zum Hauptinhalt
Keine Angst. Eine Demonstration für Pussy Riot am Mittwoch vor der Erlöser-Kathedrale in Moskau, dem „Tatort“. Auf den Schildern steht: „Die Gnädigen sind glückselig.“

© dpa

Inhaftierte Punk-Musikerinnen: Pussy Riot: Kritik ist Putin egal

Am Freitag fällt das Urteil: Andrej Jerofejew glaubt, dass der Kreml an Pussy Riot ein Exempel statuieren will. Der Kurator kennt sich aus. Er war selbst einmal in Moskau wegen "Aufstachelung zu religiösem Hass" angeklagt.

Vor zwei Jahren stand Andrej Jerofejew vor einem Moskauer Gericht und wartete auf sein Urteil wegen „Aufstachelung zu religiösem Hass“. Wie jetzt für die drei jungen Frauen von Pussy Riot forderte der Staatsanwalt damals für den Kurator und seinen Kollegen Juri Samodurow drei Jahre Straflager. Grund war die von den beiden organisierte Ausstellung „Verbotene Kunst“, die religionskritische moderne Werke zeigte. Damals kamen die beiden mit einer Geldstrafe davon.

Am Tag vor dem Urteilsspruch gegen Pussy Riot glaubt der 56-jährige Jerofejew jedoch nicht, dass die drei angeklagten Frauen einer Gefängnisstrafe entgehen werden. „Als das Urteil gegen uns gefällt wurde, war Dmitrij Medwedjew an der Macht“, sagt Jerofejew, „er hatte eine Reihe von zurechnungsfähigen Beratern. Jetzt heißt der Präsident Wladimir Putin, und das ganze Verfahren lässt nur einen Schluss zu: Der Kreml will eine maximal unmenschliche Position demonstrieren.“

Die Parallelen zwischen dem Verfahren gegen Jerofejew 2010 und gegen Pussy Riot sind tatsächlich augenfällig: Es ist der gleiche Staatsanwalt, der beweisen will, dass das Motiv der Angeklagten damals wie heute ihr Hass auf die orthodoxe Religion war. Es sind einfache Menschen, die als Geschädigte und als Zeugen auftreten und mit zitternder Stimme erklären, wie stark ihre religiösen Gefühle verletzt worden seien. Damals waren es Ikonen, die mit schwarzem Kaviar gefüllt worden waren, diesmal sind es die Tänze und Gesänge vor der Ikonostase der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale.

Video: Bangen um Pussy Riot

Jerofejew ist seit dem Gerichtsverfahren gegen ihn ein Ausgestoßener. 2008, nach der Anklage, entließ ihn die Tretjakow-Galerie, deren Abteilung für zeitgenössische Kunst er seit 2002 geleitet hatte. Keine offizielle russische Institution will mehr etwas mit ihm zu tun haben.

Bildergalerie: Pussy Riot - Frauenaufstand gegen Putin

Er sagt, dass das Verfahren gegen Pussy Riot nach dem gleichen Prinzip wie gegen ihn verlaufe, aber eine ganz andere Größenordnung habe. Das Regime sei erschrocken von Pussy Riots Auftritt, weil die Punkband den üblichen Rahmen einer Kunstperformance gesprengt habe. Drei junge Frauen rufen im Namen des Volkes die Gottesmutter an, Putin zu vertreiben. Das Video haben innerhalb weniger Wochen mehrere Millionen Menschen gesehen. Wenn man jetzt im Internet nach „Gottesmutter“ sucht, dann ist das erste, was erscheint: „Vertreibe Putin.“ Eine solche Wirkung habe Kunst in Russland schon lange nicht mehr erzielt, meint Jerofejew. Pussy Riot haben den Raum der Kunst verlassen und sind in den Raum der Kirche eingedrungen. Diese Entgrenzung der Räume habe die Kirche und den Staat provoziert.

Bildergalerie: Weltweiter Protest für "Pussy Riot"

Dass die Causa Pussy Riot eine derartige Größenordnung annehmen konnte, ist jedoch kein Zufall. Jerofejew erkennt die Handschrift des Kreml-Demiurgen Wladislaw Surkow, einer der engsten Putin-Vertrauten, der gerade erst zum Regierungsbeauftragten für die Beziehungen zur Kirche ernannt wurde. „Surkow ist ein zynischer Mensch. Er unterstützt sowohl die Kirche als auch moderne Künstler wie Marat Gelman, um sie später aufeinanderzuhetzen“, sagt Jerofejew. Die Folge sei eine tiefe Spaltung der Gesellschaft, die es in den neunziger Jahren so noch nicht gegeben habe. Zur Zeit der Perestroika seien die orthodoxe Kirche und die moderne Kunst – die beiden stärksten geistig-schöpferischen Kräfte der postsowjetischen Zeit – nicht so weit voneinander entfernt gewesen. „Aber im letzten Jahrzehnt ist die Kirche zu einem Ersatz für die KpdSU geworden“, meint Jerofejew, „sie steht heute für den reaktionären Kern unserer Gesellschaft, sie nährt die Abneigung gegen den Westen, gegen den modernen Menschen überhaupt.“

Eine Folge der Konfrontation ist allerdings auch eine antiklerikale Welle. Der russische Patriarch Kirill wurde in den vergangenen Monaten in den russischen Medien mehrfach angegriffen, zuerst wegen seiner 30 000 Dollar teuren Uhr, dann wegen einer teuren Wohnung im Zentrum Moskaus.

In den Tagen vor dem Urteilsspruch hat die weltweite Solidaritätskampagne für Pussy Riot ungeahnte Ausmaße angenommen: Nachdem Musiker wie Madonna, die Red Hot Chili Peppers und Faith no More ihre Konzerte in Moskau für Solidaritätsbekundungen nutzten, wollen an diesem Freitag in mehr als 40 Städten Unterstützergruppen vor den russischen Vertretungen demonstrieren. Die Berliner Musikerin Peaches veröffentlichte am Donnerstag ein im Mauerpark aufgezeichnetes Video mit dem Titel „Free Pussy Riot“. Ihre an den russischen Präsidenten gerichtete Petition hatten bis zum Donnerstagabend rund 110 000 Menschen unterschrieben.

Die Kritik aus dem Ausland scheint dem Kreml jedoch völlig egal zu sein. Jerofejew glaubt, dass Putin gerne den bösen Jungen spiele: „Das Regime demonstriert, dass es die höchste Stufe des Zynismus und Egoismus erreicht hat.“ Die einzige Reaktion darauf sei eine „ethische Alternative“. Die Aktion von Pussy Riot interpretiert der Kulturwissenschaftler als solch ein Bemühen: „Die Frauen wollten zeigen, wie unmoralisch die Nähe der Kirche zum Kreml ist.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false