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Nächster Halt Kottbusser Tor! In der Mitte des Kotti kreuzen sich zwei U-Bahnlinien: Die U1, die überirdisch zwischen Westen nach Osten hin und her fährt und die U8, die von Süden nach Norden fährt - und umgekehrt.

© Carmen Schucker

Zehn Gründe für meinen Kiez: Der Kotti, das wahre Herz von Berlin

Hip, bunt, aufregend. Oder laut, dreckig und sogar gefährlich. Wenn unsere Autorin Sara Schurmann erzählt, dass sie am Kottbusser Tor wohnt, erntet sie entweder Begeisterung oder Mitleid. Für den Kreuzberg Blog hat sie zehn Gründe aufgeschrieben, warum sie ihren Kiez liebt.

In Berlin fragt jeder als Erstes, wo der andere wohnt. Jeder Berliner sucht sich im Laufe seines Lebens seinen Lieblingskiez aus. Mal mehr, mal weniger begleitet von einer kleinen Irrfahrt durch verschiedene Kieze, WGs oder Bruchbuden. Hat man seine eigene Berliner Insel erst einmal gefunden, finden sich schnell zehn Gründe, nie wieder wegzuziehen. Dieses Mal erzählt Sara Schurmann, warum sie seit vier Jahren glücklich um die Ecke vom Kottbusser Tor in Kreuzberg lebt.

1. Der Kotti schläft nie

Im Vergleich zu München und Stuttgart ist Berlin ja eh eine ziemlich aufgeweckte Stadt. Aber der Kotti schläft wirklich nie. Nicht nur die Spätis sind hier rund um die Uhr geöffnet, auch wer Mittwochnacht um vier Uhr Blumen braucht, um den Haussegen zu retten, wird bei ‚Blumen Dilek‘ [Adalbert-/Ecke Oranienstraße] fündig. Heißhunger auf etwas Gesundes auf dem nächtlichen Nachhauseweg? Avocados, Kakis oder Weintrauben bekommt man meist zu jeder Tages- und Nachtzeit beim Obst- und Gemüsestand direkt am U-Bahneingang. Und in der ‚Roten Rose‘ [Adalbert-/Ecke Oranienstraße] gibt es notfalls auch morgens um sieben Uhr noch ein Bier.

2. Joggen am Landwehrkanal

Außer ein paar Schwänen, Hundebesitzern und anderen Joggern sind kurz nach Sonnenaufgang noch nicht viele Menschen am Landwehrkanal unterwegs. Diese Ruhe mitten in der Stadt und der Blick auf den, im Winter oft leicht zugefrorenen, Kanal sind eine extrem gute Motivation morgens eine Stunde früher aufzustehen und sich zu bewegen. Immer schön am Wasser entlang.

3. U1 und U8

Nicht, dass man hier weg möchte. Aber wenn man muss, ist man dank U1 und U8 schnell im Norden, Osten, Süden oder Westen der Stadt. Auch die anderen zentralen U-Bahnlinien Berlins, U6 und U7, sind nur je zwei Stationen entfernt. Gerade im Winter bei Schnee ist die Anbindung ein echter Vorteil, wenn man Pünktlichkeit schätzt. Denn wer weiß schon, wann die S-Bahn unter solchen Extrembedingungen fährt. Und im Sommer ist man vom Kottbusser Tor, dem wahren Herzen Berlins, auch überall schnell mit dem Fahrrad.

4. Türkenmarkt am Maybachufer

Es ist eigentlich unmöglich auf den Türkenmarkt am Maybachufer (Anmerkung: eigentlich Neukölln) zu gehen und nur genau mit dem heimzukommen, das man auch kaufen wollte. Neben Stoffen, Haushaltskrimskrams und Socken gibt es vor allem Obst und Gemüse. Umso später man kommt, desto günstiger werden die Angebote. „Drei Gurken, ein Euro“, „fünf Avocados, drei Euro“, rufen die Händler im Sekundentakt. Und anschließend steht man wieder in der Küche und fragt sich, was man jetzt eigentlich mit drei Fladenbroten, 500 Gramm Oliven, fünf reifen Avocados und einem Kilo Spinat machen soll, nachdem man auf dem Markt schon gefüllte Teigrollen und Baklava gegessen hat.

5. Wirklich gut und günstig essen

Das ist fast ein bisschen gefährlich für das Portemonnaie und die Figur, aber rund um das Kottbusser Tor gibt es extrem viele Gelegenheiten relativ günstig und trotzdem wirklich gut zu essen. Die beste Falafel Berlins bei ‚Maroush‘ in der Adalbertstraße, vietnamesischer Glasnudelsalat gleich gegenüber im ‚Green Rice‘ oder Frittiertes und Gebratenes beim ‚Kreuzburger‘ locken auf jedem Heimweg. Dass mittlerweile ein paar Vapiano-Abklatsche aufgemacht haben, um die Touris zu füttern, ist mir ganz recht. Richtige Geheimtipps sind meine Lieblingsläden nämlich nicht mehr, zur falschen Uhrzeit muss man dort schon mal Schlage stehen. So richtig günstig ist es im ‚Mundvoll‘ [Adalbert-/Ecke Waldemarstraße] zwar nicht, aber das Preis-Leistungsverhältnis für die etwas gehobenere Küche ist unschlagbar. Vegan, vegetarisch, richtig gutes Fleisch – auf der kleinen Karte ist für jeden etwas dabei.

Ein Kiez zwischen den Kiezen, Trinkteufel und SO 36 - lesen Sie hier fünf weitere Gründe am Kotti zu wohnen.

"Wahrzeichen" des Platzes ist das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ), das von 1969 bis 1974 an der Nordseite des Platzes gebaut wurde und die Adalbertstraße überspannt.
"Wahrzeichen" des Platzes ist das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ), das von 1969 bis 1974 an der Nordseite des Platzes gebaut wurde und die Adalbertstraße überspannt.

© Thilo Rückeis

6. Der ‚Würgeengel‘

Meine Lieblingsbar, der ‚Würgeengel‘ in der Dresdener Straße, ist noch eine richtige Cocktailbar. Die Barkeeper tragen gestärkte weiße Hemden, die Frauen roten Lippenstift und irgendein C-Promi raucht immer an der Bar. Ja, an der Bar darf man rauchen. Und weil das Abluftsystem so gut ist, riecht man an den Tischen im hinteren Teil nicht mal was davon. Die Cocktail-Preise sind deutlich höher als in der Simon-Dach-Straße. Dafür bestehen die Getränke auch nicht nur aus Sirup und Fusel und das Publikum ist älter als Anfang 20.

7. Ein Hauch von Kreuzberg 36

Den legendären Veranstaltungsort SO36 gibt es noch, seine Wurzeln hat der Club Ende der 70er Jahre in der Punk- und Besetzerszene. Hier haben schon die Ärzte, die Toten Hosen und die Beatsteaks gespielt, regelmäßig dürfen auch Neulinge auf die Bühne. Neben seinen legendären Konzerten ist das SO36 mittlerweile auch für seinen Nachtflohmarkt bekannt.

Nicht weit entfernt in der Oranienstraße ist der sympathische Ticketdealer Koka 36. Wenn die Beasteaks aus Berlin mal wieder in ihrer Stadt auftreten, gibt es hier immer die speziell-entworfenen, schicken Tickets, die man besonders gern aufhebt.  

Und am 1. Mai kommt man als Berliner am Myfest zwischen Oranien- und Spreewaldplatz gar nicht vorbei. Besonders dann nicht, wenn man mittendrin wohnt. Das Fest ist mittlerweile eine Institution und auch über die Grenzen der Stadt bekannt. Fast ebenso wie die berühmt berüchtigte "Revolutionäre 1.Mai"-Demo, bei der es erstmals 1987 zu schweren Ausschreitungen kam. Klar gibt es neben dem Straßenfest mit einer schier endlosen Auswahl an exotischem Essen und Live-Musik auch immer noch Chaoten, die für Unruhe sorgen. Aber vor denen bin ich sicher. In meinem Innenhof campieren an diesen Tagen die Hundertschaften der Polizei.

8. Trinkteufel

Nicht, dass in dieser Kneipe in der Naunynstraße besonders oft meine Abende enden würden. Zugegeben, ich war erst einmal drinnen. Aber zur Frühschicht zu fahren und Schnapsleichen vor der Tür in die Sonne blinzeln zu sehen – ist einfach unbezahlbar. Freitag bis Sonntag ist durchgehend geöffnet. 2009 stürzte hier schon Pete Doherty ab, zerschepperte vorm Laden mit einer Flasche eine Autoscheibe und wurde kurze Zeit später für ein paar Stunden festgenommen. Und für alle, die mehr Niveau mögen: Gleich gegenüber liegt das zu Recht hochgelobte Theater Ballhaus Naunynstraße.

9. Ein Kiez zwischen den Kiezen

Wenn einem doch mal langweilig wird im eigenen Kiez, wartet mehr als genug Abwechslung gleich neben an. Der Graefekiez, der Görli und der Schlesi liegen keine fünf Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Jeder Kiez hat seinen eigenen Charakter, ist aber doch unverkennbar Kreuzberg.

10. Hochhaus am Kottbusser Tor

Am Anfang fand ich den Wohnklotz aus Beton, der sich am Kottbusser Tor über die Adalbertstraße schlängelt, auch hässlich. Aber irgendwie gehört er einfach dazu: zum Kotti, zu Kreuzberg, zu Berlin. Mittlerweile habe ich ihn liebgewonnen, für mich repräsentiert er ein Stück Berlin, wo das Hässliche und Unerwünschte einfach dazugehören. Mitten in der Stadt. Hier treffen sich (fast) alle Bewohner und Schichten der Hauptstadt. Migrantenfamilien, Hipsters, Junkies, Studenten und Alt-68er - und mittlerweile auch ziemlich viele Touristen. Klar kann man sagen, sie leben aneinander vorbei. Viele fühlen sich belästigt oder bedroht von den Drogen-Junkies, die am Kotti zwischen Skalitzer und Ritterstraße stehen. Und von den Spucke-Fützen der halbwüchsigen Jungengangs. Aber immerhin ist das Bild in den Straßen nicht so homogen wie in anderen Kiezen. All diese Menschen gehören zur Großstadt. Sie sind Berlin.

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

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