zum Hauptinhalt
Stop. Karl-Theodor zu Guttenberg ist für sein Tempo bekannt. Das kann ihn jetzt nicht retten.

© dpa

Karl-Theodor zu Guttenberg: Ein Herr ist so frei

Seine Methode in kritischen Situationen: einfach mit Vollgas über die rote Ampel. Aber diesmal tun sich dahinter Abgründe auf. Karl-Theodor zu Guttenberg war nicht ehrlich. Auch bei einem Studenten aus dem Grundstudium soll er abgeschrieben haben.

Von Robert Birnbaum

W er den Bundesminister der Verteidigung in seinem Amt besuchen will, landet gleich am Tor vor einer roten Ampel. Am Freitag Vormittag steht ein Häuflein Journalisten vor dieser Ampel und wartet auf Einlass. Der Bundesminister der Verteidigung, erwarten alle, wird eine Erklärung abgeben. Karl-Theodor zu Guttenberg legt ja sonst durchaus Wert auf großes Publikum. Diesmal nicht.

Die vor dem Tor müssen draußen bleiben. Die nicht vor dem Tor stehen, sondern sich in der üblichen Regierungspressekonferenz Auskunft erwartet haben, müssen erst recht draußen bleiben. Sie erfahren mehr so nebenbei, dass übrigens jetzt gerade der Minister sich erklärt, vor „ausgewählten“ Medien, wie sein Sprecher sagt. Die „ausgewählten“ Medien sind praktisch nur Kameras und Mikrofone. Kameras und Mikrofone können keine Fragen stellen. Der Sprecher will auch keine Fragen beantworten. Der Rest der Hauptstadtpresse verlässt unter Protest den Saal. Der Regierungssprecher versucht tapfer weiter, das Routineprogramm abzuspulen – die Termine der Kanzlerin der nächsten Woche: „Am Dienstagmittag hält der Karneval im Kanzleramt Einzug ...“

Es gibt im politischen Berlin ein paar ungeschriebene Regeln des Anstands zwischen Politik und Presse. Beide Seiten verletzen sie manchmal. Umgang mit der Presse nach Freiherrenart ist neu. Aber der Eklat passt ganz gut zu dieser ganzen Geschichte. Wieder einmal hat Karl- Theodor zu Guttenberg getan, was er in kritischen Momenten gerne tut: einfach mit Vollgas über die rote Ampel.

Hinterher wird er sich dafür entschuldigen, die zweite Entschuldigung des Tages und die weniger bedeutsame. Die erste haben die Kameras aufgezeichnet. Selbst die Dienstleister des Journalismus, die Nachrichtenagenturen, können sie nur vom Fernsehschirm abschreiben. „Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat und den Vorwurf weise ich mit allem Nachdruck von mir“, sagt der Fernseh-Guttenberg. Sie enthalte „fraglos Fehler“, allerdings habe er „zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht“. Die Universität müsse jetzt prüfen, ob darin ein wissenschaftliches Fehlverhalten liege. „Und ich werde gerne bis zum Ergebnis dieser Prüfung vorübergehend – ich betone: vorübergehend – auf das Führen des Titels verzichten – allerdings nur bis dahin! Anschließend würde ich ihn wieder führen.“ Dann sagt er noch, dass er in der Sache ab jetzt nichts mehr sage und dass er sich jetzt wieder mit voller Kraft um das fordernde Amt des Verteidigungsministers kümmern werde, und dass die Menschen im Lande das erwarteten. Er sagt das an einem Tag, an dem wieder deutsche Soldaten in Afghanistan sterben.

Er könnte mit seiner Einschätzung richtig liegen. Man kann es ganz gut schon am Donnerstagabend in dem Örtchen Barleben sehen, kurz vor den Toren von Magdeburg. Die örtliche CDU hat einen Coup gelandet: In der Sporthalle will Karl-Theodor zu Guttenberg einen Vortrag halten über die Zukunft der Bundeswehr. Die „Original Zackenberger Blaskapelle“ intoniert Marschmusik, über den Bankreihen liegt ein erwartungsfrohes Murmeln. Plötzlich aber bildet sich hinten, wo die Biertische stehen, ein Knäuel sehr ernst dreinblickender Männer in dunklen Anzügen. Kurz darauf macht sich das Knäuel im Gänsemarsch auf den Weg nach vorn und der Spitzenkandidat Holger Stahlknecht hält zum ersten Mal im Leben eine Rede vor mindestens einem Dutzend Kameras. „Die Botschaft, die ich Ihnen jetzt bringe, ist eine sehr schwierige“, druckst Stahlknecht. Der Minister hat abgesagt. Sein Büro lasse ausrichten, er sei „in Berlin unabkömmlich“. Minuten später steigt draußen ein älterer Herr in sein Auto. „Wenn ich den Guttenberg nicht seh’, was soll ich hier?“

Die Absage ist, gelinde gesagt, ungewöhnlich. Was ist da los in Berlin? Seit Mittwoch kocht die Plagiatsaffäre. Guttenberg hat die Vorwürfe sofort brüsk abgebürstet, „abstrus“ seien sie. Dann ist er nach Afghanistan geflogen zu einem seit längerem geplanten Besuch, mit Übernachtung in einem Außenposten.

Zu Hause kocht die Affäre weiter. Eine ziemlich gefährliche Affäre. Das liegt nicht nur, aber doch sehr wesentlich an den modernen Zeiten. Früher hätte sich kein Mensch der Mühe unterzogen, die juristische Doktorarbeit eines Ministers auf korrekte Zitiertechnik hin zu durchforsten – obendrein eine Arbeit, von der selbst Wohlmeinende sagen, sie bewege sich mehr „im akademischen Mittelfeld“ als bei dem Spitzenprädikat „summa cum laude“, das die Universität Bayreuth dem Doktoranden seinerzeit verlieh.

Doch heute gibt es Google. Und es ist ein Leichtes, ganze Passagen eines Textes einzugeben und sie das Internet darauf hin durchforsten zu lassen, ob das schon mal jemand anders so geschrieben hat. Man muss für diese Suche nichts von Jura verstehen oder von Guttenbergs Thema, einem Vergleich der Verfassungen der USA und Europas. Mit Google kann jeder Detektiv der Wissenschaft werden. Und so werden aus jenen rund drei Seiten fremdes Gedankengut, die der Bremer Professor Andreas Fischer-Lescano ursprünglich in dem 475-Seiten-Werk aufgespürt hat, in kurzer Zeit acht, zehn, noch mehr Seiten. Die Quellen, aus denen der angehende Dr. jur. sich bediente, reichen von der Musterarbeit eines Studienanfängers bis zu einem Aufsatz seines CDU-Ministervorgängers Rupert Scholz. Gedanken zu übernehmen ist in der Wissenschaft gang und gäbe. Gedanken von anderen zu übernehmen, ohne das dazuzuschreiben, ist Gedankenklau und streng verboten.

Mit der Menge der Belege wächst die Sorge unter Guttenbergs politischen Freunden. Der Mann ist ja nicht einfach nur populär. Auf dem Mann ruhen ja nicht einfach nur Hoffnungen. Der Mann mit den sagenhaften Popularitätswerten ist inzwischen eine Art strategischer Baustein im Gefüge der Union im Allgemeinen und der CSU im Besonderen. Eine CSU ohne Guttenberg - das wäre wieder das Reich des Horst Seehofer, den viele innerlich längst abgeschrieben haben. Es soll übrigens Leute geben, die bei dem CSU-Chef dieser Tage ein ganz leichtes Lächeln um die Mundwinkel wahrgenommen haben wollen. Seehofer kennt sich aus mit Affären. Er weiß, dass man politische Fehler überleben kann. Er weiß aber auch, wie schwer es ist, Angriffe in Charakterfragen zu parieren. Für einen wie Guttenberg gilt das doppelt. Der geht mit Worten wie „Anstand“ und „Ehrlichkeit“ recht freigiebig um. Dass ihm die Leute das abnehmen, ist sein größtes Kapital. Aber einer, der Gedanken klaut, ist nicht anständig und ehrlich.

Die Gefahr wird nicht kleiner dadurch, dass es hier nicht um Fragen der Politik geht, sondern der Wissenschaft. Über Verfehlungen des Absolventen Guttenberg richtet keine zu Gnade für den Liebling bereite Wählerschaft, sondern die Universität Bayreuth. „Die müssen auf ihr Renommee achten“, umreißt einer aus Guttenbergs Polit- Freundeskreis das Problem. „Die können sich den Anschein des Verdachts nicht leisten, dass sie einen Promi-Rabatt geben.“

So stehen die Dinge, als Guttenberg am Donnerstag auf dem Militärflughafen in Tegel landet. Er fährt nicht ins Ministerium und nicht nach Barleben, sondern nach Hause. Dass er sich angesichts der aufgeheizten Affärenlage kurz mit dem Gedanken getragen hat, einfach dieses ganze Politikgeschäft hinzuwerfen, darauf gibt es vage Hinweise. Als er später am Abend zu Angela Merkel ins Kanzleramt fuhr, war aber schon klar: Er bleibt. Über das Gespräch ist weiter nichts in Erfahrung zu bringen – nur dass beide Seiten hinterher gesteigerten Wert darauf legen, dass die Kanzlerin ihren Minister zu nichts gedrängt habe: „Sie wollte von ihm selbst hören, was los ist.“

Vermutlich wollte sie aber vor allem wissen, wie er aus alledem rauskommen wollte. Die Antwort lässt sich aus Guttenbergs Erklärung ablesen: Als Guttenberg. Als der Mann, der immer Vollgas gibt und erst recht vor einer roten Ampel. Dafür bewundern ihn die Leute schließlich. Darum keine wirkliche Entschuldigung – nur eine halbe bei denen, die sich geistig beklaut sehen. Erst recht kein Eingeständnis irgendeiner Schuld, im Gegenteil: in „über sieben Jahren neben meiner Berufsabgeordnetentätigkeit als junger Familienvater“ sei die Dissertation entstanden, „in mühevollster Kleinarbeit“. Mühevollst. Guttenberg ohne Superlativ ist kein Guttenberg.

Ob er damit durchkommt? Merkel lässt „volles Vertrauen“ ausrichten. Seehofer sichert „volle Solidarität und Unterstützung“ zu. Wolfgang Schäuble zeigt Verständnis für den jungen Mann: „Jedem passiert auch mal ein Fehler.“ Am Sonntag wird in Hamburg gewählt, dann in Sachsen-Anhalt, dann in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Nur im Hintergrund gibt es ein paar, die sich ein bisschen wundern. Guttenberg sei „ein bisschen Demut“ nahegelegt worden. Aber vor einer roten Ampel anhalten – das kann er womöglich gar nicht mehr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false