zum Hauptinhalt
Mann mit Mission. Der Real Life Superhero Phoenix Jones, bürgerlich Benjamin Fodor, bei einer nächtlichen Aktion in seiner Heimatstadt Seattle.

© dapd

Öffentliche Moral: Der gute Glaube an die hehre Tat

Mutbürger mit Maske: Inspiriert von Batman & Co. agieren in den USA selbsternannte Superhelden und übernehmen dabei durchaus polizeiliche Aufgaben.

Heinrich Böll konnte nicht viel mit Batman anfangen. „Stark war Batman und schrecklich gerecht“, schrieb er 1954 im „Irischen Tagebuch“, „und er konnte gegen Ungerechte sogar grausam sein.“ Der Schriftsteller hatte sich von der Lektüre des Comics Aufheiterung versprochen. Vergeblich: „Keinen Trost bot Batman.“

Viele mögen Böll auch heute noch recht geben. Nicht zuletzt wegen des irrsinnigen Blutbads bei der Premiere des neuen Batman-Films „The Dark Knight Rises“ in Aurora, Colorado. Die Welt des Helden im Fledermauskostüm ist nun finsterer denn je. Kaum eine andere Figur der amerikanischen Popkultur stellt so gut die Widersprüche und Spannungen in der zeitgenössischen Gesellschaft dar wie der „dunkle Ritter“. In seinen verschiedenen Inkarnationen hält der maskierte Held einen Spiegel vor die amerikanische Gesellschaft.

„Batman verkörpert die Kraft der individuellen Aktion: eine Ausdrucksform des rauen Individualismus, der die amerikanische Gesellschaft prägt“, erklärt Rhonda Matthews, die Soziologie der Comics an der Edinboro University in Pennsylvania unterrichtet. „In einer Krisensituation kann man zum Himmel schauen und warten, dass Superman angeflogen kommt. Oder man kann selber etwas tun. Obwohl er über keine Superkräfte verfügt, fühlt sich Batman im Notfall verpflichtet, einzugreifen.“

Diese Botschaft wurde in den letzten zehn Jahren von einer wachsenden Zahl von Aktivisten weltweit überaus ernst genommen. Sie nennen sich Real Life Superheroes und machen, was Batman macht: Sie streifen sich eine Maske und ein Cape über und gehen damit auf die Straße. Ihre Arbeit besteht allerdings nicht darin, verrückte Superkriminelle zu jagen. So vertreibt etwa einer der selbsternannten Helden unter dem Namen Dark Guardian die Drogendealer vom Washington Square in New York. Der schwarz bekleidete Thanatos hilft den Obdachlosen von Vancouver, während Citizen Prime in seinem Ritterpanzer den Schulkindern von Utah und Arizona die Bedeutung von Zivilcourage näherbringen will.

Das Gleiche tun viele Menschen – und zwar ohne Kostüm. Warum dann die Maske? „Sie ist ein Symbol. Sie sagt den Menschen: Jeder kann ein Held sein“, glaubt Peter Tangen, Sprecher der Bewegung. Er ist Fotograf und hat bei vielen Hollywoodproduktionen mitgearbeitet, bis er von den Real Life Superheroes hörte. Seitdem koordiniert er die Aktivitäten einiger Dutzend maskierter Helden in allen US-Staaten. Dank seiner Kompetenz als Fotograf kann Peter aus einem leicht übergewichtigen Herrn im Lycra-Kostüm eine heldenhafte Figur machen.

„Die Real Life Superheroes stellen einen Querschnitt der amerikanischen Gesellschaft dar“, sagt Tangen. „Es gibt Männer und Frauen, Heterosexuelle und Homosexuelle, Republikaner und Demokraten. Das Einzige, was sie verbindet, ist der Wunsch, in ihrer Gemeinschaft aktiv zu werden.“ Auf Tangens Fotos sehen die Helden genau wie ihre Vorbilder auf der Leinwand aus. Denken sie ab und zu, sie hätten auch Superkräfte? „Nein“, sagt Tangen. „Sie haben nur eine Superkraft: die Kraft, andere Menschen zu inspirieren. Denn was die Real Life Superheroes antreibt, ist nichts anderes als der Glaube an die gute Tat.“

Ironischerweise ist es Bane, der Bösewicht des neuen Batman-Films, der die Motivation der Bewegung am treffendsten zusammenfasst. „Warum trägst du eine Maske“, fragt ihn ein CIA-Agent in der Anfangsszene. „Bevor ich die Maske angezogen habe“, erklärt der muskulöse Schurke, „hat sich keiner für mich interessiert.“ Auch in der Welt der Real Life Superheroes ist es oft schwierig, die Grenzen zwischen Gut und Böse, Zivilcourage und Verbrechen zu ziehen.

Vor einigen Monaten machte zum Beispiel eine der bekanntesten Figuren der Bewegung Schlagzeilen: Phoenix Jones aus Seattle, nachdem er wegen eines Angriffs auf eine Gruppe von Jugendlichen festgenommen worden war. Als sich zeigte, dass er sich in einen Zoff zwischen Betrunkenen eingemischt hatte, wurde er schließlich freigesprochen. Aber die Polizei sieht ihn immer noch als potenzielle Gefahr, sowohl für sich als auch für die Gesellschaft.

In diesem Sinn stellt Batman ein warnendes Beispiel dar. Anders als sein Verlagskollege Superman ist der „dunkle Ritter“ kein strahlender Held. Er zweifelt an seinen Taten und wird oft als Verbrecher dargestellt. „Genau das hat ihn aber zum Publikumsliebling gemacht“, sagt die Soziologin Matthews. „Eines der zentralen Themen in Batman ist nämlich die Auseinandersetzung zwischen Konformität und Abweichung, wobei es nie richtig klar ist, auf welcher Seite Batman steht.“

Das Thema steht auch im Mittelpunkt von „The Dark Knight Rises“, in dem ein anarchistischer Kriegsherr im Namen der sozialen Gerechtigkeit den Staatsapparat von Gotham City zum Erliegen bringen will. Regisseur Christopher Nolan zeigt, wie Schuhputzer und Reinigungspersonal hunderte Börsianer als Geisel nehmen: eine klare Anspielung auf die Occupy- Bewegung. „Gerade in dieser Zeit fühlen sich viele Amerikaner vom Staat im Stich gelassen“, sagt Matthews. „Es ist kein Zufall, dass in den letzten zehn Jahren in der Superhelden-Welt oft dasselbe Muster auftaucht: Die Staatsmacht vernachlässigt die Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens. Daraufhin versucht ein Bösewicht, die Gesellschaft ins Chaos zu treiben. Damit Ordnung wieder einkehrt, muss der Held zuerst seine Konformität mit den Gesetzen infrage stellen.“

So steht Batman immer wieder vor derselben Frage: Hat er das Recht, die Gerechtigkeit in die eigenen Händen zu nehmen? Die Antwort – suggerieren die Comics – lautet unvermeidlich Ja. „Diese Antwort ist aber typisch für die amerikanische Gesellschaft“, sagt Matthews, „in Europa wäre das undenkbar.“

Die Wirtschaftskrise wirkt sich in den USA auch auf den Sicherheitsapparat aus. In einigen Bundesstaaten arbeiten Polizisten für fünf Dollar die Stunde, teilweise übernehmen bewaffnete Bürgerwehren ihre Aufgaben. Anders als die Comic-Superhelden können diese untrainierten „Vigilantes“ aber fatale Fehler begehen.

Für den amerikanischen Soziologen Ben Agger ist das Phänomen der Real Life Superheros nichts anderes als der Ausdruck des Wunsches, ein Teil der Comicwelt zu werden. „Diese Hefte und Filme haben eine faszinierende erzählerische Welt geschaffen, in die das Publikum gerne eintaucht.“ Der Antrieb der Real Life Superheroes wäre dann derselbe, der einige Zuschauer dazu bringt, kostümiert ins Kino zu gehen. Und auch der Attentäter von Aurora scheint ein Fan zu sein. Er soll sich als „Joker“ – einer von Batmans berühmtesten Gegnern – bezeichnet haben.

„Anscheinend sah sich der Täter als Teil der Filmhandlung“, sagt Agger. „Superkriminelle sowie Superhelden sind die Projektion unserer Wünsche, Ängste und Fantasien. Gerade in unserer Zeit haben viele US-Bürger Angst vor der Zukunft, und diese Angst geht oftmals Hand in Hand mit einer radikalen Ablehnung jeglicher Ordnung. Denn sie fühlen sich vom Staat betrogen.“

In den Berichten der US-Presse über das Massaker tauchte immer wieder eine Frage auf: Wo ist der Superheld wenn man ihn braucht? „Er ist auf der Leinwand, wo er auch hingehört“, sagt Agger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false