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Der Einzige, der das kann.  Wolf Schneider ist Journalist, Sachbuchautor und Sprachkritiker, moderierte auch die „NDR Talk Show“. Er wird am 7. Mai 90 Jahre alt.

© dpa

Die Memoiren von Wolf Schneider: Der Stottertrottel

Ein Leben im Glanz der Wörter und Sätze: Sprachpapst Wolf Schneider hat seine Memoiren geschrieben. Nur an einer Stelle setzte die Erinnerung aus.

Wer ein Buch von Wolf Schneider liest, der erwartet Sätze, die im Sonnenlicht funkeln, geschmiedet und poliert mit den härtesten Werkzeugen, die die Sprache kennt. So einen: „Die Allmacht hatte er, das Recht setzte er, und noch im Gebrüll verwendete er mit klangvoller Stimme korrekte Konjunktive.“ Wer Schneider kennt, der erkennt in diesem Satz aber nicht nur den großen Stilisten, sondern auch den, den er damit beschreibt: Henri Nannen. Und Nannen, der Sonnenkönig vom „Stern“, spielt zwangsläufig eine Hauptrolle in Schneiders jetzt veröffentlichten Memoiren mit dem eigenartigen Titel „Hottentottenstottertrottel“.

Nicht, dass Schneider auch nur eine Millisekunde daran dächte, sich selbst als Trottel zu disqualifizieren. Dafür ist er bei aller gelegentlich aufblitzenden Selbstironie doch ein ganzes Stück zu selbstgewiss, und ganz sicher auch zu stolz auf all das Geleistete und Geglückte. Wer 90 Jahre alt wird bei bester Gesundheit, der hat viel erlebt in dieser langen Zeit, so viel wie Schneider selbst vermutlich aber nicht.

Vom Krieg gerade noch verschrammt, schnell aufgestiegen im Nachkriegsjournalismus, brachte Schneider eine Bilderbuchkarriere hinter sich. AP, „Süddeutsche Zeitung“, „Stern“, „Welt“-Chefredakteur, Chef der Hamburger Journalistenschule, Talkshow-Moderator, in späten Jahren Vortragsreisender, dazu Autor zahlreicher Bücher, mit denen er vor allem den Ruf begründete, der „deutsche Sprachpapst“ zu sein – da ist allerhand zusammengekommen.

In diesem typischen Schneider-Sound

Und von dieser langen Reise berichtet er, er kann nicht anders, in diesem typischen Schneider-Sound, der manchmal beinahe schon parodistisch penibel durchgefegten Sprache, die stets leistet, was ihm das Höchste ist: Den Leser vorn in den Text zerren und nicht wieder loslassen, bevor es hinten aufhört. Schneider ist sogar so liebenswürdig, seine ersten 20 Lebensjahre erst ganz am Ende zu beschreiben, vermutlich in der leserfreundlichen Erwartung, dieser Zeitraum könne Außenstehende zum Überblättern verführen. So oder so: Das sind keine Plaudereien eines Rentners, sondern genaue Erinnerungen auf der Grundlage eines noch genaueren Archivs.

Nur an einer Stelle, das sieht man schon beim Blättern im Namensregister, setzt die Erinnerung aus. Nicht aus Versehen, sondern weil sie es soll. Günter Wallraff, der Spezialfeind aus den heißen Zeiten der 70er, wird mit keinem Wort erwähnt, dabei hatte Schneider doch allergrößte Mühen, im Auftrag Axel Springers die Gegenoffensive gegen den Mann zu orchestrieren, der Hans Esser war und unter diesem Tarnnamen bei der „Bild“-Zeitung die Hütte in Brand setzte. Er habe, sagte Schneider zum 75. Geburtstag, all seinen Gegnern verziehen, nur Wallraff nicht – das gilt offenbar auch noch 15 Jahre später.

In der Chronologie des Buchs fehlt also ein Stück, und zwar dort, wo er – so waren damals die Zeiten – nach einem kritischen Kommentar gegen die chilenische Militärjunta von Axel Springer bei der „Welt“ abgesägt wird. Das war Ende ’74, es folgten vier turbulente Jahre als freigestellter und voll besoldeter Chefredakteur, in denen auch Wallraffs Sprengsatz zündete.

„Der Schneider ist zwar ein Arschloch, aber er ist der Einzige, der das kann.“

Dann, am 13. Oktober 1978, rief Henri Nannen an. Es war jener Anruf, „der mein Leben für 16 Jahre radikal veränderte, und weitere 17 Jahre lang habe ich von ihm profitiert.“ Nannen wollte eine Journalistenschule gründen und stellte sich Schneider als Chef vor, genauer: „Der Schneider ist zwar ein Arschloch, aber er ist der Einzige, der das kann.“ Schneider zitiert das mit schneiderischer Gelassenheit: „Mit solchen Komplimenten konnte ich leben.“ Und er zitiert auch mit besonderem Wohlgefallen, was ihm später die Schul-Absolventin Meike Winnemuth hinschrieb: „Er hat ja immer so verdammt recht. Und wer ihn trotzdem oder gerade deshalb hasst, hasst ihn auf Knien.“ Gehasst und angefeindet werden mit den richtigen, also widerlegbaren Argumenten, das hielt ihn in Form bis heute. Oder, wie der heutige „Spiegel“-Kolumnist Jan Fleischhauer sagt: „Er war schon politisch unkorrekt, als es noch nicht einmal ein Wort dafür gab."

Es liegt nahe, dass diese Passagen, die Schule betreffend, von ehemaligen Schülern am aufmerksamsten gelesen werden. In seinen besten Momenten ist das Buch aber darüber hinaus auch eine amüsante Tour durch die Nachkriegsgeschichte der deutschen Presse, beginnend mit dem Beinahe-Eingeständnis einer Niederlage, die er umgehend ins Positive dreht.  Er resümiert seine ersten Berufsjahre bei der „Neuen Zeitung“ in München kalt lächelnd mit dem Satz: „Diese Selbstbezogenheit in einem Alter, in dem Rudolf Augstein den ,Spiegel’ gründete, lässt sich im Rückblick allenfalls dadurch relativieren, dass ich mich im Schreiben übte und in der Bewältigung schwerer Stoffe ebenso“. Augstein bewundern und abwatschen in einem Satz – ein echter Schneider.

Dieses ganze Leben: immer bestens vorbereitet

Bei der Nachrichtenagentur AP fing er an, als sein Vorgänger schon gefeuert war, das aber noch nicht wusste, er kam zur „Süddeutschen“, geriet dann in die Nähe der ganz großen Macher:  Ernst Cramer, Herbert Kremp, Peter Tamm. Lustig wird das gewesen sein in seiner Alles-ist-möglich-Attitüde, frustrierend war es in der Nichts-geht-mehr-Realität: Den Anti-„Spiegel“ sollte er gründen, bis Springer die Lust daran verlor, sollte eine bessere „Welt“ erfinden, den kränkelnden „Dialog“ wiederbeleben. Außer Spesen ...

Vieles zwischen den beruflichen Passagen ist privat wie die späte Auswanderung nach Mallorca mit der berühmten Sentenz: „Man kann nicht verhindern, dass man alt wird, aber man kann verhindern, dass dies bei schlechtem Wetter geschieht.“ Oder die Rückkehr nach Starnberg, der Knie und der schlechten Flugverbindungen wegen. Reportagereisen nach Patagonien und in die Alpen und nach Srebrenica, viele Textauszüge, immer ein wenig eitel zusammengestellt und kommentiert – aber, was hilft’s, wenn es denn nun mal gut war.

Ach, der Stottertrottel: Das ist nur ein kleiner Teil eines Wortbandwurms, mit dem Schneider sich bei Hitlers Jungvolk tatsächlich vom Stottern befreite und einen Schnellsprechwettbewerb gewann – und den er noch im hohen Alter nutzte, um seine Zunge auf Talkshows und Vorträge vorzubereiten. Denn so war ja auch dieses ganze Leben: immer bestens vorbereitet.

Wolf Schneider: Hottentottenstottertrottel. Mein langes, wunderliches Leben. Gebundene Ausgabe, April 2015. Rowohlt Verlag. 448 Seiten. 19,95 Euro.

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