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Zwei in einem. In der Carl-von-Ossietzky-Schule in Kreuzberg hat Antonio Wannek seine erste Theaterrolle gespielt. Am Sonntag ist er als Schläger im Magdeburger „Polizeiruf 110“ zu sehen.

© Thilo Rückeis

Schauspieler Antonio Wannek im Porträt: Immer verdächtig, nie der Mörder

Der Berliner Schauspieler Antonio Wannek ist da, wenn harte Typen gebraucht werden. Im Magdeburger „Polizeiruf 110“ spielt er wieder so einen. Den Hassfascho in kurzen Hosen. Aber wer steckt hinter dieser Hartschale? Eine Begegnung in Kreuzberg.

In Leipzig, „Tatort“, tritt er eine Frau ins Koma, nimmt er eine Geisel, rast er vor Wut, rast er durch die Stadt. Der Hass pulsiert in den Fäusten. Im „Turm“, Soldat der NVA, 20 Monate Arrest wegen Herabwürdigung, schreit er, Kraftartist im Unterhemd, gegen das System. Baut er sein Gewehr zusammen, putzt er seine Stiefel, giert er nach Freiheit. Und nun, in Magdeburg, „Polizeiruf 110“ am Sonntag, dreht er den Faschoregler an den Anschlag. Als Bassist einer Rechtsrockband, die nachts Jagd auf Asylbewerber macht. Ein Klischeefascho in kurzen Hosen, mit Tätowierungen auf dem Schulterblatt, der Schädel kahl, die Abscheu gegenüber allem Fremden als Speichelbläschen auf der Oberlippe. Er macht das gut. Das kann er.

"Schule war Gefängnis für mich"

Der Schauspieler Antonio Wannek, 34 Jahre alt, spielt die Schläger, die Dealer, die Kaputten von nebenan. Nebenfiguren, Episodenrollen. Immer verdächtig, nie der Mörder. „Köderrolle, sag ich immer dazu“, sagt Wannek an diesem Morgen in Kreuzberg. Elf Uhr. Blücherstraße. Um zu verstehen, warum er gerade diese Typen so gut kann, muss man sich mit Wannek genau hier treffen. Eingangstor der Carl-von-Ossietzky-Schule. Gusseisen. Hinten Turnhalle, Tischtennisplatten. Hier fing es an. Hier hätte es aber auch aufhören können. Er kommt mit dem Fahrrad, schaut sich erst mal um, Schiebermütze, weite Jeans. Wirkt hier, im frühen Licht des Tages, überraschend harmlos. Steht dann aber dort, etwas geduckt, wie einer, der noch mal davongekommen ist. „Schule“, sagt er, während er kurz über die Mauer springt, um dem Fotografen das passende Motiv zu liefern, „war Gefängnis für mich, ich habe jeden Tag gehasst.“

Wannek ist auf der anderen Seite der Blücherstraße groß geworden. Eine Jugend in 61. Echter Kreuzberger, Problemschüler: „Ich war auf Abwegen unterwegs.“ Wannek und die Jungs, mit denen er abhing, Zeittotschläger, waren polizeibekannt. Eine Gang. „Das waren die beschissensten Jahre meines Lebens, ich wollte da unbedingt raus“, erinnert sich Wannek, während er Richtung U-Bahnhof Südstern läuft, „aber das war nicht leicht.“ Links hinter dem Zaun zieht der Pausenhof vorbei. Die Perspektive damals: Erweiterter Hauptschulabschluss, Bundeswehr, oder vielleicht, mit etwas Glück, auf’n Bau. Es kam anders.

Im Alter von elf Jahren war Antonio Wannek, die Mutter Heilpraktikerin, der Vater Lebenskünstler, auf dem Schulhof entdeckt worden, ein Kind unter vielen. Ein Zufall. Er bekam eine Hauptrolle in der Kinderserie „Viel Rummel um den Scooter“, trat noch in ein, zwei anderen Formaten auf, und war schließlich wieder nur ein Kind unter vielen.

Auf der Berlinale wird er als Shootingstar gefeiert

Sechs Jahre später, dazwischen viel Pubertät, Schulwechsel, ein anderes Leben, das hat er vergessen. Und doch: Das Einzige, was ihn zu jener Zeit in der Schule hält, ist das Schauspielern. Die Theaterklasse. Sie wird von einem Lehrer geleitet, bei dem sich Wannek, 17 Jahre alt, Rebell, Gangfuzzi, ernst genommen fühlt.

Er wird, noch größerer Zufall, erneut entdeckt. Weil der Regisseur Edward Berger einen wie ihn sucht. In „Gomez – Kopf oder Zahl“ spielt Wannek ein vernachlässigtes Schlüsselkind. Wird als schöner Punk im DDR-Drama „Wie Feuer und Flamme“ für den Filmpreis nominiert, gewinnt mit dem Dominik-Graf-Film „Der Felsen“ den Shootingstar bei der Berlinale 2002. Die Karriere rennt. Und Wannek kommt selbst kaum hinterher. Seine Reaktion: Notbremse. „Ich hatte keine Lust, meine öffentliche Freiheit zu verlieren. Da habe ich mich zurückgezogen.“ Plötzlich Star, das war nichts für ihn. Zu viel Show, zu viel Business: „Ich bin keiner für den roten Teppich.“

Er gibt dieser Härte ein Gesicht

Für die ganz große Karriere hat es vielleicht auch deshalb bislang nicht gereicht. Er ist kein Heileweltstar. Statt den Zuschauer die Härte des Alltags vergessen zu lassen, gibt er dieser Härte ein Gesicht. Und hat genau dadurch seinen Platz im deutschen Film gefunden: „Ich bewege mich in der Grauzone. Und dort fühle ich mich wohl.“ Er bleibt vor einem italienischen Restaurant stehen. Der Besitzer öffnet gerade den Laden, als er Wannek entdeckt. Der Laden kann warten. Große Wiedersehensfreude. „Antonio!“ Männerumarmung, lange nicht gesehen. Es muss jetzt unbedingt Kaffee getrunken werden.

Wenn Antonio Wannek auf Menschen trifft, die ihn schon lange kennen, wird der ohnehin schon starke Berliner Einschlag in seiner Stimme zu einem brettharten Straßenidiom. Worte wie Asphalt.

Er hat sich selbst einmal als Westberliner Proll bezeichnet. Das ist, spürt man nun, nach einer Kreuzberger Stunde mit ihm, keine Kokettiere. Da steht einfach einer, der sich nicht verstellt, nicht verstellen will. Der seine Rollen aus diesem Bauch spielt, in dem immer noch die Wut von damals steckt.

Im "Polizeiruf 110" aus Magdeburg spielt Antonio Wannek den Bassisten einen Rechtsrockband.
Im "Polizeiruf 110" aus Magdeburg spielt Antonio Wannek den Bassisten einen Rechtsrockband.

© MDR,Julia Terjung

Das ist, in den besten Momenten, echt bis zur Selbstentblößung. Wenn Wannek alles in sein Spiel legt, das er hat. Vollgas. Einhundert Prozent. Wenn die Herkunft zum Stilmittel wird, sie aus ihm herausbricht. „Besonders, wenn ich Szenen spiele, in denen ich aggressiv sein muss, ist es sehr schwer, den Berliner Dialekt zu zähmen“, erzählt er jetzt, Kaffee im kleinen Garten des Italieners. „Wenn ich spiele, dann spielt auch immer Kreuzberg mit. Manchmal muss ich dagegen anspielen, aber meistens hilft das.“

Die Haltung, das Wissen der Straße erleichtert es Wannek heute, in seinem Rollenprofil aufzugehen. „Ich war Täter, ich war Opfer, ich habe Scheiße gebaut und Scheiße erlebt“, sagt er, „und kann solche Charaktere dann auch oft besser nachvollziehen als andere Schauspieler, die wohlbehütet groß geworden sind.“

"Ich spiele immer böse Kerle"

Schwer aber wird es, auch für einen professionellen Gewaltlieferanten wie ihn, wenn er einen Typen verkörpert, den er erst einmal vor sich selbst rechtfertigen muss. Den Nazi, den Menschenhasser. Alexander Behrend, seine Rolle im Magdeburger „Polizeiruf“, war so einer. „Ich spiele immer böse Kerle, aber das war noch einmal ein anderes Level, weil man als Kreuzberger ja auch mit dem Feindbild Neonazi groß wird“, sagt er und lässt dabei seine schmale Kette durch die Finger laufen, an der ein Abbild Ché Guevaras hängt, „und dann auf der anderen Seite zu stehen, war schwierig. Man muss sich ja auch immer glauben, was man da spielt.“

Auch der Behrend ist ihm am Ende wieder erschreckend überzeugend gelungen: Ein geistloser Fußsoldat, springergestiefelter Vaterlandsstolz, inmitten von kühl kalkulierenden Anzugsfaschisten. Ein Stahlgewitter. Geifernd, ideologisch überfrachtet, dunkeldeutsch.

Den guten Sohn geben, das kann er auch

Deshalb letzte Frage an ihn, weil das schon noch geklärt werden sollte. Antonio Wannek, für immer böse? Er lacht, winkt ab, zeigt zum Abschluss noch mal ein ganz freundliches Gesicht. „Ich hätte auch mal richtig Bock, auf der anderen Seite des Verhörtisches zu sitzen und die Fragen zu stellen“, sagt er dann. „Für eine Kommissarrolle, einen Draufgänger, bisschen Bruce-Willis-mäßig, Schimanski, dafür würde ich mir den Arsch aufreißen.“

Er trinkt den Kaffee aus. Eine Frau nähert sich.

Die Mutter, sagt Antonio Wannek und steht auf, um die Mutter zu begrüßen. Sie wohnt noch immer hier im Viertel. Bevor er geht, dreht er sich noch einmal um und sagt: „Meine Mutter hat immer zu mir gehalten. Es macht mich glücklich, dass ich ihr den Gefallen tun konnte, doch noch was zu werden.“ Den guten Sohn, den kann er also auch.

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