zum Hauptinhalt
Kriegsmüde: Noch nie war die Ablehnung gegen den Afghanistan-Einsatz in den USA so groß wie heute.

© dapd

11. September 2001: Krieg? Welcher Krieg?

Am Dienstag wird in den USA wieder landesweit der Opfer des 11. September gedacht. Von dem Krieg, der auf die Anschläge folgte, redet allerdings niemand mehr. Kein Wunder.

Es ist das unwichtigste Thema von allen im amerikanischen Wahlkampf. Keiner spricht darüber. Es wird ausgeblendet, verdrängt, beschwiegen. Kein Wunder, Demokraten und Republikaner sitzen in Afghanistan in demselben sinkenden Boot. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte eine überwältigende Mehrheit der Kongressabgeordneten beider Parteien für den Krieg gestimmt, und ob George W. Bush oder Barack Obama: Beide Präsidenten standen mit dem vollen Gewicht ihres Amtes hinter der Mission.

Doch etwas hat sich geändert. Der Glaube an den Erfolg ist geschwunden. Die Kosten übersteigen nach Meinung vieler Amerikaner längst den Nutzen. Und damit meinen sie nicht allein das Geld, sondern vor allem auch das Seelenheil ihrer Soldaten. Vor einigen Wochen veröffentlichte das „Time“-Magazin einen deprimierenden Bericht. Demzufolge haben sich seit 2001 mehr US-Soldaten selbst das Leben genommen, als in Afghanistan getötet wurden. In nackten Zahlen: Während in Afghanistan 1950 amerikanische Soldaten bis zu diesem Sommer getötet wurden, hatten sich 2676 umgebracht. Das sind ungefähr so viele Menschen, wie vor genau elf Jahren unter den Trümmern des World Trade Centers begraben wurden. Für Verteidigungsminister Leon Panetta zählt die hohe Selbstmordrate zu der „frustrierendsten Herausforderung“ seiner gesamten Amtszeit, wie er sagt. Zumal die Gründe rätselhaft, die Ursachen weitgehend unbekannt sind. Rund zwei Milliarden Dollar gibt das Pentagon jährlich für die psychologische Betreuung der Truppe aus. Fast die Hälfte derjenigen, die sich das Leben nehmen, sind zuvor in psychologischer Behandlung gewesen.

Bildergalerie: USA trauern um Opfer von 9/11

Ob Beziehungsprobleme, Drogenmissbrauch, posttraumatische Störungen: Erklären lässt sich das Phänomen bislang nicht. Stattdessen werden Statistiken studiert. Jüngere Soldaten bringen sich eher um als ältere, Männer eher als Frauen, Weiße eher als Nicht-Weiße, zwei Drittel erschießen, ein Drittel erhängt sich. Vielleicht fehlt immer öfter das Gefühl für den Sinn dieses Krieges. Hamid Karzai hält sich durch Korruption und Betrug an der Macht, allein der Opiumhandel floriert. Von stabilen Strukturen, geschweige denn einer Zivilgesellschaft ist das Land weit entfernt. Warum sind wir da? Eine überzeugende Antwort auf diese Frage fällt immer schwerer.

Entsprechend gering ist der Rückhalt für den Afghanistankrieg unter US-Bürgern. Inzwischen befürwortet ihn nur noch rund ein Viertel der Befragten, während zwei Drittel gegen ihn sind. Das sind so wenige wie noch nie (Zustimmung) und so viel wie noch nie (Ablehnung). Analogien zum Ende des Vietnamkrieges werden gezogen. Auch damals seien in aussichtsloser Lage zunächst die Truppen verstärkt worden, anstatt sie abzuziehen und sich zum Sieger zu erklären. In einer außenpolitischen Bilanz der Amtszeit von Obama bilanziert ein Kolumnist der „New York Times“: Die Truppenaufstockung in Afghanistan habe nichts anderes gebracht als „noch mehr Blut“.

Es ist das unwichtigste Thema von allen. Keiner spricht darüber. Denn mit diesem Krieg, den alle einst wollten und nun keiner mehr will, lässt sich im Wahlkampf nicht punkten. Wenn Außenpolitik überhaupt zur Sprache kommt im Wahlkampf, dreht sie sich um Iran, Israel, Syrien, Ägypten, Europas Schuldenkrise. Krieg, welcher Krieg? Osama bin Laden ist tot. Amerika zieht seine Truppen ab. Und wie es dann in Afghanistan weitergeht, zeigt sich derzeit im Irak.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false