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Bling-Bling is over. Hanna (Karoline Schuch) soll ein soziales Praktikum in einem Behindertenheim in Tel Aviv machen. Begeisterung sieht anders aus.

© BR

TV-Film "Hannas Reise": Was mit Juden

Im ARD-Film „Hannas Reise“ eckt eine neunmalkluge Berlinerin in Israel an – und lernt dazu.

Der Einstieg ist furios. Das Rattenrennen um den besten Job beginnt die Berliner BWL-Studentin Hanna (Karoline Schuch) im Kampfmaschinenmodus. Eben mal auf dem Damenklo eine enttäuschte Mitbewerberin fertiggemacht, die rötlichen Haare zum kalkulierten Liebreiz aus dem Ring gelöst, in den Bewerbungsraum hineingestöckelt und sich erfolgreich mit dem künftigen Arbeitgeber verständigt, dass die Lücke in sozialer Kompetenz schnellstens geschlossen wird. Irgendwas Praktisches und Gutmenschliches, dann Abflug in die Businesswelt.

"Behinderte Juden zählen doppelt"

14 Jahre nach Tom Tykwers „Lola rennt“ zeigt die Regisseurin Julia von Heinz, die mit John Quester das Drehbuch zu „Hannas Reise“ schrieb, dass der deutsche Film immer noch sprintend zur Sache kommen kann. Auch Hanna will rennen wie einst Lola. Nicht für ein Schicksalsexperiment wie bei Tom Tykwer, sondern für die eigene Karriere. Statt Brunnenbohren in Afrika will Hanna das Soziale gleich richtig auf Einser-Niveau hinter sich bringen: „Was mit Juden kommt immer gut, und behinderte Juden zählen doppelt.“ Gut auch, dass ihre Mutter Ute (Suzanne von Borsody) eine leitende Stellung bei der Organisation „Aktion Friedensdienste“ einnimmt.

Wir sehen, wie die schnelle Hanna das Behindertendorf bei Tel Aviv betritt. Sicher im Englischen, selbstbewusst im Auftreten, unnahbar für Machos. Doch dann geschieht der strebsamen jungen Frau das, was den Menschen in jedem Bildungsroman geschieht: die Entdeckung einer Welt jenseits des eigenen Horizonts. Die Arbeit mit den behinderten Menschen lässt sich nicht nach der BWL-Methode erledigen, Logik muss sich den seelischen Eigenarten der Patienten fügen. Auch Land und Leute bereiten der Karrieresprinterin Probleme. An Purim, dem jüdischen Fasching, kommen sich Hanna und der Psychologe Itay (Doron Amit) aus dem Behindertendorf näher. Er bittet Hanna im Spaß, ihn zu heiraten, damit er endlich Richtung Berlin aufbrechen könne und „drei Mal am Tag das Recht auf ,Sühnesex‘ “ mit ihr habe.

Drei Mal am Tag "Sühnesex"

Die flirtige Ironie zwischen der Deutschen und dem Israeli will die Differenzen verdecken, die der wachsenden Zuneigung zwischen den beiden entgegenstehen. Zunächst vergeblich. Itay war Soldat in der israelischen Armee, Militärpsychologe. Wollte nach dem Dienst in Berlin einen Club eröffnen, musste aber in Israel bleiben, um sich um die Familie seines Bruders zu kümmern, der sich das Leben nahm, weil er Traumata des Militärdienstes nicht verarbeiten konnte. Irritiert nimmt Hanna den Einfluss der Politik dieses schwierigen Landes auf das Zusammenleben der Menschen wahr. Distanz entsteht. Itay will keinen One-Night-Stand, Hanna erklärt ihre erotische Verwirrtheit hinterher mit zu viel Alkohol.

Zum Praxisprogramm Hannas gehört auch der regelmäßige Besuch im Altersheim bei der Holocaust-Überlebenden Gertraud Nussbaum (Lia Koenig). Es entwickelt sich zwischen den beiden eine Beziehung, die von Buch und Regie davor bewahrt wird, in den Kitsch einer falschen großmütterlichen Nähe abzurutschen. Die Augen der Nussbaum-Darstellerin Koenig verraten das unheilbare Leid und den Zorn über die Ermordung der Familie und zugleich die Anstrengung, im Namen der Vernunft einer unwissenden Enkelin des Nazivolkes zu erklären, was geschah. Wie schon bei ihrem Freund Itay geht Hanna bei den alten Damen im Heim der Jeckes-Juden durch die Schule der Achtung und des Respekts. Das hat alle Feinheiten einer intelligenten und zarten Drehbuchkunst.

Ein bemerkenswerter Film

Warum die Handlung dieser deutsch-israelischen Koproduktion allerdings eine wenig glaubhafte Wendung nimmt, ist kaum erklärbar. Durch Frau Nussbaum erfährt Hanna, dass ihre Mutter einst in Israel die Familie eines Uhrmachers suchte, deren Geschäft und Wohnung in Heidelberg unter den Nazis arisiert worden waren und in deren gestohlenen Sachen Hannas Mutter Ute aufwuchs. Die profitierenden Eltern sagten Ute nichts, als sie es aber herausbekam, brach sie mit ihren Eltern, zog durch die Welt, vernachlässigte ihre Tochter. Ute bekam in Israel keine Antwort. Die vertriebenen Juden wollten nicht mit ihr sprechen. Beim Skypen mit Hanna sieht man, wie die Mutter unter dieser Tragödie zusammenbricht.

Das wirkt in dieser sich auf ironische Diskretion und auf Andeutungen angelegten Liebesgeschichte wie ein Stilbruch. Zum Begreifen des jüdischen Schicksals braucht man keine persönliche Beziehung. Der Holocaust ist unfassbar. Eine wache und von Karoline Schuch wunderbar jetzig gespielte Figur wie Hanna lernt das ohne mütterliche Anleitung. Mit dem Rennen durchs Leben hat sie aufgehört. Was bleibt, ist ein bemerkenswerter Film.

„Hannas Reise“, ARD, Mittwoch, um 20 Uhr 15

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