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Weltklimarat-Bericht: Die deutsche Energiewende ist ein Vorbild

Noch immer fehlt ein Weckruf angesichts des fortschreitenden Klimawandels. Aber eine erfolgreiche deutsche Energiewende wäre ein gutes Argument. Es wäre eine Katastrophe, wenn eine künftige große Koalition das alte Energiesystem lediglich mit erneuerbaren Energien anreichern wollte.

Seit 25 Jahren trägt der Weltklimarat (IPCC) das gesicherte Wissen über den Klimawandel zusammen. Die Botschaft hat sich seit dem ersten Bericht 1990 nicht wesentlich verändert. Die globale Temperatur erwärmt sich schneller als je zuvor in einem Erdzeitalter. Schuld daran ist in erster Linie die Verbrennung von endlichen Brennstoffen wie Kohle, Erdöl und Erdgas. Das so in der Atmosphäre eingelagerte Kohlendioxid verstärkt den Treibhauseffekt. Um das Klima zu stabilisieren, muss der CO2-Ausstoß der Welt drastisch sinken.

Mit dem fünften Weltklimabericht, der am Freitag in Stockholm beschlossen worden ist, wertet der IPCC nun die Forschungsergebnisse aus, die für nahezu jedes Symptom des Klimawandels auch Messwerte liefern können, die über einen klimarelevanten Zeitraum von mindestens 30 Jahren genau die erwarteten Entwicklungen abbilden. An diesen längerfristigen Trends ändert auch die Tatsache nichts, dass das Tempo der Erwärmung in den vergangenen 15 Jahren etwas langsamer war, als es der Energiegehalt im Erdsystem hätte erwarten lassen. Die Erde ist schließlich kein lineares System, in dem jede Ursache zu exakt einer Folge führt.

Die Ökosysteme der Erde sind nichtlineare Systeme, auf die viele verschiedene Faktoren Einfluss haben und deren Wirkung nicht immer ganz genau absehbar ist. Doch an der Grundaussage, dass sich die Temperaturen der unteren Luftschichten und der Meere bis in eine Tiefe von mindestens 700 Metern erwärmen, ändert das nichts. Die Meeresspiegel steigen, weil sich das wärmere Wasser ausdehnt und weil weltweit Gletscher schmelzen. Mehr Sicherheit über den Grundzusammenhang gab es noch nie.

Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass der erste von drei Teilen des fünften Weltklimaberichts als „Weckruf“ dienen wird, wie es der us-amerikanische Außenminister formuliert hat. Denn das hätten bereits die vier vorhergehenden Berichte sein können. Der offenkundige Zusammenhang zwischen der Verbrennung fossiler Brennstoffe und dem für viele Lebensformen zu schnellen Klimawandel hat bisher keine dramatische politische und wirtschaftliche Veränderung ausgelöst. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Um den Klimawandel zu bremsen, müsste das aktuelle Zivilisationsmodell aufgegeben werden, das darauf beruht, dass die Nationen mit dem höchsten CO2- Ausstoß die reichsten sind. Solange dieser Zusammenhang nicht durchbrochen wird, ist das Unheil schwer aufzuhalten.

Genau deshalb kommt der deutschen Energiewende eine durchaus übergeordnete Bedeutung zu. Sollte sie gelingen, wäre sie ein überzeugendes Argument dafür, dass Wohlstand auch ohne einen dramatisch hohen CO2-Ausstoß möglich ist. Je eher das plausibel gemacht werden kann, desto besser. Denn wir leben in einer Welt, in der es technisch wohl auch noch in zehn oder 15 Jahren möglich ist, einen dramatischen Kurswechsel zu vollziehen. Aber die Welt könnte ihn weitaus billiger haben.

Seit der Klimaökonom Nicholas Stern vor bald sechs Jahren vorgerechnet hat, dass mit Ausgaben in Höhe von etwa einem Prozent der Weltwirtschaftsleistung der Klimawandel gebremst, und der Umbau der Weltwirtschaft auf einen emissionsarmen Pfad finanziert werden kann, können eigentlich alle Regierungen und Firmenchefs wissen, wo es langgeht. Wenn sie weiter zögern, wird der Umbau mit jedem verlorenen Jahr teurer.

Mit Blick auf das Weltklima wäre es eine Katastrophe, wenn eine künftige große Koalition der Besitzstandswahrung das alte Energiesystem lediglich mit erneuerbaren Energien anreichern wollte – wie die Union – oder die Kohle im System halten wollte – wie die SPD. Energiewende bedeutet Umbau des Energiesystems und nicht Konservierung, ergänzt um ein paar grüne Energien.

Wenn der Weltklimabericht diese Botschaft an die Koalitionsverhandlungen senden würde, wäre das ein Segen. Denn überall, in den USA, in China und anderswo, gibt es Ansätze zur Veränderung. Scheitert die deutsche Energiewende, wäre das ein billiges Argument für die Besitzstandswahrer in aller Welt. Und ganz schlecht fürs Klima.

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