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Weiß genau, wie die Blogger ticken: Journalistenausbilder Wolf Schneider.

© Doris Spiekermann-Klaas

Interview: "Die meisten Blogs sind Geschwätz"

Sprachpapst Wolf Schneider wird 85 – und wendet sich in seinem neuen Buch an die twitternde Enkelgeneration "Gegen das Wort 'geil' habe ich übrigens nichts mehr einzuwenden", sagt der, der nicht als "Deutschlehrer der Nation" gelten will.

Herr Schneider, lesen Sie Blogs?

Ich benutze gar keinen Computer, aber meine Frau verfolgt ein Dutzend Blogs und Twitter und druckt mir das aus. Kein Tag, an dem ich nicht mindestens zwei Blogs lese!

Und, wie gefallen sie Ihnen?

Drei Viertel dessen, was dort produziert wird, ist trauriges Geschwätz. Geschwätz, weil es wenig Substanz hat, und traurig, weil die meisten doch wohl gelesen werden wollen! Ich habe Mitleid mit denen, die sich mitteilen wollen und so gar keine Ahnung davon haben, wie man das macht.

Sie müssten also zu Ihnen in die Lehre gehen?

Sagen wir so: Was ich seit 30 Jahren predige, nämlich wie man ein attraktives, lebendiges, kraftvolles Deutsch schreibt, ist wichtiger geworden. Blogs, Twitter, E-Mail: Es wird heute dreimal so viel schriftlich produziert wie vor 30 Jahren. Dem steht aber nicht die dreifache Lesefreudigkeit gegenüber, sondern die halbierte. Noch nie war die Chance so gering, gelesen zu werden! Ich lehre, was man tun muss, um das Unwahrscheinliche zu erreichen, nämlich gelesen zu werden. Und diese Lehre ist heute wichtiger denn je.

In Ihrem neuen Buch „Deutsch für junge Profis“, dessen Titel sich an Ihren Klassiker von 1982 „Deutsch für Profis“ anlehnt, wenden Sie sich speziell an die Generation der Blogger und E-Mailer – Ihre Enkel gewissermaßen.

Verrückt, nicht? Als der Verlag mich fragte, ob ich ein Buch für junge Leute schreiben wollte, habe ich erstmal gelacht: Ich mit 84! Aber Tatsache ist, dass ich durch meine Seminare an Journalistenschulen und für Öffentlichkeitsarbeiter mehr hauptberuflichen Umgang mit 23-Jährigen habe als die meisten Leute in Deutschland.

Das heißt …

… ich weiß genau, wie die ticken, und komme bei denen ziemlich gut an. Die Enkelgeneration liebt mich mehr als damals die Söhne. Über-Opas sind offenbar beliebter als Über-Väter! Mich hat der Gedanke gereizt, ein Handbuch für begabte, interessierte 20-Jährige, Abiturienten, Studenten zu schreiben. Das ist ein schnelles Buch, schnell zu lesen, aufs Äußerste konzentriert und zugespitzt.

In Ihrem Buch zitieren Sie einen Tweet vom Juni 2009 aus dem Iran: „Ahmadinejad called us dust. We showed him a sandstorm“. Übersetzt: Ahmadinedschad hat uns Staub genannt. Einen Sandsturm haben wir ihm vorgeführt. Ist Twitter eine Rückkehr des Aphorismus?

Das ist ein ungeheuer interessantes Medium, das die Chance bietet, Sätze zu prägen, die dann auch Bewegung auslösen. Allerdings ist das iranische Beispiel das einzige, das ich gefunden habe, das sich wie ein Aphorismus liest. Der einzige Vorteil von Twitter: Man kann nicht so viel Geschwätz verbreiten wie per Blog.

Sind Sie der Deutschlehrer der Nation?

Deutschlehrer, nein! Ich lehre das, was im Deutschunterricht gar nicht vorkommt, nämlich attraktiv und lebendig zu schreiben. Ich bin nicht originell und will es auch nicht sein, ich habe die Verständlichkeitsforschung und alle Stillehren in deutscher und englischer Sprache studiert und auf ein paar Dutzend alltagstaugliche Regeln eingedampft. Und ich habe 60 Jahre Berufserfahrung: Da weiß ich, wie das geht. Deutschlehrer dagegen – und auch Autoren wie Bastian Sick – geben sich zufrieden mit der korrekten Grammatik. Ich habe die Richtlinien der Kultusminister zum Deutschunterricht durchgelesen, da kommen Wörter wie „angenehm, verständlich, lesbar, farbig“ gar nicht vor.

Wie oft kommt es vor, dass Sie selbst an dem zweifeln, was Sie gerade geschrieben haben?

Das passiert mir laufend. Ich praktiziere das, was ich allen rate: Wer Zeit hat, muss sich mit seinem Text plagen. Mit 17, als ich mich noch für ein Genie hielt – wie übrigens heute die meisten Journalistenschüler –, glaubte ich noch: Wenn es da steht und von mir ist, dann muss es wohl gut sein. Das Gegenteil ist richtig: Wenn es da steht, beginnt die Arbeit erst. Ich bastele mich halb zu Tode. Einer muss sich immer plagen, entweder der Autor oder der Leser.

Wer gibt Ihnen Rückmeldungen?

Meine erste und sehr strenge Leserin ist meine Frau. Aber auch meine Tochter, Textchefin des „SZ“-Magazins, ist eine ungeheuer strenge Kritikerin. Ich habe mal für den Stern eine Serie über den Kölner Dom geschrieben, und da passiert ja nichts, da stehen 160 000 Tonnen Stein und rühren sich nicht. Wie fängt man da interessant an? Ich schickte den Text meiner Tochter und sie vernichtete mich mit einem Satz: „ganz schön, aber ein bisschen wenig Menschen, bisschen viel Gotik“. Ich war zwei Tage lang schlechter Laune und habe neu angefangen. Und dann ist es mir gelungen, auch die Menschen von damals zum Leben zu erwecken.

Was Sie seit über 30 Jahren predigen, müsste doch auch mal Wirkung zeigen. Hat sich zum Beispiel bei den Bürokraten nichts verändert?

Nein! Überhaupt nichts. Erst kürzlich las ich eine Inschrift auf Papierkörben an der deutschen Autobahn. Die Überschrift lautete „Nur Reiseabfälle!“, und drunter stand: „Zuwiderhandlungen werden als unerlaubte Sondernutzung zur Anzeige gebracht“. Das steht heute an deutschen Autobahnraststätten, eine Karikatur auf den Bürokratenjargon von 1812. Dämlicher kann man nicht schreiben.

Jetzt mal ganz allgemein gesprochen: Geht es richtig bergab mit der deutschen Sprache?

Schlimm ist, dass durch das Fernsehen Leute zu Sprachvorbildern werden, die früher nur von fünf Umstehenden gehört worden wären. Wenn ein Mädchen, das gerade bei Dieter Bohlen durchgefallen ist, sagt, die Siegerin habe „scheiße performt“, dann hören das Millionen. Das ist eine Katastrophe. In der Journalistenausbildung geht es bergab mit Grammatik, Rechtschreibung, Interpunktion, Allgemeinbildung, da ist die Tendenz eindeutig.

Und was sagen Sie zu Modeausdrücken wie: „Geil“, „wie krass ist das denn“ oder „das ist voll der coole …“?

Was die Leute reden, ist nicht mein Thema, sondern was die Journalisten schreiben. Gegen das Wort „geil“ habe ich übrigens nichts mehr einzuwenden: Bei der Aufnahmeprüfung der Henri-Nannen-Schule im Januar habe ich abends einen Vortrag gehalten, und einer der Schüler lobte hinterher „die geile Rhetorik von Herrn Schneider“. Seitdem habe ich zum Wort „geil“ ein herzliches Verhältnis.

Das Gespräch führte Dorothee Nolte.

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