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Lieblingsmotiv. Wenn Kanzlerin Angela Merkel gezeigt wird, wie sie mit ihren Händen die Raute bildet, was wird dann klar oder gar erklärt?

© dpa/Michael Kappeler

Fernsehen und Politik: Neue Bilder braucht die Demokratie

Authentische Volksvertreter, keine Repräsentationsroboter – wie das Fernsehen Politiker zeigen muss.

Wer sich mithilfe des deutschen Fernsehens über Politik, ihre Probleme und ihr Personal informieren will, leidet bald am Murmeltier-Syndrom. Man hat – verfolgt man regelmäßig die politischen Talkshows, Politmagazine und Nachrichtensendungen – bald das Gefühl, man stecke in einer Zeitschleife fest und stoße überall auf das Immergleiche, die gleichen Phrasen, die gleichen Köpfe, aber eben auch die gleichen Formen der Berichterstattung, die ewig gleichen Bilder und Sender-Signaturen.

Wer ist schuld? Schürt das öffentlich-rechtliche Fernsehen Politikverdrossenheit durch erstarrte Ritualisierung? Wie rückt man medial und analytisch einem politischen System zu Leibe, das als „postmetaphysische Diskursdemokratie“ eigentlich nichts vom Körper der Politik wissen will? Früher war der Körper des Königs selbst ein Politikum, leibhaftige und somit wahrhaftige Macht, die durch höfische Machtschauspiele verabsolutiert wurde. In unserer Demokratie hingegen darf kein Repräsentationsglanz sein, sondern ein Volksvertreter-Grau, denn der Volksvertreter hat einen Körper, der nicht mehr sprechen soll, schließlich ist er vom Volk und nicht von Gott gewählt. Doch was macht das Fernsehen aus dieser diskursiven Volksvertreterexistenz? Wirkt es nicht ebenso diskursmüde, profan und bleiern wie die politischen Debatten?

TV und Politik stecken in einer Vermittlungskrise

Der Verdacht drängt sich auf, dass Fernsehen und Politik in einer sich bedingenden Ausdrucks- und Vermittlungskrise stecken, was hier und dort auch mit Quotenfixierung zu tun hat, mit der Einebnung individueller Sprechweisen und Handschriften und mit der Entkörperlichung von Politik. Dabei geht es nicht um den Politiker, der an Krebs erkrankt, sich zur Unzeit von seiner Frau trennt oder aufputschende Drogen nimmt, sondern es geht um politische Körper, um Politiker also, die durch ihre mediale Performanz Themen aufgreifen, dolmetschen und in die öffentliche Arena tragen, um Politiker, die aufrichtig sein und authentisch wirken sollen, die aber – vor tausend Mikrophonen und Kameras – nicht jede Minute die Welt neu erfinden können. Das sind Zerreißproben, das sind alltägliche Action-Abenteuer, doch das Fernsehen hat offenbar die Lust und vielfach auch die Kompetenz verloren, das zu erzählen. In den vergangenen Wochen gab es einige Sendungen zu sehen, mit denen man über solche Fragen nachdenken konnte und die zeigen, dass wir mehr solcher Dokumentationen und Reportagen brauchen, um das Interesse am demokratischen Prozess immer wieder zu stimulieren.

Stephan Lambys Dokumentation „Nervöse Republik. Ein Jahr Deutschland“ (ARD/NDR/RBB) war auch eine erhellende Körperstudie von Spitzenpolitikern. Frauke Petry knetet ihre Hände, als gelte es blutige Tränen auszuwringen, Thomas de Maizière futtert „Haribo“, um die mahlenden Kiefer zu beruhigen, Peter Tauber und Katharina Barley wirken wie aus dem Ei gepellte, vibrierende Tatdrangmenschen, denen die Haut zu straff auf den Leib gespannt ist, zerrissen zwischen den Aufgaben Attacke und Analyse, permanent umspielt vom digitalen Stimmungsdruck der Republik. Lambys Film versuchte sich am atmosphärischen Panorama eines ganzes Landes, Politik, auch das eine Aussage des Films, setzt den Körpern zu, zwingt sie dazu, Konflikte habituell und performativ zu bändigen. Viel lokaler hingegen war der Fokus von Klaus Sterns eindrücklicher Reportage „Der Bürgermeister-Macher“ (ZDF) über einen Spin-Doktor in der Provinz. Hier wird gezeigt, wie ein Berater Politiker entwirft, wie er den Körper inszeniert, ins Bild setzt, wie er Rhetorik und Auftritt schult. Gerade hier, vor Ort, in der Provinz, wurde deutlich, dass der Bürger auch mit der Körperpräsenz gewonnen wird, mit dem Körper, der Kompetenz anbietet, der aber auch eine Geschichte hat, ein Narrativ, das keinesfalls inszeniert wirken darf, höchstens professionell gemanagt.

Wo sind die Autorenhandschriften?

Doch solch Filme werden seltener, der politische Dokumentarfilm wird marginalisiert, originell-unbequeme Autorenhandschriften, prominente politische Erzähler und Deuter wie Andreas Veiel, Thomas Schadt oder Lutz Hachmeister („Der Hannover-Komplex“) werden seltener. Die Gründe sind vielfältig. Die konsequente Formatierung von ARD und ZDF, man könnte das auch eine McDonaldisierung der Bilder nennen, sperrt sich gegen eigenwillige Ansätze und Ideen. Der Audience Flow, die möglichst langfristige Bindung des Zuschauers, merzt abrupte oder ungewohnte Perspektiven aus. In den politischen Talkshows wird das Politische auf der Jagd nach dem lautesten Beifall und der pointiertesten Parole zu oft zum situativen Knallpulver zerrieben. Anstatt Ideen zu kuratieren und das Außergewöhnliche zum Programm zu machen, wird durch die Sender oft das Gewohnte favorisiert und Autoren zu bloßen Auftragslieferanten degradiert. Irritierende, kreative Akzentverschiebungen oder inspirierende Formatabweichungen bleiben auf der Strecke.

Aber auch die Politiker haben ihren Anteil an der Repräsentationskrise der Medien und der Politik. Sie sind ebenso risikoscheu wie das Fernsehen, lassen sich kaum in die Karten sehen und selten auf intensive Beobachtungen ein. Dabei gehörte es zu ihrer Transparenz- und Dolmetscherpflicht, das Politische immer wieder neu zu erzählen, immer wieder neue Stimulationsbrücken zur Gesellschaft zu finden. Es gibt aber ein weiteres Dilemma, in dem Politik und Fernsehen miteinander stecken. Im Fernsehen gibt es beinahe alles zu sehen: Man schaut in Kreis- und Gerichtssäle, in Todeszellen, in die Gerichtsmedizin, man sieht Sex, Geburt, Gewalt, Tod, alles real. Stärker als jemals zuvor bauen die Medien auf den Klebstoff Intimität, auf eine Dramaturgie der totalen Introspektion.

Politik braucht Diskretion

Wie kann Politik damit konkurrieren? Die Politik braucht die viel gescholtenen Hinterzimmer, sie braucht Diskretion, sie braucht Zeit und konditionsstarke Komplexitätsbezwinger, klar, das klingt weder sexy noch glamourös. Politik kann und darf sich nicht den Medien ausliefern, aber sie muss neue Bilder und Erzählungen finden, um das Abenteuer der Demokratie spürbarer zu machen. Und für das Fernsehen gilt, dass es nicht länger eine narrative Demobilisierung des eigenen Programms betreiben darf, weil man fürchtet, das Publikum zu verlieren. Neue Bilder braucht das Land, die Republik, die Politik.

Es ist erstaunlich, dass es ausgerechnet die Flüchtlinge waren, die Deutschland daran erinnerten, dass Politik charismatisch sein kann und einen Stellvertreterkörper braucht, durch den bestimmte Werte und Ideen aufscheinen. Ausgerechnet Angela Merkel, die Anti-Charismatikerin, wird als Hoffnungsbild von den Flüchtlingen selbst in die Welt geschickt. Die Selfies mit der Kanzlerin zeugen auch von der tiefen Sehnsucht nach einer Welt, in der der Mensch Politik nicht fürchten, sondern sich auf sie und ihre Helden verlassen kann.

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