasanenstraße.
Mehr West-Berlin geht nicht. Das Haus steht zwischen Uhland- und Fasanenstraße.

© TSP/Pieper-Meyer

Na dann: Anruf bei „Lake“, Jahrgang 1979, geboren in Ost-Berlin, Fassadenkünstler, Graffitimaler, Mitbetreiber eines Kletterparks auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain. „Lake“, der sich natürlich nicht mit seinem Künstler-, sondern seinem bürgerlichen Namen meldet, hat das Gemälde mit einem Kumpel 2004 gemalt. Leider hält „Lake“ – wie so viele aus der Graffitiszene – eher wenig von Zeitungsreportern, wünscht daher freundlich, aber bestimmt einen „schönen Tag“ und beendet das Telefonat.

Strippenzieher und ihre Marionetten

Dabei gibt es so viel zu erzählen über dieses Wandgemälde in der Uhlandstraße. Der mittlere Teil stellt die Politik dar. Willy Brandt, Edmund Stoiber, Gerhard Schröder. Sie alle sitzen in einem Plenarsaal, sind gezeichnet wie Karikaturen, stellen Marionetten dar. Die Strippen führen aufs Dach. Wer da wohl die Fäden zieht?

Die Wand links: die Wirtschaft. Kalte, gesichtslose Herren im Schatten der Berliner Bürotürme, die – man ahnt’s – die Fäden in der Hand halten. Ein fies grinsender Krake hält einen Rüstungspanzer und einen Deutsche-Bank-Geldkoffer.

Das Haus rechts: das Volk. Sieht leicht leidend aus, kann sich offenbar den Zahnarztbesuch nicht leisten und schlägt sich mit Reformen und Gesetzen herum. Wer sich Zeit nimmt, entdeckt immer mehr Geschichten im Bild – was machen eigentlich Marx und Engels da oben auf der Wolke? – , nur leider rumpelt die S-Bahn so schnell vorbei, dass für die genaue Betrachtung nur drei, vier Sekunden bleiben. Zu sehen ist das Gemälde eigentlich nur aus dem Zug. Es sei denn, man möchte sich gegenüber im Hotel einmieten oder am Portier vorbeischleichen.

Das Kunstwerk wird nicht mehr sichtbar sein

Das Bild ist im Sommer 2004 als Auftragsarbeit, offenbar des Hauseigentümers, entstanden. Drei Wochen haben die Künstler gearbeitet. Die – illegale – Berliner Graffitiszene konnte sich übrigens – legal – einbringen. Denn auf der Seite des Volkes ist auch groß der Schriftzug „Ghettostars“ zu lesen. So hieß eine der berüchtigsten Sprühergruppen der 90er Jahre. Angeblich war ihr Graffiti schon vorher an der Brandschutzwand zu lesen. Wohl da das „Übermalen“ in der Szene eher selten gut ankommt, hat man den Schriftzug integriert.

Das Wandbild mit dem spielenden Bären in Prenzlauer Berg musste vor rund zwei Jahren einem Wohnungsbauprojekt weichen.
Das Wandbild mit dem spielenden Bären in Prenzlauer Berg musste vor rund zwei Jahren einem Wohnungsbauprojekt weichen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wenn die Neubauwände hochgezogen sind, wird das Gemälde nicht mehr zu sehen sein. Das ist das Schicksal der Brandschutzwandkünstler, etliche Mal erzählt, oft bedauert wie zuletzt in Pankow: Ein Berliner Bär, Jahrgang 1986, war das heimliche Wahrzeichen von Prenzlauer Berg. 29 Jahre spielte er auf einer Giebelwand am U-Bahnhof Schönhauser Allee Fußball, Millionen von Fahrgästen und Schönhauser-Bummlern war er eine vertraute Figur – jetzt ist er weg. Das Haus steht.

Zwei Mal wechselten die Eigentümer

So wird es bald auch in der Uhlandstraße sein. Das Hotel mit „Mikro-Apartments“, die für mehrmonatige Vermietungen gedacht sind, gestaltet der Architekt und neue Vorsitzende des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Berlin, Andreas R. Becher. Bauherr ist ein Fonds. Auch für den Neubau sei Wandkunst angedacht, sagt der Architekt; wie diese aussehen könnte, stehe allerdings noch nicht fest.

Eigentlich sollte hier seit 2013 schon ein futuristisches Wohnhaus stehen, das ein anderer Architekt entworfen hatte. Dann aber wechselte die Brache zwei Mal den Eigentümer. Immerhin blieb Berlin so der leicht debile Name des ersten Projekts erspart („Uland“).

Fußweg bis zum Bahnhof Zoo

Die Tankstellen-Ära hinterließ Altlasten im Boden, die zurzeit beseitigt werden. Die eigentlichen Bauarbeiten starten im April bis Mai und sollen bis Ende 2017 dauern. Ein sechs Meter breiter Gang zwischen Hauswand und Bahntrasse soll es Fußgängern ermöglichen, bis zum Bahnhof Zoo an S-Bahnbögen entlang zu flanieren. Früher nutzten nur Tankstellenpächter wie Familie Balz die Stelle. Jetzt ziehen andere die Strippen.

Wohnungsbauprojekte laufen auch auf drei weiteren Ex-Tankstellen in Charlottenburg. Lesen Sie mehr über die Neubauten an der Mommsenstraße und am Kaiserdamm und die Pläne für die einstige Holtzendorff-Garage am Kracauerplatz.

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