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Vom Volk fürs Volk. Getragen von Mundpropaganda gelingt es Adele Spitzeder (Birgit Minichmayr), im Boom der Gründerjahre ihre famose „Bank“ aufzubauen. Foto: BR

© BR/ORF/Petro Domenigg

Fernsehfilm: Die Moritat vom Geldfräulein

"Für mich ist sie ein vampiristischer Robin Hood": Birgit Minichmayr überzeugt im ARD-Film als „Die Verführerin Adele Spitzeder“.

„Ein Geld muss eins da sein“, waren nicht nur die Halbstarken aus Rainer Werner Fassbinders Frühwerk „Katzelmacher“ überzeugt. Wie man ohne kaufmännisches Wissen eine Bank gründet, die zeitweise zehn Prozent Zinsen auszahlt, das führte als eine große, hochaktuelle Moritat das „Geldfräulein“ Adele Spitzeder (1832-1895) vor. Die in Berlin geborene Tochter des Künstlerpaares Spitzeder-Vio hatte beste Schulen besucht und verfügte über viel Esprit, gepaart mit tadellosen Manieren, womit sie das Volk blendete. Sie scheiterte jedoch mehrfach in ihrem Traumberuf als Schauspielerin, was lebenslang an ihr nagte. „Für mich ist sie ein vampiristischer Robin Hood“, sagt Birgit Minichmayr, die nach der strengeren Ruth Drexel in Martin Sperrs Verfilmung von 1972 nun ebenfalls die Spitzeder spielt. Durch ihre sagenhafte „Dachauer Bank“ ist die Figur in die bayerische Überlieferung eingegangen, es gibt sogar ein Spitzeder-Marionettenspiel.

Xaver Schwarzenbergers opulente Verfilmung setzt 1865 in München ein, als Adele Spitzeder, auf der Flucht vor Gläubigern auf der Straße landet. Von ihrer exaltierten Mutter Betty Vio (Sunnyi Melles) kann sie keine Hilfe erwarten. Da bezirzt Adele einen Kutscher, sie durch den Unrat zu tragen und richtet sich im Gasthaus der Wirtin Edeltraud Staller (Marianne Sägebrecht) ein. Völlig mittellos leiht sie sich zu Wucherzinsen Geld – und verleiht es wieder, wobei sie die Zinsen sofort in bar auszahlt. Allmählich baut sie sich mit der Magd Therese (Alicia von Rittberg) und dem idealistischen Dichter Balthasar Engel (Florian Stetter) einen ergebenen Hofstaat auf. Der Film (Buch: Ariela Bogenberger) hält sich an Adele Spitzeders Memoiren und begnügt sich mit Andeutungen, was ihre überlieferte Vorliebe für Frauen betrifft.

Mit der Devise „vom Volk fürs Volk“ und getragen von Mundpropaganda, gelingt es Adele Spitzeder, im Boom der Gründerjahre ihre famose „Bank“ aufzubauen. Eine Buchhaltung gibt es praktisch nicht, die Wechsel werden in Hutschachteln gelagert. Am Schluss besitzt sie allein in München sechzehn Häuser. Mit schlagender Offenheit gibt sie von Anfang an zu, keine Sicherheiten zu haben. Als die Gläubiger misstrauisch werden und ihr Geld verlangen, bricht das Konstrukt zusammen. Am 20. Juli 1873 wird sie wegen betrügerischen Bankrotts zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.

Birgit Minichmayr hat ein Faible für maliziöse Frauenfiguren. Das bewies die 34-jährige Linzerin in dem düsteren Thriller „Hotel“ von Jessica Hausner, als grillenhafte Künstlergattin in dem „Polizeiruf 110: Kellers Kind“ oder mit Filmpartner Lars Eidinger in „Alle anderen“, wo sie zwischen Häme und Liebe changierte. „Ich glaube an die Widersprüchlichkeit im Menschen und lasse das in meine Rollengestaltung einfließen“, sagt sie beim Gespräch im Salon des „Bayerischen Hofs“. Das passt vortrefflich zu dem vornehmen Fräulein, das seine unglaubliche Verschwendungssucht durch eine Art Nonnenkostüm zu bemänteln wusste – ein schwarzes Kleid mit einem weißen Krägelchen der Sauberkeit.

Als „hochkorrupte Frau mit Ich-Störung und ohne jedes Unrechtsbewusstsein“ sieht Birgit Minichmayr die von ihr bravourös verkörperte Hochstaplerin, die als eine der ersten das Schneeballsystem praktizierte. Das Unglück von Spitzeders gutgläubigen Opfern, von denen sich einige das Leben nahmen, ja die ganze Dimension ihres Betrugs, thematisiert der Film allerdings erst am Schluss, und das zu flüchtig. Kaum aus der Haft entlassen, gründete die verhinderte Künstlerin wieder eine Bank. Diesmal schritten die Behörden jedoch ein.

„Die Verführerin Adele Spitzeder“, ARD, 20 Uhr 15

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