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Narzissmus in der Politik: Christian Wulff inmitten der Sternsinger.

© dapd

Wulff, Guttenberg und Co.: Vom Risiko des Rampenlichts

Die Hybris gibt es nicht nur bei mythischen Gestalten: Der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth beobachtet das pathologische Muster des Narzissmus auch bei Politikern und anderen Mächtigen.

Von Caroline Fetscher

Herr Wirth, Menschen machen Fehler – was ist so suspekt daran, wenn ein mächtiger Mensch wie unlängst der Bundespräsident das Recht auf Fehler für sich in Anspruch nimmt?

Im Prinzip gar nichts. Fehler sind tatsächlich menschlich, wir alle begehen sie. Doch so, wie etwa Herr zu Guttenberg von seiner „großen Dummheit“ spricht, oder Herr Wulff von seinem „großen Fehler“, scheint es sich um manipulative Versuche zu handeln, an das Mitgefühl und Verständnis des Publikums zu appellieren. Was beide nicht sagen, ist: Ich habe da mit kalkulierter Absicht gehandelt, ich habe mir eben einen Vorteil – einen verdächtig günstigen Kredit, oder mehr Ansehen über eine abgeschriebene Doktorarbeit – verschaffen wollen. Ich wusste, dass das ein Risiko enthält, und ich hätte darüber besser nachdenken sollen. Von der Dimension des absichtlichen Kalküls wollen solche Ausreden nichts preisgeben.

Warum sind gerade prominente Machtmenschen so anfällig für diese Art von Selbstbetrug und Täuschung?

Politiker sind nicht unbedingt von vornherein Blender und Narzissten. Viele beginnen ihre Karriere mit dem idealistischen Wunsch, die Gesellschaft zu gestalten, etwas zu verändern, sich einzusetzen für andere. Dann aber geraten sie nach und nach von der Provinz ins breite Rampenlicht, sie werden auf einmal, so scheint es ihnen, enorm wichtig. Sie sehen sich, und die Öffentlichkeit sieht sie, an der Seite anderer Prominenter, Wirtschaftsbosse, Showstars, die sich bereits eine gehörige Portion Grandiosität angeeignet haben.

Und das färbt ab?

Ja, da entsteht die Gefahr, dass sich Politiker in der Grandiosität solcher anderer spiegeln, dass sie davon trunken werden, wie von Champagner. Denn die Verführung ist groß, eigene Unsicherheiten, mit denen sie bei ihren Aufgaben konfrontiert werden, durch die glitzernde Hülle zu überspielen, auch vor sich selber.

Christian Wulff reklamierte in seinem Fernseh-Interview für sich „die Menschenrechte“, als sei er ein politisch Verfolgter.

Da hat er eine Moralkeule hervorgeholt, die eindeutig zu groß war. Niemand würde ihm die Menschenrechte absprechen – doch darum geht es ja gar nicht. Gleichwohl ist es auch nachvollziehbar, welche Belastungen Politiker in Spitzenpositionen ertragen müssen, wenn die Öffentlichkeit bereit ist, jeden Makel aufzuspüren. Permanent durchleuchtet zu werden, auch im Privatleben, das bedeutet eine enorme psychische Belastung. Was andere im Alltag anstellen, sei es die schwarz arbeitende Putzfrau oder die kleine Unterschlagung bei der Steuer, das stellt für einen Politiker ein hohes Risiko dar. Ich musste jetzt manchmal an Bill Clinton denken, als sein sexueller Fehltritt vor Millionen in aller Welt ausgebreitet wurde. Vermutlich war das für ihn kaum zu ertragen.

Prominente müssten besonders vorsichtig sein. Sie scheinen sich aber häufig für geradezu unangreifbar zu halten.

Sobald der frühe Idealismus in den Rausch eines übersteigerten Narzissmus umkippt, gewöhnen sich Mächtige gern an eine Art psychischen Vip-Zustand: Ich kann mir das leisten, denn ich leiste Ungewöhnliches. Wenn auf dem Grund der Seele auch Selbstwertprobleme liegen, verführt die Macht dazu, das vor sich und anderen zu verbergen. Das Gefühl für die eigenen Grenzen schwindet.

„Mein Bild wird überall gesendet, mein Name überall zitiert ...“

... da werden Kränkungen als umso schlimmer empfunden! Wer dann dennoch von „Bild“ bloßgestellt oder öffentlich infrage gestellt wird, der kann sich plötzlich nicht mehr im Griff haben. Dann kann es passieren, dass jemand zum Hörer greift und einen Chefredakteur einschüchtern will. Der Narzissmus ist derart verletzt, dass narzisstische Wut das Resultat ist.

Narzissmus ist per se nichts Pathologisches.

Narzissmus per se ist ja nichts Pathologisches.

Nein. Einen gesunden Narzissmus brauchen wir alle, ein Gefühl von Selbstwert, von sinnvollem und sinnstiftendem Dasein. Problematisch wird es, wo eigene Gefühle von Minderwertigkeit nicht reflektiert, sondern als riesig empfunden und mit Grandiosität überspielt werden. Es kommt zur Schauspielerei, das Authentische geht verloren. So wird die psychische Dynamik zu Dynamit – denn es fehlt die Realitätsprüfung. Man könnte diesem Typus den paradox klingenden Rat geben: Mach dich nicht so groß, so klein bist du doch gar nicht. Wenn die Erwartungen an die eigene Rolle übersteigert sind, wie auch im Fall Guttenberg, löst sich die Bodenhaftung.

Der CSU-Politiker Michael Glos erinnerte sich bei Anne Will an das frühe Talent Guttenbergs: „Ich war damals quasi der Regisseur und habe die jungen Schauspieler, die gekommen sind, eingeteilt.“ Guttenberg habe seine Rolle brillant gespielt.

Würde man Glos darauf ansprechen, würde er vermutlich die Formulierung bagatellisieren, das sei nur eine Metapher. Dabei entsteht eine Metapher nicht zufällig. Sicher ist es so, dass jeder gute Politiker performatives Talent braucht, dass er expressiv sein sollte. Das ist auch eine Gabe, sie hat mit Narzissmus zu tun, aber nicht mit pathologischem Narzissmus. Der entsteht, wenn ich mich zu mir selber wie zu einem Objekt verhalte. Solche Narzissten verwenden Dinge und Menschen nur als Mittel zum Zweck der Selbstbestätigung. Sie werten sich auf durch ihr Geld, ihren Wagen, eine schöne Frau, einen reichen Mann, ein hohes Amt, eine mächtige Funktion. Damit missbrauchen sie andere. Und indem sie sich selber zu einem solchen Objekt machen, als ob sie ständig vor dem Spiegel „bin ich nicht großartig?“ sagten, missbrauchen sie auch sich selbst, ihre eigene Psyche.

Meist werden solche Dynamiken den Aufsteigern zugesprochen, den Parvenüs. Bei Guttenberg greift diese Deutung nicht.

Er ist allerdings offenbar schon in zu großen Schuhen aufgewachsen. Schon als Vierzehnjähriger hat er Reden gehalten und wohl den massiven Erwartungsdruck der Familie empfunden. Auch bei den von Weizsäckers gibt es Familientradition und Erwartungsdruck, aber die Nachkriegsgenerationen brachten Leute mit hohem Verantwortungsgefühl, Ernsthaftigkeit und klarerer Einschätzung ihrer Grenzen hervor. Hier kam es offenbar nicht zu übersteigerten und damit abgespaltenen Größenvorstellungen, sondern das hohe Selbstbewusstsein war gut in die Persönlichkeit integriert. Diese konnte sozusagen Schritt halten mit den hohen Ansprüchen.

Was kann Mächtige davor bewahren, vom Virus der Grandiosität infiziert zu werden? Gibt es Alarmsignale?

Das ist sehr schwierig, denn der Prozess ist schleichend. Hilfreich ist ein kritischer Partner, der am Abend sagen kann: Nun komm mal wieder auf den Teppich. Solche Sätze auszusprechen, das trauen sich nicht mal enge, unabhängige Berater, dazu bedarf es eines privaten Umfelds, in dem Kritik geübt, Kritik angenommen wird und auch mal über sich selber gelacht wird. Wenn bei strahlenden Paaren wie den Guttenbergs oder Wulffs beide Partner im Rampenlicht stehen – was auch deshalb geschieht, weil die Öffentlichkeit solche Paare mit Freude idealisiert –, da kann das zentrale Korrektiv abhanden kommen. Manche fangen auch an, von sich in der dritten Person zu reden, sie identifizieren sich also schon mit dem öffentlichen Imago, das es von ihnen gibt.

Wie könnte eine Bewältigung aussehen, wenn die Störung auffällig geworden ist?

Jemand wie Wulff zum Beispiel müsste zunächst einmal Rückschau halten und sich so ehrlich wie möglich befragen, wie es zu den Verfehlungen kommen konnte. Wer sich den eigenen Veränderungen stellt, kann nach außen Wahrhaftigkeit signalisieren. Erst dann wäre das Vorausschauen wieder dran. Und dann müsste Wulff inne halten und sich im Austausch mit relevanten Gesprächspartnern klar werden, was ihm die wichtigsten Anliegen sind und sie glaubhaft vertreten. So könnte er Vertrauen zurückgewinnen. Klar scheint, dass Wulff im Moment vor allem beweisen möchte, dass er das Amt doch ausfüllen kann. Er möchte, dass ihm die Schmach erspart bleibt, es zu verlieren. Ängstlich nach allen Seiten zu schauen, dass man nur nichts falsch macht, das wäre keine gute Strategie.

Falsche Versprechungen von ganzen Parteien, gefälschte Dissertationen, lückenhafte Aussagen des Bundespräsidenten: Welche Botschaften transportiert das an die Bevölkerung?

Das gibt der Politikverdrossenheit Nahrung und begünstigt die Meinung, dass die Politiker nur eigennützige Interessen im Auge haben und sich um das Gemeinwohl nicht scheren, um das sie sich doch kümmern sollten. Außerdem breiten sich zynische Haltungen aus, nach dem Motto: „Wenn die da oben sich so verhalten, warum nicht auch ich?“ Oder es kommt zur Resignation: „So ist halt die Welt!“ Wenn sich Personen, die Verantwortung tragen, amoralisch verhalten, hat das sozialpsychologische Auswirkungen. Zynismus, Resignation und eine negative Weltsicht werden gefördert. Daher wäre es falsch, all das leicht zu nehmen.

Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

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