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Meinung: Afrikas Nöte, Europas Schuldkomplexe

Erneut sind am Horn des Schwarzen Kontinents Hunderttausende vom Hunger bedroht

Ein Vierteljahrhundert nach der verheerenden Hungersnot in Äthiopien wird das Horn von Afrika erneut von jener Geißel geplagt, die viele bereits für überwunden hielten. Wieder sind Hunderttausende vom Hungertod bedroht. Und hinter den Kulissen hat längst die Suche nach den Gründen begonnen.

Es hat eine lange Tradition, so zu tun, als ob Hungersnöte in Afrika zum Normalfall gehörten und vor allem von externen Faktoren bedingt würden, etwa hohen Nahrungsmittelpreisen, Landaufkäufen asiatischer Länder oder der zu geringen Hilfe aus dem Westen. Auch diesmal liefert der Umgang mit der Hungersnot einen Beleg dafür, wie tief der (koloniale) Schuldkomplex des Westens gegenüber Afrika noch immer sitzt – und wie virtuos Hilfsorganisationen und Afrikas Eliten darauf herumzuspielen verstehen. Möglich ist dies, weil das westliche Afrikabild immer stärker von den Helfern und deren Interessen geprägt wird. Schon aus Selbsterhaltungstrieb rufen sie nach neuen Spenden und mehr Entwicklungshilfe.

Immer öfter lassen sich auch die Medien unkritisch für die Sache der Helfer einspannen. Dies liegt zum einen daran, dass viele Journalisten im Rahmen ihrer Berichterstattung auf die Logistik der Hilfsorganisationen angewiesen sind (und deshalb deren Lied singen), und zum anderen, dass viele von ihnen das einfache Weltbild der Helfer teilen: Auf der einen Seite der Westen als Täter, auf der anderen Afrika als das ewige Opfer.

Die Helfer haben gute Gründe, dem Westen und dem von ihm dominierten Weltwirtschaftssystem die Hauptschuld für die Misere zuzuweisen. Denn wer mag schon gerne spenden, wenn ein nicht unerheblicher Teil der Hilfsgüter in Staaten wie Somalia in die Hände blutrünstiger Warlords fällt – und dadurch deutlich wird, dass die Gründe für die Not oft hausgemacht sind. Auch ist fragwürdig, ob viele Hilfsorganisationen wirklich mit Diktatoren oder religiösen Fanatikern wie der Islamisten-Miliz Al Shabbab in Somalia kungeln sollten, um von diesen bei ihren Hilfsaktionen nicht aus dem Land geworfen zu werden.

Gerade Organisationen, die gerne andere für die Notlagen Afrikas verantwortlich machen, werden durch ihre Präsenz vor Ort oft selbst zu Akteuren und befeuern den jeweiligen Konflikt, zumal sie mit ihrer Hilfe die lokalen Machthaber aus der Eigenverantwortung entlassen und Afrikas Selbstheilungskräfte schwächen.

Unerwähnt bleibt oft hingegen, dass in Afrika vor allem deshalb gehungert wird, weil sich der kommerzielle Anbau von Lebensmitteln unter korrupten Regimen wie in Somalia, Äthiopien oder Eritrea einfach nicht lohnt. Entweder ruiniert die oft wahllos ausgeschüttete Entwicklungshilfe die Preise – oder die jeweiligen Führer bestehlen das eigene Volk. Das Konzept des Gemeinwohls ist in Afrika fast überall ebenso unbekannt wie das der „guten Regierungsführung“. In kaum einem afrikanischen Land ist zudem privater Grundbesitz gestattet; alles gehört hier dem Staat oder wie in Somalia dem jeweiligen Clan. Und wo kommerzielle Landwirtschaft floriert wie in Simbabwe, wird sie nicht selten durch die Vertreibung der (oft weißen) Großfarmer systematisch ruiniert.

Nicht minder neu ist, dass bei der Ursachenforschung der Hungersnot ein Grund oft ausgeblendet wird: die völlig aus dem Ruder gelaufene Bevölkerungszunahme in Afrika. Dies gilt insbesondere für die Trockenregion am Horn des Kontinents. Die Ignoranz verwundert umso mehr, als die Zahl der Menschen dort bereits bei der letzten großen Hungersnot in den Achtzigerjahren als viel zu hoch galt. Doch geschehen ist seitdem nichts. Niemand forciert die Familienplanung. Im Gegenteil: In Kenia und Äthiopien hat sich die Bevölkerungszahl seit 1990 auf 40 bzw. 90 Millionen Menschen fast verdoppelt! In Somalia ist sie um knapp ein Drittel gewachsen.

Nur durch die Afrika zugedachte Opferrolle ist schließlich auch zu erklären, dass sich kaum jemand im Westen über die fehlende Solidarität anderer afrikanischer Staaten mit den Opfern der Hungersnot empört. Während sich Südafrikas Präsident Jacob Zuma zuletzt mächtig über die Bombardierung seines Freundes Muammar Gaddafi erregt hat, schweigt Zuma zur Lage am Horn von Afrika – und lässt den Westen die Arbeit tun. Als einziger Industriestaat des Kontinents hat Südafrika 100 000 Euro staatlicher Hilfe zur Linderung der Not seiner afrikanischen Brüder und Schwestern gespendet. Das ist weniger, als der neue Dienstwagen des Erziehungsministers kostet.

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