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Meinung: Alles ist unmöglich

Nicht nur Deutschland diskutiert über Familienpolitik. Amerika debattiert hitzig über die Frage: Können Frauen alles haben?

Im traditionsreichen „Atlantic“ ist kürzlich ein Artikel erschienen, der der womöglich meistgelesene in der über 150-jährigen Geschichte des US-Magazins ist – selbst wenn man berücksichtigt, dass im 19. Jahrhundert noch keine Klickraten gemessen wurden. Darin beschreibt Anne-Marie Slaughter, Politikprofessorin in Princeton und bis Februar 2011 Chefin des Planungsstabs im US-Außenministerium, eine Enttäuschung – und formuliert eine Anklage: Noch immer könnten Frauen „nicht alles haben“, einen fordernden Beruf und Kinder. Weil sie selbst den Spagat nicht mehr aushielt zwischen der Rund-um die-Uhr-Woche im State Department und den Ansprüchen ihrer beiden pubertierenden Jungs daheim, habe sie Anfang letzten Jahres Washington verlassen und sei zu Mann, Kindern und an die Uni zurückgekehrt. Die Lüge, es gehe alles, wenn frau nur wolle, müsse aufhören.

In Slaughters spannendem und klug argumentierenden Stück geht es auch um Sinn und Unsinn von Karrieren, die einen über den Rand der Erschöpfung hinaus fordern, um den immer noch unterschiedlichen Blick auf Frauen und Männer, die sich für ihre Kinder engagieren, und um ihre eigene privilegierte Situation als gut verdienende Akademikerin und Ehefrau eines ebenfalls gut verdienenden Kollegen. Doch scheint es nicht das zu sein, was ihre Leserinnen und Leser elektrisierte und die Klickraten schon in den ersten vier Tagen auf eine Dreiviertelmillion hochtrieb. Es war wohl der Titel „Warum Frauen noch immer nicht alles haben können“, der den einen – Männern wie Frauen – die eigene Resignation zu erklären versprach und den anderen Schadenfreude entlockte: Da seht ihr’s, es geht halt nicht. Wobei die Schadenfreudigen, jedenfalls in Deutschland, die Mehrheit zu sein scheinen. „Die Lüge der Gleichberechtigung“ oder „Kinder sind wichtiger als die Macht“ hießen hierzulande die Schlagzeilen. Oder gar „Für die Familie gab sie ihre Karriere auf“. Was natürlich nicht stimmt: Slaughter kehrte „für die Familie“ nur in ihren alten Beruf an einer weltberühmten Universität zurück.

Warum aber können Frauen noch immer nicht alles haben? Falsche Frage, schreibt Rebecca Traister in ihrer Antwort auf Slaughter. „Alles haben“ sollte „schleunigst aus jedem feministischen Lexikon gestrichen und nie, nie, nie wieder benutzt werden“. Es reduziere nämlich eine sozialrevolutionäre Bewegung, den berechtigten Kampf der Frauen um mehr politische, ökonomische und sexuelle Gleichheit, auf eine Einkaufssause von Schnäppchenjägerinnen. Sowieso wisse keine und keiner, was „alles“ eigentlich sei: „Bezahlbare Betreuung oder eine Kinderfrau, die Mandarin spricht? Ordentliches Schulessen oder mexikanischer Biokäse?“

Man könnte Slaughter auch entgegenhalten, dass ihr „Alles“-Konzept sowieso keine soziale Revolution brauchte, sondern eine von Raum und Zeit: In diesem verfluchten 24-Stunden-Käfig, in den uns Erdenbewohner jeder Tag sperrt und in den auch der Schlaf noch gepresst werden will, ist es nun einmal nicht möglich, „alles“ zu sein: rund zwölf Stunden lang eine anwesende Mutter und weitere zehn, mindestens, Planungschefin einer Weltzentrale. Könnten das Männer? Das diskutiert Slaughter nicht, aber es ist offensichtlich kein Frauenproblem. Und wo sie ihren berühmten Kollegen Richard Holbrooke erwähnt, dessen Kinder auf der Gedenkfeier nach seinem Tod die lebenslang fast vollständige Abwesenheit des Weltdiplomaten zu Hause beklagten, gibt sie das implizit auch zu. Für Männer hieß Vereinbarkeit von Familie und Beruf traditionell eben meist: zwar beides zu „haben“, aber, gewollt oder ungewollt, nur eines zu leben, den Beruf nämlich.

Slaughter hat, wie andere Frauen, versucht, beides zu leben. Wie es scheint, mit Erfolg. Selbst im Turbo-Job in Washington, in dem sie die erste Frau war. Eine sensible Chefin, Hillary Clinton, gab ihr frei, wenn’s im Kinderzimmer mal brannte, Arbeiten ging auch zu Hause. Und daheim sorgte Papa dafür, dass es dem Nachwuchs an nichts fehlte.

An nichts? Nun ja, schreibt Slaughter. Männer reagierten nun einmal anders als Frauen, „wenn sie erkennen, dass ihre Abwesenheit ihre Kinder verletzt“. Es ist der verräterischste Satz in Slaughters Essay. Und der traurigste. Auch noch die bessere Managerin der Pubertätssorgen der Söhne sein zu wollen – welch eine Selbstüberhebung! Nein, in der Tat können Frauen nicht alles haben und sie sollten es nicht einmal wollen: wirtschaftliche Unabhängigkeit durch den Beruf, womöglich Freude daran, hoffentlich Gleichheit. Und zugleich die ungeminderte Macht der alten Matriarchin daheim. Die Hälfte des Himmels draußen erobern und in Kinderzimmer und Küche weiter allein kommandieren, das geht nicht. Das war nie „feministisches Credo“, wie Slaughter behauptet. Es ist kein revolutionäres Projekt, sondern ein zutiefst konservatives. Es hetzt Frauen in die Falle des Nie-genügen-Könnens. Es sperrt Männer aus und vergeudet ihre Talente, nicht nur als Väter.

Die Frauenbewegung hat das alles einmal gewusst. Wenn das inzwischen selbst in Princeton vergessen ist: Dann, Schwestern im Geiste Simone de Beauvoirs, haben wir wirklich noch gut zu tun. Mit der Revolution in unseren eigenen Köpfen.

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